Der Fall Libyen: Spionage­produkte für den Bürgerkrieg

Nr. 40 –

Trotz Waffenembargo wollte die Intellexa-Allianz den libyschen General Haftar beliefern. Ein abgehörtes Gespräch belegt die Umgehungstricks.

«Wir haben eine Anfrage aus einem superbösen Land, und ich wollte wissen, ob es völlig verboten ist oder welche Möglichkeiten wir haben»: So beginnt Stéphane Salies, der Topmanager der französischen Firma Nexa, ein Telefongespräch mit seinem deutschen Anwalt Kay Höft. Er präzisiert: «Die Anfrage kommt aus Libyen, von der Bengasi-Seite, also aus dem Haftar-Lager.» Das Ziel von Salies: verschiedene Spionageprodukte an General Chalifa Haftar in Ostlibyen zu verkaufen – obwohl Libyen unter einem Waffenembargo der Uno steht, gegen Haftar Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen laufen und seine Regierung international nicht anerkannt ist.

Der WOZ und dem Rechercheverbund EIC liegen eine detaillierte Offerte von Mitgliedern der Intellexa-Allianz an das Regime von Haftar, Gesprächsprotokolle sowie unterschriebene Verträge vor. Auf der Offerte prangen gross die Logos von Intellexa und Advanced Middle East Systems (Ames), der Nexa-Schwesterfirma in Dubai. Angeboten wird der «AlphaSpear», der hochausgerüstete Überwachungsvan mit kombinierten Produkten von Nexa und Intellexa. Unter anderem enthält die Offerte das Angebot von hundert Trojanern der Marke Predator.

Kreative Spurenverwischung

Am 22. November 2020 wird der Vertrag mit dem Haftar-Regime unterzeichnet. Der Wert scheint deutlich tiefer als das ursprüngliche Angebot, was vermuten lässt, dass der Kunde die teuren Intellexa-Tools nicht gekauft hat. Die Endempfängerzertifikate unterschreibt Ahmed M. Alwerfly, bei dem es sich um Mahmud al-Warfalli handeln könnte, einen hohen Militärfunktionär des Regimes, der vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt war und im März 2021 in Bengasi verstarb.

Um die Geschäfte mit dem sanktionierten Land zu verwirklichen, brauchte es einiges an Kreativität, das zeigt ein weiteres Telefongespräch zwischen Salies und Anwalt Höft. Es vermittelt einen Eindruck davon, welche Möglichkeiten von Nexa genutzt wurden, um die Sanktionen zu umgehen: In einem ersten Schritt, heisst es im Gespräch, brauche es dafür ein Endnutzungszertifikat für die Vereinigten Arabischen Emirate, den Sitz von Ames, dann erfolge die Lieferung zur Schwesterfirma. Vor Ort werde die Technologie daraufhin mit anderen Komponenten zusammengeführt. Dadurch entstehe rechtlich gesehen ein neues Produkt. Herkunftsland: die Vereinigten Arabischen Emirate. Die als neu geltenden Produkte könnten dann weiter nach Libyen exportiert werden, ohne dass in Europa das Empfängerland oder der Endnutzer angegeben werden müsste.

Hausdurchsuchungen in Frankreich

Die französischen Ermittler:innen sind Nexa bereits auf der Spur (vgl. «Heisser Draht ins Élysée»). Am 15. Juni 2021 durchsuchen Sicherheitskräfte die Geschäftsräumlichkeiten von Nexa und die Häuser ihrer Topmanager. In einer Befragung durch Polizeibeamte sagt Salies, dass die Produkte noch nicht verschifft worden seien und in einem Hangar zwischengelagert würden. Auch gegenüber dem EIC betonen die Nexa-Verantwortlichen Stéphane Salies und Olivier Bohbot, dass kein Equipment nach Libyen gegangen sei. Zu den Aktivitäten im Land nehmen sie sonst keine Stellung.

* Lorenz Naegeli ist Teil des WAV-Recherchekollektivs: www.wav.info

Internationale Kooperation: Zur Recherche

Gemeinsam mit internationalen Partnern recherchierte die WOZ während über einem Jahr zu den Geschäften der sogenannten Intellexa-Allianz – eines führenden Anbieters von höchst umstrittener Überwachungstechnologie wie zum Beispiel der Spionagesoftware Predator.

Ausgangspunkt für die Recherche waren vertrauliche Dokumente, die das französische Portal «Mediapart» und das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» erhielten. Dabei handelt es sich um Akten aus französischen Ermittlungen sowie um Unterlagen zum deutschen Rüstungskonzern Hensoldt mit Hinweisen auf Intellexa.

Die internationale Recherche hat das Mediennetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) koordiniert. Folgende EIC-Mitglieder waren beteiligt: «Mediapart» (Frankreich), «Der Spiegel» (Deutschland), «NRC» (Niederlande), «Politiken» (Dänemark), «Expresso» (Portugal), «Le Soir» (Belgien), «De Standaard» (Belgien), «VG» (Norwegen), «infolibre» (Spanien) und «Domani» (Italien). Für diese Recherche hinzu kamen «Shomrin» (Israel), «Reporters United» (Griechenland), «Daraj Media» (Libanon), die «Washington Post» (USA) und die WOZ. Unterstützt wurden sie fachlich vom Security Lab von Amnesty International.

Die Publikation erfolgt zeitgleich in den beteiligten Medien. Die Partner werden in den kommenden Tagen weitere Berichte veröffentlichen. Auch auf www.woz.ch und in der nächsten Ausgabe folgen zusätzliche Beiträge.

Predator Files Logo

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen