84 Titel aus 48 Verlagen hat die fünfköpfige Jury des Schweizer Buchpreises in den letzten Monaten gelesen. Heute Morgen wurden die Namen der fünf nominierten Autor:innen verkündet. Dabei fällt als erstes auf: In gleich drei der fünf Bücher steht die Suche nach einem Elternteil im Zentrum, und in allen drei Büchern weisen die Erzählungen weit über die Familie hinaus.
In Michelle Steinbecks Roman «Favorita» geht die Protagonistin auf die Suche nach ihrer ermordeten Mutter, die Zeit ihres Lebens abwesend war. Dabei erzählt Steinbeck, die auch WOZ-Kolumnistin ist, von Femiziden und vom faschistischen Italien heute und damals. Während Steinbecks Buch klar als Roman zu erkennen ist, haben sowohl Zora del Buono als auch Martin R. Dean autobiografische Recherchen verfasst. Del Buono geht in «Seinetwegen» auf Spurensuche nach dem «Töter ihres Vaters» (eine Besprechung des Romans findet sich in der aktuellen WOZ. Gerade mal acht Monate alt war sie, als er zu Tode gefahren wurde, er blieb die ewige Leerstelle in ihrem Leben. Del Buono nimmt die Leser:innen mit auf ihre Suche, die sie mit Anekdoten, Gesprächen, Statistiken und Fotos von ihren Eltern anreichert. Ihr Buch steht auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wird als Favorit für den Schweizer Buchpreis gehandelt.
Auch Martin R. Dean zeigt Fotos von seiner Familie und von ihm als kleines Kind auf Trinidad. Die von ihm nach dem Tod der Mutter gefundenen Bilder waren denn auch der Auslöser, dass sich der in Basel lebende und zum grössten Teil im Aargau aufgewachsene Autor auf die Suche nach der «versunkenen Welt» seiner Kindheit gemacht hat. Er erzählt von Rassismus und Kolonialismus und von der Enge der Schweiz. In einem Essay in der WOZ hat er ansatzweise darüber geschrieben. Mit Steinbeck, del Buono und Dean sind drei starke Bücher von bekannten Schweizer Autor:innen nominiert, die je eine Geschichte erzählen, weit über die Schweiz hinaus.
In «Polifon Pervers» wendet der freischaffende Dramaturg, Autor und Musiker Béla Rothenbühler seinen Blick nach Innen. Sein Mundartroman gibt einen schonungslosen Einblick in die Kulturszene einer provinziellen Schweizer Kleinstadt. Erfreulich ist, dass sich mit «Verschiebungen im Gestein» von Mariann Bühler auch ein Debütroman unter den Nominierten befindet, «ein Heimatroman der anderen Art», wie die Jury schreibt.
Ob sich die Favoritin, die «Favorita», der gestandene Autor, der Erstlings- oder der Mundartroman durchsetzen wird, entscheidet sich am 17. November.