Studiengang auf der Kippe: Was geistert da durch die Gänge des Toni-Areals?
Die Leitung der Zürcher Hochschule der Künste provoziert Student:innen einmal mehr mit kommunikativen Verwirrspielen. Die neuste Episode betrifft den Master Transdisziplinarität.
Wie in Watte gepackt, steht der Entschluss der Hochschulleitung mitten in einem Absatz des E-Mails: «Die HSL beschliesst, dass der Master Transdisziplinarität in den Künsten in der bestehenden Form mittelfristig nicht weitergeführt wird.» Geändert hat diese Watteverpackung am Richtungsentscheid der Leitung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Anfang September aber nichts. Ganz im Gegenteil. Wird dieser Masterstudiengang jetzt eingestellt? Die vage Kommunikation lässt viel Raum für Spekulation und hat sowohl bei Student:innen als auch bei Mitarbeiter:innen für Irritation gesorgt. Deswegen hat die Student:innenvertretung Verso des betroffenen Departements Kulturanalysen und Vermittlung vorsorglich eine Onlinepetition lanciert, die unter anderem «die sofortige Aussetzung aller Schliessungsmassnahmen» fordert. Dem Aufruf sind innert Wochenfrist über tausend Personen nachgekommen.
Äusserst beliebter Studiengang
Dass die Zukunft des Transdisziplinarität-Masters derart interessiert, dürfte primär mit zwei Aspekten zusammenhängen. Zum einen ist er äusserst populär: Die Bewerbungen haben sich seit 2019 fast verdoppelt; 90 Anmeldungen sind für die 18 Plätze im aktuell laufenden Herbstsemester eingegangen. Zum anderen gingen der kommunikativen Nebelpetarde der Hochschulleitung vergleichbare Fälle voraus. Vergangenen Dezember etwa hatten Student:innen die Sparvorhaben der Hochschulleitung kritisiert. Unter anderem wurden die psychologischen Beratungsstunden reduziert und Gebäude über Nacht geschlossen. Aber Studierende kritisierten damals auch die Kommunikationsweise. Sie warfen der Hochschulleitung «mangelnde Transparenz, Unklarheiten und vage Aussagen» vor, wie einem Statement aus jenen Tagen zu entnehmen ist.
Höchstens am Rand Thema ist aktuell die Reduktion von zwei Nebenfächern zu Gender und Postkolonialismus: Sie werden zwar nicht gänzlich eingespart, finden aber ab Herbst 2026 unter anderem wegen einer wegfallenden Zusatzfinanzierung nur noch alternierend statt. Das ist auf der ZHdK-Website zwar so deklariert, die weiterführenden Dokumente sind aber noch nicht angepasst.
Fast gleich wie im letzten Dezember steht indes im Zusammenhang mit der Transdisziplinarität erneut die «vage, beunruhigende» Kommunikation der Hochschule in der Kritik. Unterstützung erhalten die Student:innen im aktuellen Fall auch von Mitarbeiter:innen bis hinauf zur Koleitung des Studiengangs, wurde diese doch weder involviert noch im Vorfeld explizit über die Pläne mit dem Master informiert. «Wir bemängeln die Kommunikation und schliessen uns den Kritikpunkten, die in der Petition genannt werden, an», sagt Koleiter Patrick Müller. «Wir hätten uns mehr Sorgfalt von der Hochschulleitung im Umgang mit solchen Neuigkeiten gewünscht.»
In der Kritik steht nebst der Kommunikation auch die Veränderung an sich. Die Petitionär:innen betonen, wie einzigartig der Studiengang Transdisziplinarität sei. Fördere man lediglich transdisziplinäre Ansätze in anderen Disziplinen, so verneine das die Besonderheit dieses Masters, der nicht nur eine Methode, sondern ein eigenständiges Forschungsgebiet sei.
Die Student:innen der Transdisziplinarität setzen sich mit den Schnittstellen zwischen verschiedenen künstlerischen Sparten und Methoden auseinander. Sie bewegen sich zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft und damit explizit auch in politischen und aktivistischen Diskursen. Transdisziplinarität, wie sie in diesem Master praktiziert wird, geht über die interdisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Kunstformen hinaus – «so, dass es auch zur Befragung und Weiter- oder Neuentwicklung von Methoden aus den verschiedenen Fachbereichen kommen kann», wie Müller erklärt. Im aktuellen Semester thematisiert ein Seminar beispielsweise künstlerische Resilienz im Kontext von pflanzlichen Überlebensstrategien, ein anderes diskutiert Affekt- und Raumpolitik von Protestbewegungen.
Erst entscheiden, dann evaluieren?
Seit der Einführung vor sechzehn Jahren hat sich der Master Transdisziplinarität, abgesehen von der Umstellung auf das Haupt-und-Nebenfach-System, nicht markant verändert. Müller sagt, das Curriculum sei «bewusst so konzipiert, dass auf aktuelle Entwicklungen im Feld der Künste und der Gesellschaft reagiert werden kann». Angesiedelt ist das Fach in jenem Departement der ZHdK, das sich der Vermittlung und Analyse von Kunst widmet und damit schon allein durch die Student:innen verschiedener Herkunftsdisziplinen jenseits von strikten Sparten wie Musik, Film oder Design steht.
Als Schlagwort geistert «Transdisziplinarität» bereits seit dem Zusammenschluss der Hochschule Musik und Theater mit der kantonalen Hochschule für Gestaltung und Kunst 2007 durch die Gänge der ZHdK. Mit dem Umzug aufs Toni-Areal sollte die Durchlässigkeit zwischen den Sparten auch räumlich manifestiert werden. Aber steckt hinter dieser hochschulweiten Vision tatsächlich mehr als ein progressives Schlagwort? Wie sich die Praxis im konkreten Studienalltag zeigt, bleibt zumeist vage: Mit departementsübergreifenden Nebenfächern gibt es zwar einzelne Ansätze – bei den meisten lässt sich aber kaum von Transdisziplinarität sprechen, wie sie Müller beschreibt.
Jetzt will die Hochschulleitung die Inter- und die Transdisziplinarität an der Schule neu konzipieren. Dafür müsse überprüft werden, «wie, wo und in welcher Form» das Thema an der Hochschule vertreten sei. Doch es wirkt perfide, dass ausgerechnet der fachlich darauf fokussierte Master sich grundlegend verändern soll. Am Beschluss, den Master in der vorliegenden Form nicht weiterzuführen, hält die Hochschule fest. Nachvollziehbare Gründe dafür liefert sie nicht. Man kommuniziere «so konkret und verbindlich wie zum jeweiligen Zeitpunkt möglich», so die Medienstelle. Zum ebenfalls kritisierten fehlenden Einbezug der Hochschulöffentlichkeit heisst es lapidar, dass strategische Grundsatzentscheide von der Hochschulleitung gefällt würden und «nicht basisdemokratischen Prinzipien folgen» könnten.
Davon ist in der Petition indes gar nicht die Rede. Gefordert wird vielmehr, dass Entscheidungen nachvollziehbar sind und dass es eine öffentliche Anhörung zu diesen gibt. Im weiteren Prozess soll eine Expert:innengruppe einbezogen werden. Dass eine Evaluation Teil der Veränderungen ist, darüber sind sich Petitionär:innen und Hochschulleitung sogar einig. Den Richtungsentscheid hat Letztere allerdings bereits getroffen – notabene ohne die Resultate der laufenden, regulären Evaluation abzuwarten.
Neoliberaler Duktus
Und es steht noch mehr Veränderung an – auch im ganzen Departement Kulturanalysen und Vermittlung. Dessen Leiter hat sein Amt nur noch bis Ende Februar 2026 inne. Mit ihrer Hoffnung, dass diese Neubesetzung priorisiert wird, stossen die Mitarbeiter:innen auf taube Ohren. Die Stelle wird vorerst nicht ausgeschrieben. Die Medienstelle lässt verlauten, man überarbeite aktuell die «Organisationsstruktur» der Hochschule, was Auswirkungen auf die Stellen der Departementsleitungen habe. Das dürfte die Nervosität über die Zukunft des Departements wohl eher steigern als besänftigen.
Veränderung war in den letzten Jahren an der ZHdK eine Konstante, nicht zuletzt mit der Umstellung auf das Haupt-und-Nebenfach-Prinzip. Letztes Jahr hat die Hochschule zudem ihre vierjährigen Strategiezyklen durch eine sogenannte «Living Strategy» ersetzt. Aktuell plant die Leitung, «überdepartementale Innovationscluster» einzuführen, um «Synergien» zu nutzen. Das klingt alles mehr nach einem börsenkotierten neoliberalen Unternehmen als nach einer Kunsthochschule.
Wie sich der Master Transdisziplinarität in den Künsten künftig entwickeln könnte, bleibt unklar. «Für den nun folgenden Prozess eröffnen sich etliche Möglichkeiten der Form», schreibt die Medienstelle. Ebenso schwammig bleibt laut Kostudienleiter Müller, was «mittelfristig» zeitlich bedeutet. Fest steht, dass die aktuell im Master Transdisziplinarität eingeschriebenen Student:innen ihr Studium in bestehender Form abschliessen können. Das gelte auch für die darauffolgenden, sagt Müller. Ohnehin könne die Hochschulleitung nicht im Alleingang über die Einstellung des Masters entscheiden. «Von einer Aufhebung ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Rede», beteuert auch die Medienstelle, einmal mehr einigermassen wolkig.
Nachtrag vom 30. Oktober 2025: Neue Departementsleitung an der ZHdK
Es ist eine besondere Qualität der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), Informationen zu Entscheiden mit Tragweite unvermittelt und in vagen Nachrichten weiterzugeben. So war es etwa im September mit der wolkigen Ankündigung, dass der Master Transdisziplinarität in der aktuellen Form mittelfristig nicht weitergeführt wird. Und nun auch mit der Freistellung von Andreas Vogel, Mitglied der Hochschulleitung und Direktor des Departements Kulturanalysen und Vermittlung, in dem auch die Transdisziplinarität angesiedelt ist.
Seine im Sommer eingereichte Kündigung per Ende Februar war bekannt, nun folgt seine Freistellung – und zwar faktisch per sofort: Die Information, dass Vogel seine Tätigkeiten «im gegenseitigen Einverständnis» beende, ging am Montagmittag an die Angehörigen der Hochschule und gilt per Ende Woche.
Angesichts der bereits länger schwelenden Unzufriedenheit im Departement verwundert es nicht, dass bereits am Montagnachmittag erste Protestaktionen auf dem Toni-Areal stattfanden, am Mittwoch zudem ein Stehlunch – da ja das Departement «bald ohne Leitung dasteht».
Ganz stimmt das nicht, zumindest nicht auf dem Papier. Per November übernimmt Christian Brändle die Departementsleitung. Die Rolle fiel ihm als Stellvertreter Vogels zu, wie eine Nachfrage bei der Hochschule ergibt. Brändle fungiert eigentlich seit vielen Jahren als Direktor des Museums für Gestaltung, das Teil der ZHdK ist und auch einen Standort im Toni-Areal hat. «Bis auf Weiteres» übernehme Brändle die Departementsleitung, heisst es vonseiten der Hochschule. Er habe sich dazu bereit erklärt, allerdings nur für eine begrenzte Zeit, «bis zur Nachfolgeregelung». Was das genau bedeutet, bleibt offen, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die Hochschule mit der Ausschreibung von Vogels Nachfolge noch zuwartet, wie sie im September sagte.
Die gewichtigere Frage ist allerdings, wie die Leitung eines Hochschuldepartements – notabene von einem, das sich in einer Phase der Veränderung befindet – in der vermutlich bereits einigermassen vollen Agenda eines Museumsdirektors Platz findet. Kommt es der Hochschulleitung möglicherweise ganz gelegen, jemanden zu berufen, der gar keine Zeit hat, Umwälzungen gross zu hinterfragen?