WOZ-Abstimmungsblog

AHV: Brüchige Solidarität

Cartoon von Ruedi Widmer: Eine alte Frau ruft «AHFrau!»
Illustration: Ruedi Widmer

Im hauchdünnen Ja zur Rentenaltererhöhung der Frauen spiegeln sich zahlreiche Bruchlinien: zwischen der Mehrheit der Frauen und der überwiegenden Mehrheit der Männer, sehr scharf zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz – und schliesslich zwischen Geringverdienenden, Teilzeitarbeitenden und Bessergestellten. Solche Bruchlinien sind nicht neu, bei der AHV aber sind sie ein grundsätzliches Problem, gezielt bewirtschaftet von den Bürgerlichen. Denn die wichtigste Sozialversicherung ruht auf dem Fundament einer alle gesellschaftlichen Gruppen einschliessenden Solidarität. Diese ist nach jahrelangen Auseinandersetzungen inzwischen ziemlich brüchig – Gift für den minimalen Zusammenhalt. Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch ein grundsätzliches demokratiepolitisches Problem: Nicht mitbestimmen konnten über die Erhöhung des Frauenrentenalters Menschen ohne Schweizer Pass, die in die AHV einzahlen und sie wesentlich stützen.

Die Konflikte lösen sich nach diesem Abstimmungswochenende nicht in Luft auf. Sie werden nahtlos weitergeführt, bei der laufenden Reform der Pensionskassen (Gesetz über die berufliche Vorsorge, BVG). In der AHV selbst sind die Renten von Frauen und Männern praktisch gleich, worauf die Bürgerlichen mit Verweis auf die «Gleichstellung» ständig herumgeritten sind. Wären sie bei der tatsächlichen Gleichstellung – Löhne, Care-Arbeit – bloss auch so fix …

Frauen erhalten jedenfalls im Durchschnitt gemäss Sozialversicherungsstatistik eine jährliche Pensionskassenrente von rund 18 605, Männer eine von 35 560 Franken. Entscheidend ist ohnehin, wie viel Geld Pensionierte insgesamt an Rente bekommen. Und hier ist der Gap zwischen Männern und Frauen unerträglich gross: Am Ende des Monats erhalten Frauen fast vierzig Prozent weniger Rente als Männer.

Die Bürgerlichen haben im Abstimmungskampf versprochen, sie würden die Rentenlücken der Frauen im BVG angehen. Was ihr Wort wert ist, wird sich in der Dezembersession des Parlaments zeigen. Angesichts der bisherigen Reformschrittchen muss man von kosmetischen Aufbesserungen ausgehen, die nicht wirklich ins Gewicht fallen und das Rentenproblem der Frauen nicht lösen werden. Allerdings ist hier die Ausgangslage eine andere: Im vergangenen Jahrzehnt sind die BVG-Renten um rund zwanzig Prozent gefallen. Auch die Renten der Männer stehen unter Druck. Diese Reform durchzusetzen, wird ungleich schwieriger.

Auch nach dieser AHV-Reform ist davon auszugehen, dass die Renten weiter sinken werden. Das Parlament hat den Bundesrat bereits mit der Ausarbeitung der nächsten AHV-Vorlage bis 2026 beauftragt. Eine weitere Rentenaltererhöhung ist dabei explizit ein Thema. Die Linke muss die Zeit bis dahin nutzen. Denn anders als es die Kommentare der bürgerlichen Medien insinuieren, ist ihre Vetomacht in der Sozialpolitik nach dieser Abstimmung nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Ihr ist eine beeindruckende Aufholjagd gelungen, die das anfänglich klare Umfrage-Ja zur AHV 21 beinahe in ein Nein gedreht hätte. Darauf lässt sich aufbauen. Das Ziel der lang anhaltenden, von der Frauenstreikbewegung, den Gewerkschaften und den linken Parteien getragenen Kampagne kann nur heissen: Keine Rentenaltererhöhung und eine Verbesserung der Renten – möglichst in der AHV.