Schulbesuch bei Seitenscheiteln

Wenn ich in der Aula einer Schule sitze, um über Neonazis in Sachsen, den NSU oder meine Erfahrungen mit rechtem Hass zu sprechen, sieht die erste Reihe oft gleich aus: Kinder – vor allem Jungs mit Seitenscheiteln –, die ihre Arme verschränken, New-Balance-Schuhe tragen und mich mit geschwellter Brust ernst und kritisch anschauen. Der klassische Look von rechten Kids, die auf dem «besten» Weg sind, Neonazis zu werden. Vom NSU hat auch die nichtrechte Mehrheit meist noch nie irgendwas gehört.

Immer wieder setze ich bei meinen Lesungen aus «Unter Nazis» meinen Fuss in Klassenzimmer, aus denen ich am liebsten nach fünf Sekunden schon wieder flüchten würde. Ich merke, dass mich das toxische Gemisch aus Männlichkeit, Rechtsextremismus und pubertärem Mitläufertum an die Grenzen meiner Möglichkeiten bringt. Meistens ändert sich jedoch schon nach wenigen Minuten alles, denn je persönlicher meine Erzählungen, je emotionaler die Schilderungen meiner Gefühlswelt, desto ruhiger werden die vorlauten Jungs in der ersten Reihe, und auch meine Nervosität schwindet. Ich ziehe daraus drei Lehren:

Erstens: Kinder, vor allem Jungs, die nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen, brauchen Räume, um über Ängste, Gefühle und Schwächen zu sprechen. Wird ihnen dieser Raum nicht von Demokrat:innen geboten, landen sie bei vermeintlich Stärkeren – bei der Jungen Alternative, bei Neonazis oder in rechtsextremen Kampfsportstudios. Es gibt Gegenentwürfe: alternative Jugendzentren oder Antidiskriminierungs-AGs an Schulen.

Zweitens: Die demokratische Mehrheit braucht Rückendeckung – von Lehrer:innen, Schulleitungen und Leuten mit Verantwortung. Viel zu oft kommen Kinder nach meinen Lesungen zu mir, erzählen, dass sie sich nicht trauen, sich zu melden, um über Rechtsextremismus an ihrer Schule zu sprechen, weil sich die einschüchternden Neonazikids sonst auf sie stürzen würden. Gibt es keine Plattform und Unterstützung für die demokratischen Kids, bestimmen die Rechten, wos langgeht.

Drittens: Lehrer:innen und Schulleitungen glauben oft, neutral zu sein. Doch wenn sie Betroffene von Diskriminierung nicht unterstützen oder den Rassismus und den Rechtsextremismus der AfD einfach nicht ansprechen, sind sie nicht neutral. Im Gegenteil: Sie machen sich mitschuldig.

Jakob Springfeld (22) ist eines der Gesichter der linken Gegenöffentlichkeit Ostdeutschlands. Sein 2022 erschienenes Buch «Unter Nazis» trägt auch deshalb den Untertitel «Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». In seiner wöchentlichen Kolumne berichtet er bis zum Jahresende jeweils freitags aus seiner Lebensrealität als antifaschistischer Aktivist in Sachsen.