Medien und Propaganda: Die weisse Krähe

Wie aus dem Journalisten Roger Köppel ein glühender Putin-Bewunderer wurde. Und was es bedeutet, dass er diesen Freitag das Hochamt der SVP im «Albisgüetli» zelebriert.

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Roger Köppel mit einem Selfiestick
Hinter dem Selfiestick verschwindet die Realität: Roger Köppel. Foto: Anthony Anex, Keystone

Manchmal wird die «Weltwoche» für die russische Sicht auch handgreiflich. Es ist Sonntag, der 16. Juni 2024, die Konferenz für Frieden in der Ukraine auf dem Bürgenstock neigt sich dem Ende zu. Im Luxushotel hoch über dem Vierwaldstättersee haben Bundespräsidentin Viola Amherd, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und weitere Staatschefs soeben ihre Schlusserklärung präsentiert. Nun gibt Selenski solo noch eine Medienkonferenz, die letzte Frage soll jemand aus der Schweiz stellen. Bereits in Stellung gebracht hat sich NZZ-Sicherheitsexperte Georg Häsler – doch wider Erwarten hält plötzlich «Weltwoche»-Redaktor Marcel Odermatt das Mikro in der Hand.

Häsler wird später von einem «veritablen Bodycheck» sprechen, Odermatt wiederum will nichts getan haben, das Mikrofon sei ihm per Zufall in den Schoss gefallen. Wie auch immer: Am Ende liest Odermatt, der sich an der Konferenz zuvor vor allem für den tadellosen Einsatz der Innerschweizer Polizeieinheiten interessierte, eine Frage zur Weltpolitik vom Blatt: Ob denn damals in Istanbul, nur wenige Wochen nach Ausbruch des Krieges, nicht etwa ein Frieden auf dem Tisch gelegen habe? «Das war kein Verhandlungsresultat, wir wurden mit einem Ultimatum konfrontiert», antwortet Selenski. Dann verschwindet der ukrainische Präsident hinter den Kulissen.

Die Behauptung, die Ukraine hätte in Istanbul im März 2022 auf Druck Grossbritanniens auf einen Friedensschluss verzichtet, gehört zum Standardrepertoire all jener, die Russlands Angriff zu einer rein geopolitischen Auseinandersetzung zwischen der westlichen Militärallianz Nato und Russland umdeuten wollen. Auch von der «Weltwoche» wird diese These regelmässig ausgebreitet. Wie sich ihr Chefredaktor, Verleger und Inhaber Roger Köppel in den letzten Jahren überhaupt auf die Seite des russischen Aggressors geschlagen hat und unverhohlen Machthaber Wladimir Putin huldigt.

Die Entwicklung des Blattes ist ein Tabu der Schweizer Mediengegenwart. Alle wissen um die Radikalisierung, viele finden sie gefährlich, trotzdem gab es nur vereinzelte Berichte zu den Hintergründen. Viele Fragen sind offen: Welches persönliche Netzwerk zum russischen Machtapparat pflegt Köppel? Wie finanziert er seine Publizistik? Ist das noch Journalismus oder längst Propaganda? Wie wird er in Russland wahrgenommen? Und wie findet das alles mit dem Kurs der SVP zusammen? Am Freitag dieser Woche löst Köppel den Multimilliardär Christoph Blocher als Albisgüetli-Redner ab. Und leitet im Zürcher Schützenhaus somit das jährliche Hochamt der Partei.

1. Köppel schweigt über Köppel

Dass es auf diese Fragen bisher nur wenige Antworten gibt, hat auch damit zu tun, dass sich kaum jemand öffentlich zu Köppel äussern will. Beispielhaft ein SVP-Nationalrat am Rand der Wintersession: «Ich habe die ‹Weltwoche› gar nicht abonniert!» Um dann später im Bundeshausbistro angeschlichen zu kommen und sich über die Furcht in der Fraktion vor der Disziplinierung durch die Zeitschrift zu beklagen. Beispielhaft auch ein medialer Weggefährte, der sich entsetzt zeigt über Köppels Entwicklung, aber nicht einmal diese Aussage namentlich autorisieren will. Dass in dieser Recherche zwei Slawist:innen, Sylvia Sasse von der Universität Zürich und Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen, die präzisesten Einschätzungen liefern, kann nicht überraschen: Als Kenner:innen der früheren sowjetischen und der heutigen russischen Propaganda, im Übersetzungsraum zwischen deutsch und russisch, können sie am besten beurteilen, was hier vor sich geht.

Auch Roger Köppel selbst will sich nicht mit der WOZ treffen, obwohl er im Minutentakt auf Mails antwortet: «Alles ist gesagt und kann nachgelesen oder nachgehört werden.» Auf die Nachfrage, dass es im Interview auch um verlegerische Angelegenheiten gehen solle, ziert er sich: «Haben Sie Dank für Ihre Hartnäckigkeit. Alles, was ich publizistisch und verlegerisch tue, lässt sich täglich und wöchentlich besichtigen.»

Zumindest in diesem Punkt hat Köppel recht. Viele Informationen zu seinen Aktivitäten lassen sich gewinnen, wenn man den Nerv hat, sich durch seine immense Medienproduktion zu arbeiten, zu der auch zwei tägliche Youtube-Sendungen gehören. Weil alle Texte und Videos mit der heissen Nadel gestrickt sind, finden sich oft Querbezüge und Angaben zum Making-of der Beiträge. So lässt sich aus den vielen Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammenfügen. Frei nach dem Lieblingsmotto des Philosophen Slavoj Žižek: «The truth is out there».

2. Der Türöffner

Wo nimmt die Geschichte ihren Anfang, wann begann Köppels Sehnsucht nach Russland? Es muss schon lange her sein, in seiner Zeit in Berlin von 2004 bis 2006, als er auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand. Erst hatte er das Magazin des «Tages-Anzeigers» geleitet, dann die einst linksliberale «Weltwoche» auf die rechte Spur gebracht. Nun war ihm der Sprung nach Deutschland gelungen, er war Chefredaktor des konservativen Renommee-Titels «Welt». So lernte er auch das Ehepaar kennen, das in der Hauptstadt damals für die rauschendsten Feste bekannt war: den russischen Botschafter Wladimir Kotenjow und Ehefrau Maria Kotenjowa.

An den Bällen in der Residenz mit bis zu tausend Gästen wurde an Krimsekt, Wodka und Kaviar nicht gespart. Grössen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Showbiz nahmen teil, darunter der frühere SPD-Kanzler und spätere VR-Präsident der North-Stream-Gaspipeline Gerhard Schröder. Kotenjow gewinnt auch Köppel für sich: «Er hat mir damals, vor über zwanzig Jahren, die Augen für sein Heimatland geöffnet. Ihm verdanke ich meine ersten Reisen und Gespräche», erinnert sich Köppel in einem Beitrag. Bald ging er zurück nach Zürich, Kotenjow gab 2010 seinen Botschafterposten ab. Ihre Wege sollten sich später wieder kreuzen.

Köppel kehrte heim zur «Weltwoche», weil ihm rechte Financiers um den Tessiner Tito Tettamanti die Zeitschrift zu einem guten Preis zuhielten. Er war nun beides: Chefredaktor und Verleger. Und bald auch Politiker: 2015 liess er sich für die SVP ins Parlament wählen. Aussenpolitisch dominierte in der Zeitschrift damals vor allem ein Thema: die USA und der Aufstieg von Donald Trump. Köppel, der schon immer eine übersteigerte Affinität zur US-Popkultur und zu Hollywood-Blockbustern hatte, verfolgte begeistert Trumps Werdegang – und lud dessen Strategen Steve Bannon 2018 nach Zürich ein.

Russland war dagegen nur ein Inhalt unter vielen. Und diente der Werbemittelbeschaffung, etwa mit einer Sonderbeilage «Faszinierendes Russland» zur Fussball-WM im gleichen Jahr. Inserenten wie die Gazprombank oder die Sberbank erhielten wohlwollende Porträts im redaktionellen Teil des Hefts. Vermittelt hatte die Werbekunden gemäss Informationen der WOZ die russische Vertretung in Bern unter dem noch heute amtierenden Botschafter Sergej Garmonin. Die Botschaft pries die «lesenswerten Beiträge» denn auch schon einen Tag vor Erscheinen des Hefts auf Twitter an. Auffällig ist: Roger Köppel schrieb in der Beilage keine einzige Zeile zu Russland. So sollte es auch bleiben – bis zum Beginn des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022.

Cover der Weltwoche Ausgabe Nr. 8/2022 von 24. Februar
Missglücktes Timing? «Weltwoche»-Cover am Tag der russischen Vollinvasion in die Ukraine. «Die Weltwoche»

Die Berichterstattung darüber begann mit einem Fauxpas. Just am Tag, als der Kreml Kyjiw aus der Luft und am Boden angreifen liess, setzte die «Weltwoche» Putin aufs Cover: «Der Missverstandene». Autor des Beitrags war Thomas Fasbender, der bis dahin eine Sendung in der deutschen Ausgabe des russischen Propagandasenders RT hatte. Aber vielleicht war der Titel ja gar kein Fehler: Schon wenige Wochen später publizierte Köppel seine «Bekenntnisse eines Russland-Verstehers». Er zeigt darin Verständnis für Putins autoritären Führungsstil – und vergleicht ihn mit einem treuherzigen Bären, den der Westen mit der Osterweiterung der Nato so lange getriezt habe, bis er praktisch gar nicht mehr anders konnte, als zur Bestie zu werden.

Anfänglich finden sich im Blatt noch Berichte des bekannten Kriegsreporters Kurt Pelda aus der Ukraine. Doch schon im Juni kündigte dieser seinen Vertrag und ging zu CH Media. «Ich wollte nicht mehr für ein klar prorussisches Magazin schreiben und in der Ukraine arbeiten. Das ist letztlich auch einfach zu gefährlich», begründet Pelda im Gespräch mit der WOZ seinen Wechsel. Auch Kolumnist Henryk M. Broder verliess die Zeitschrift schnell. Alles habe eine Vorgeschichte, auch der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, schreibt er zum Abschied in der «Weltwoche». «Fest steht allerdings, dass Russland derzeit in der Ukraine wütet und nicht umgekehrt.» Broders Text endet mit den Worten: «Klarheit vor Einheit».

3. Ein Meister der Ausblendung

Einheit herrschte im Blatt spätestens ab dem Sommer 2022. Köppels Interesse an Russland wird zur Obsession. Dauernd schreibt er im Magazin, spricht auf seinen Videokanälen darüber. Lässt aufwendige Spezialausgaben produzieren, etwa eine Rechtfertigungsschrift des US-Historikers Benjamin Abelow: «Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte». Köppel jettet sogar extra in die Vereinigten Arabischen Emirate, um Andrei Melnitschenko, dem früher in St. Moritz wohnhaften Oligarchen und bei Kriegsausbruch sanktionierten Besitzer des Zuger Düngemittelkonzerns Eurochem, ein ellenlanges Interview zu gewähren. Das Gespräch ist offenkundig Teil einer PR-Kampagne von Melnitschenko: Wenige Tage vor Köppel darf schon der rechte US-Moderator Tucker Carlson den Oligarchen zum Gespräch treffen.

Gerade bei diesem Thema kommen Köppels publizistische und politische Tätigkeit vortrefflich zusammen. Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission berichten, Köppel habe – falls er überhaupt an Sitzungen teilnahm – vor allem eine Sorge umgetrieben: dass Oligarchen wie Melnitschenko sanktioniert würden. In seiner Partei ist er mit diesem Engagement nicht allein, auch der Zuger Regierungsrat Heinz Tännler setzt sich damals für Eurochem ein. Am Ende wird das Staatssekretariat für Wirtschaft unter SVP-Bundesrat Guy Parmelin eine massgeschneiderte Lösung für die Firma treffen: Der Betrieb kann weiterlaufen, sofern die Verbindungen zu Melnitschenko gekappt sind. Die Oligarchenfürsorge der SVP pflegt Köppel indes auch nach seinem Rücktritt aus dem Nationalrat im Jahr 2023 weiter: Sein eigenes Land bezeichnet er einmal gar als «Kriegspartei gegen Russland», weil es die EU-Sanktionen übernommen und damit die Neutralität preisgegeben habe.

Das Ende seiner politischen Laufbahn begründete Köppel damit, dass er «mögliche Interessenskonflikte zwischen der zusehends internationalen Ausrichtung der ‹Weltwoche›» und seiner Parlamentstätigkeit verhindern wolle. Und landete schon wenige Wochen später in Moskau, um die vom Haager Strafgerichtshof wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder gesuchte Marija Lwowa-Belowa und den für seine Hetzpropaganda bekannten staatlichen Fernsehmoderator Wladimir Solowjow zu interviewen. Hätte er das als Nationalrat getan, der wiedergewählt werden möchte, es hätte wohl einen Sturm der Entrüstung gegeben.

das Kyjiwer Ochmatdyt-Kinderspital nach dem Einschlag eines russischen Marschflugkörpers im Juli 2024
Ausgeblendete Wirklichkeit: Das Kyjiwer Ochmatdyt-Kinderspital nach dem Einschlag eines russischen Marschflugkörpers im Juli 2024. Foto: Sergey Dolzhenko, Keystone

Die Positionen, die Köppel zum Krieg vertritt, sind verkürzt, verkehrt und bisweilen haarsträubend: Der Westen habe den Krieg durch die gleichzeitige Unterschätzung und Brüskierung Russlands «wesentlich mitverursacht», heisst es in einem Editorial kurz nach Beginn der Vollinvasion. Russland reagiert also nur, es agiert nicht. «Die Grossmächte USA und Russland stossen in der Ukraine aufeinander», schreibt er Ende letzten Jahres. Die Ukraine hat also keine Eigenmächtigkeit, fällt aus der Gleichung. Brutale russische Kriegsverbrechen mit Hunderten zivilen Opfern wie die Massaker von Butscha stellt er in einem Streitgespräch mit Kurt Pelda raunend «infrage». All das dient erkennbar dazu, Putin von jeder Schuld reinzuwaschen. Noch einmal Köppel in einem Editorial: «Russlands Staatschef macht auf mich den Eindruck eines Mannes, der das Schlimmste verhindern will.» Mehr noch, er kann dem Westen sogar die Zukunft bringen: «Ist Putin gar der Kälteschock der Wirklichkeit, den der Woke-Westen so dringend brauchte?»

Begleitet werden solche Aussagen vom üblichen köppelschen Theaterdonner, bloss eine vermeintlich «andere Sicht» als der Mainstream einzunehmen, eisern den journalistischen Grundsatz «Schreiben, was ist» zu verfolgen. Das Pathos überdeckt, dass Köppel ein Meister der Ausblendung ist. In seiner Konstruktion eines Stellvertreterkriegs geht nicht nur die ukrainische Gesellschaft vergessen, sondern auch die russische. Für die 1500 politischen Gefangenen oder die Zerstörung der Medienfreiheit interessiert sich Köppel kaum eine Zeile. Wie fügt sich all das in die russische Propaganda ein?


An dieser Stelle endet die kostenlose Leseprobe. Dabei hat der Text erst so richtig begonnen. Als Abonnent:in lesen Sie hier weiter – und erfahren, wie russische Propaganda funktioniert, wie Roger Köppel sein Geld verdient,  was es mit seiner Ungarn-Connection auf sich hat und wie sich reiche Russ:innen beim Silvesterzauber in Zürich im Verdrängen üben. Und natürlich auch, was der Alte aus Herrliberg zu all dem meint.

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