Kunst: Frei, reich und verrückt
Ein Gebäude, mächtig wie ein Ozeandampfer, die Räume fast beliebig konfigurierbar: Für Liebhaber:innen von Gegenwartskunst ist die Neueröffnung der Fondation Cartier in Paris eine Freude.
Frankreichs Finanzen laufen aus dem Ruder, das Regierungsgeschäft ist eine tragische Posse, im Land herrscht eine Mischung aus Endzeitstimmung und vorrevolutionärem Fieber; bald könnten die Rechtsextremen an die Macht kommen. Aber die Lichterstadt Paris scheint desto heller zu strahlen, je dichter sich der braune Pesthauch um sie zieht. Bevor womöglich die Finsternis hereinbricht, hat die Hauptstadt Ende Oktober ihrer Kulturkrone einen weiteren funkelnden Klunker hinzugefügt. Die Eröffnung von Jean Nouvels neuer Fondation Cartier bereichert die Szene für Gegenwartskunst gewaltig.
Der Bau liegt an zentraler Lage, Louvre und Palais Royal sind direkte Nachbarn. Der fünfstöckige, 153 Meter lange und bis zu 58 Meter breite Ozeanriese aus hellem Kalkstein wurde 1854/55 im Hinblick auf die bevorstehende Weltausstellung aus dem Boden gestampft. Das Hôtel du Louvre bildete mit 1200 Zimmern eine Miniaturstadt und bot seiner kosmopolitischen Klientel neben Wasserklosetts und elektrischen Klingeln auch Dutzende von Luxusboutiquen unter den ringsum laufenden Arkaden. Eine davon wuchs sich zum – laut Werbung – «grössten Warenhaus der Welt» aus und vertrieb 1887 gar das Hotel aus den Mauern. Die Grands Magasins du Louvre waren derart weitläufig, dass zur Beförderung von Kund:innen und Mitarbeiter:innen Brückenkräne und sogar zwei Eisenbahnen zum Einsatz kamen.