Mobilität: Autos hassen

Nr. 23 –

Feuer und Flamme der Autogesellschaft: Argumente für die gepflegte Debatte mit dem SUV-Fan von nebenan.

Foto: Dimi Anastassakis, Getty

Ein Würfel narrt die Fahnder

«Ich halte brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel», offenbart uns Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, in einem Song. Das ist allerdings noch untertrieben: Als ab 2007 eine Autobrandserie Berlin heimsuchte, rieb sich die Boulevardpresse die Hände: Angst und Schrecken in der Nachbarschaft! Chaoten! Bilder, die knallen – und das fast jeden Tag! Waren die Anschläge zunächst auf politische Motive zurückzuführen (Kampf gegen Gentrifizierung), sorgte die Presse dafür, dass bald alle mitmachen durften. Ein «Autozündler» verriet 2012 dem «Tagesspiegel», wie er auf den Geschmack gekommen war: «Aus einer Boulevardzeitung hatte auch Rick erfahren, wie es geht. Grillanzünder auf den Autoreifen legen, anzünden, weglaufen, fünf Minuten später brennt der Reifen, nach zehn Minuten ist das Auto ein Wrack.»

Es war diese niederschwellige Methode mit Zeitverzögerung, die die Behörden zur Verzweiflung brachte. Damit erklärt sich auch, warum trotz Mobilfunk-Rasterfahndung, Helikoptereinsatz und «linguistischer Analysen» von BekennerInnenschreiben nur ein Teil der Brände aufgeklärt wurde. 2011, auf dem Höhepunkt der Serie, waren in Berlin über 700 Fahrzeuge ausgebrannt.

Auch im beschaulicheren Biel kam es in jener Zeit zu einer Autobrandserie. Bei rund vierzig Fällen aus dem Zeitraum von August 2011 bis Mai 2012 sei die Täterschaft trotz intensiver Ermittlungen «nach wie vor unbekannt», wie die Berner Kantonspolizei mitteilt. Nicht eingehen will sie auf unsere Vermutung, dass der ausbleibende Fahndungserfolg mit der Anzündwürfelmethode zu tun haben könnte. Überführt wurden hingegen einzelne Brandtouristen: Sie hatten ihre Autos in der Hoffnung auf Versicherungsgelder nach Biel gefahren und dort selber abgefackelt.

Das Autoanzünden ist aber auch abgesehen vom Straf- und Zivilrecht eine heikle Angelegenheit: Greifen Flammen etwa auf Häuser über, sind Menschen in Gefahr, was nicht nur bei Bränden in Einfahrten oder Garagen droht. So warnten Berliner Autonome erst kürzlich, dass in Hanglage parkierte Fahrzeuge im Vollbrand davonrollen können. Ferner entstehen – besonders wenn es sich um Elektroautos handelt – giftige Gase, und auch das Löschwasser wird kontaminiert: keine guten Voraussetzungen für BrandstifterInnen, die ökologisch argumentieren wollen. Ferner stellt sich die logistische Frage, ob den derzeit 4,7 Millionen in der Schweiz zugelassenen Personenwagen mit dieser Methode adäquat beizukommen wäre – zumal abgebrannte Fahrzeuge meist ersetzt werden, was in erster Linie SVP-Autoimporteur Walter Frey freuen dürfte.

Beim «starken Ausdrucksmittel» Autobrand überwiegen also Risiken und Nebenwirkungen. Lassen Sie den Anzündwürfel besser zu Hause und setzen Sie in Ihrem Kampf gegen das Auto auf alternative Methoden (vgl. «Was tun?» am Schluss dieses Textes). Da ist auch Schorsch Kamerun bei Ihnen, die eingangs zitierte Liedzeile endet nämlich so: «… getraue mich aber nicht, eines anzuzünden, da ich viele Freunde habe, die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.»

Freiheit? Knechtschaft auf vier Rädern!

Autos waren nie ideologisch neutral. Schon in den Anfängen war der Klassencharakter des neuen Fortbewegungsmittels nicht zu übersehen: Es war Statussymbol derer, die es sich leisten konnten und zeigen wollten, dass sie auf der Höhe der Zeit standen. Zumindest in den USA wurde das Auto aber schnell zur Massenware, was vor allem Henry Fords berühmtem Modell T zu verdanken war: Millionenfach rollte die «Tin Lizzie» von den Fliessbändern der Fabriken in Detroit. In Europa setzte die Demokratisierung des motorisierten Verkehrs erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein, auch wenn die Devise «Ein fahrbarer Untersatz auf vier Rädern für alle!» schon früh prominente Fürsprecher hatte. So forderte etwa ein gewisser Adolf Hitler, dass das Auto «nicht länger Luxusmittel bleiben» dürfe, sondern «zum Gebrauchsmittel werden» müsse.

Jedenfalls verlor das Auto durch den Massenverkehr zunehmend die Funktion des sozialen Distinktionsmittels, wurde dafür aber mit der Systemkonkurrenz zwischen West und Ost zu dem Konsumgut, in dem sich die Werte der «freien Welt» materialisieren sollten. 1954 meinte der Vizepräsident des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs, der PKW sei Ausdruck einer «nicht-kollektivistischen Gesellschaftsform». Wie wirkungsvoll die ideelle und affektive Verknüpfung von Kapitalismus, Freiheit und Auto war, zeigt sich darin, dass ein Verweis auf den «Trabi» bis heute in Deutschland als schlagendster Beweis für die Absurdität des Sozialismus gilt.

In der jüngeren Vergangenheit hat sich das etwas geändert. So schildert der Politökonom Tobias Haas in einem Aufsatz über den Wandel «automobiler Subjektivitäten», dass es einen Trend zu «intermodalen Mobilitätspraktiken» gebe, was kompliziert klingt, aber schlicht besagt, dass vor allem Jüngere heute unterschiedliche Verkehrsmittel kombiniert nutzen. Andererseits aber werde dies konterkariert durch den anhaltenden Nachfrageboom nach SUVs. Hier erhält das Auto seinen Klassencharakter zurück, denn die eher teuren Geländewagen ermöglichen dem Bürgertum die Abgrenzung von den ProletInnen. Haas zitiert den Verkehrspsychologen Rüdiger Hossiep, demzufolge der Reiz von SUVs vor allem darin liege, dass sie «ein Gefühl der Überlegenheit» vermittelten: «Es geht darum, mit mehr Masse aufzutreten.»

Wenn aber so das Auto von neuem zum Statussymbol wird, so doch mit einer anderen Botschaft als zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Hier haben wir es nicht länger mit dem Fetischobjekt einer Gesellschaft zu tun, die erwartungsfroh in die Zukunft blickt. Vielmehr erwecken die paramilitärisch anmutenden Geländewagen den Eindruck, dass es bereits darum gehe, sich für einen kommenden Bürgerkrieg zu wappnen.

Der Verkehrsexperte Winfried Wolf bezeichnet in seinem neuen Buch «Tempowahn» (Promedia, Wien) die Geländewagen als «Teil einer asymmetrischen Kriegführung im PKW-Alltag». Es gehe darum, «sich panzerartig zu schützen und dadurch andere zu gefährden» – das Risiko, bei einer Kollision mit einem SUV schwer verletzt oder getötet zu werden, sei fünfzig Prozent höher als bei einem Zusammenstoss mit einem konventionellen Auto.

Der SUV ist die Verkörperung autoritär werdender Verhältnisse in Zeiten der Vielfachkrise. Dass diese Autos mit ihrer schlechten Ökobilanz zudem die Klimakatastrophe befeuern, also dazu beitragen, dass sich die allgemeine Eskalationsspirale noch schneller dreht, passt dabei wie der Grillanzünder auf den Hinterreifen.

Das Perpetuum mobile des Asphalts

Wie überall im Leben gilt beim Verkehr: Wer Schweinereien auf die Spur kommen will, folge dem Geld. Etwa 1.70 Franken kostet ein Liter Benzin zurzeit. 73 Rappen davon steckt der Staat an Steuern ein. Damit könnte er viel Sinnvolles anstellen, doch nur ein kleinerer Teil dieser Einnahmen fliesst in die allgemeine Bundeskasse. Der Rest – ergänzt um Gelder aus Automobilsteuer und Autobahnvignetten – ist zweckgebunden für die Verkehrsinfrastruktur. Je mehr also Auto gefahren wird, desto mehr Geld ist da, um Strassen auszubauen, was dazu führt, dass mehr Auto gefahren wird, was wiederum die Einnahmen der Zukunft sichert. Ein Perpetuum mobile des Asphalts.

Vergangenes Jahr kamen so 4,3 Milliarden Franken zusammen, die auch irgendwie wieder ausgegeben werden müssen (siehe WOZ Nr. 6/2020 ). Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat sich «ehrgeizige Ziele» gesetzt, die es damit erreichen will: «Die Anzahl der Staustunden auf den Nationalstrassen soll bis 2030 um ein Viertel gegenüber 2015 zurückgehen.» Weil das Astra das steigende Verkehrsaufkommen als Naturgewalt betrachtet und Massnahmen zur Reduktion des Verkehrs folglich nicht infrage kommen, will es einerseits mit «Verkehrsmanagement» mehr Fahrzeuge durch die bestehenden «Engpässe» bringen, andererseits verspricht es die «Bereitstellung zusätzlicher Verkehrsflächen» (die bereits heute ein Drittel der Siedlungsfläche ausmachen).

CO2-Gesetz: Das Grölen der Autolobby

Verkehrsemissionen machen heute rund vierzig Prozent des Schweizer CO2-Ausstosses aus – die Emissionen des Strassenbaus und der Autoherstellung nicht einberechnet. Und dieser Wert steigt weiter an: Pro Kilometer steht die Schweiz beim CO2-Ausstoss – SUV-Euphorie sei Dank – an der Spitze aller europäischen Länder. Wie steht das Perpetuum mobile der Strassenfinanzierung nun im Verhältnis zu den Klimaschutzbestrebungen? Gerade mal 1,5 Rappen pro Liter fliessen derzeit in die Klimakompensation. Das wirkt mickrig. Genau betrachtet ist es aber nicht einmal das.

Die jährlich etwa 160 Millionen Franken, die so zusammenkommen, verwaltet ausgerechnet eine Stiftung, die von der Erdölvereinigung (heute Avenergy) gegründet wurde. Sie muss damit derzeit fünf Prozent des verkehrsbedingten CO2-Ausstosses kompensieren, was sie natürlich hauptsächlich im Ausland macht, weil das viel billiger kommt (siehe WOZ Nr. 51/2020 ). Dass die Kompensationszertifikate oft nicht halten, was sie versprechen, und bei einem globalen Netto-null-Ziel auch im Inland kein CO2 mehr anfallen darf, spielt bei diesem Kalkül offensichtlich keine Rolle.

Im Februar 1994 forderte eine ExpertInnenrunde aus der Bundesverwaltung erstmals, dass Brenn- und Treibstoffe des Klimawandels wegen mit einer Lenkungsabgabe zu belegen seien. Bei Heizöl und Co. gibt es eine solche längst, doch die Auto- und Erdöllobby weiss mit ihrer PolitikerInnenarmada vor allem aus SVP und FDP seit 27 Jahren jeden Versuch zu sabotieren, der eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffe vorsähe. Auch das CO2-Gesetz, das drei Tage nach Erscheinen dieser WOZ zur Abstimmung kommt, macht da keine Ausnahme. Immerhin: Der Ablasshandel in Form von Kompensationen wird ausgebaut, der maximal zulässige Aufschlag dafür soll 12 Rappen pro Liter betragen. Und, entscheidender: Die Vorgaben an die Autoimporteure bezüglich Emissionen der verkauften Autos werden strenger – auch wenn es weiter Schlupflöcher und nur bescheidene Bussen gibt, wenn sie sich nicht daran halten. Und wo landen diese Bussgelder? Im Topf für den Autobahnausbau!

Warum uns das Auto langsamer macht

Die Kritik am Auto ist fast genauso alt wie dieses selbst. In den Anfängen des motorisierten Individualverkehrs überliess die Bevölkerung die Strassen nicht einfach freiwillig den AutomobilistInnen. Im Kanton Graubünden leistete man dem neuen Verkehrsmittel besonders lange Widerstand, bis 1925 galt ein Autoverbot (siehe WOZ Nr. 26/2020 ), in München gründete sich noch im Jahr 1953 eine «Interessensgemeinschaft für Fussgänger und Radfahrer im Bundesgebiet», die die schöne Parole ausgab: «Fussgänger aller Städte, vereinigt Euch!» Allein: Dieser Kampf war bald schon entschieden.

Trotzdem ist nicht alles verloren, findet sich doch im historischen Fundus der Autokritik so manch auch heute noch Interessantes. Der Philosoph Ivan Illich rechnete in den siebziger Jahren einmal durch, welche Zeitersparnis die Anschaffung eines Autos einer Person real bringt, die bislang zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs war. Illichs überraschendes Ergebnis: Während eine Fussgängerin auf eine Geschwindigkeit von vielleicht vier bis sechs Kilometer pro Stunde kommt, ist man mit dem Auto nur unwesentlich schneller, nämlich keine zehn – ein Tempo, das man auch mit dem Velo locker schafft. Der Clou der Rechnung liegt darin, dass in ihr nicht nur die Zeit enthalten ist, die fürs Tanken, die Parkplatzsuche und Wartung anfällt, sondern auch die Arbeitszeit, um das für den Autokauf nötige Kleingeld zu verdienen.

Und selbst wenn man diese Kalkulation für einen Taschenspielertrick halten sollte, lässt sich jederzeit die deprimierende Dialektik des Temporausches, den ja das Auto theoretisch ermöglicht, am eigenen Leib erfahren: Dafür muss man nur versuchen, wochentags durch die Stadt zu fahren. Wirkliche Freiheit und Geschwindigkeit brächte das Auto allenfalls, wenn man die Strassen für sich allein hätte (weswegen die Autowerbung genau solche unrealistischen Szenerien zeigt), was aber gerade dadurch, dass das PKW-Fahren zum Massensport avancierte, unmöglich wurde.

Sprache: Wider die Auto-Wokeness

Sprache gestaltet Realität – und gerade in Sachen Auto gibt es haufenweise verdächtige Sprachbilder. Die Autobahnen sind das «Rückgrat» des Strassennetzes, der Verkehr «stockt», als sei er Blut – und milliardenteure Tunnels, die in Bern und Luzern gebaut werden sollen, heissen «Bypass». Wer bitteschön will denn da Widerworte wagen und am Ende einen «Verkehrsinfarkt» mitverschulden? Wenn die Autoinfrastruktur-Lobby nicht gerade in die medizinisch-anatomische Metaphernkiste greift, redet sie physikalische Sachzwänge herbei: «Staus» vermeiden, «Verkehrsfluss» gewährleisten, als seien Strassen Gewässer, als würde es Autos aus Wolken regnen.

Der Verkehrs- und Sprachforscher Dirk von Schneidemesser vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam stört sich auch an Begriffen, die zunächst unverdächtig erscheinen: am «Parkplatz» etwa. Das Wort sei erfunden worden, um etwas normal wirken zu lassen, was eigentlich völlig abwegig sei: «Stellen wir uns vor, wir lagern anderes im öffentlichen Raum: Ich stelle etwa ein Sofa an den Strassenrand, darauf ein ‹Bitte nicht draufsetzen›-Schild, daneben einen Kühlschrank für mein Bier. Das klingt absurd, aber das ist eine ähnliche Praxis. Autos werden im öffentlichen Raum gelagert.» In der Stadt Zürich etwa gibt es heute rund 70 000 öffentlich zugängliche sogenannte Parkplätze. Dabei sind öffentliche Räume Schneidemesser zufolge das wichtigste demokratische Gut: «Wenn es die nicht gibt – etwa weil wir uns nur im Auto bewegen –, begegnen wir niemandem ausser bei der Arbeit oder als Kunde. So schotten wir uns ab und verlernen, Bürgerin oder Bürger zu sein.»

Warum also schreibt man in den Städten, wo Rot-Grün über Mehrheiten verfügt, nicht den neuen Begriff «Lagerplätze für ungenutzte Autos» in Gesetze und Reglemente? Statt von Stau könnte man von «Vielzuvielverkehr» sprechen. Und die «Bypass»-Tunnels sind in Wahrheit unterirdische Automagneten.

Faschistisches Design mit Luftwiderstand

Die Geschichte des Autodesigns ist überraschend interessant. So dauerte es erst ein bisschen, bis das Auto überhaupt eine eigenständige Ästhetik entwickelt hatte: Der «Benz Patent-Motorwagen Nummer 1» von 1886, das erste vom deutschen Ingenieur Carl Benz erbaute Auto mit Verbrennungsmotor, hatte nur drei Räder und erinnerte optisch noch stark an eine Pferdekutsche. Erst bei dem 1891 von Émile Levassor erbauten Gefährt verortet man gemeinhin den Ursprung des eigentlich automobilen Designs. Dem französischen Tüftler mag das zwar Nachruhm eingebracht haben, ansonsten allerdings beschied es ihm kein glückliches Los: Levassor starb 1896 an den Folgen eines Unfalls bei einem Autorennen, er gilt als erstes Opfer des Motorsports.

Jedenfalls wird seit mehr als einem Jahrhundert viel Kreativität der Frage geopfert, wie man Autos ansehnlich gestalten kann. Der Firebird I etwa, den General Motors 1953 präsentierte, sah buchstäblich aus wie ein Düsenjet, hatte entsprechend nur einen Sitz und keinen Kofferraum – was womöglich erklärt, warum dieses Modell nie in Serienproduktion ging.

In jüngerer Vergangenheit dominiert der SUV mit seiner Panzerästhetik und dem «Luftwiderstand eines Billy-Regals» (Winfried Wolf) das Strassenbild: Bereits über die Hälfte der verkauften Autos in der Schweiz verfügt über Allradantrieb, 2019 waren das 160 000 neu zugelassene Fahrzeuge. Unheimlich, dass gerade Autos in so martialischem Design so viele Leute ansprechen.

Die wuchtige Erscheinung von SUVs und ähnlichen Modellen lässt an einen soldatischen Männlichkeitstyp denken. Und das ist mehr als eine willkürliche Assoziation: Der US-Autohersteller Dodge beispielsweise bewirbt seine «Muscle Cars» – also für den normalen Strassenverkehr eigentlich übermotorisierte Wagen – mit dem Slogan: «Domestic. Not domesticated». Übersetzt bedeutet das in etwa: «Von hier, aber ungezähmt». Darin tönt nicht nur ein ökonomischer Standortnationalismus à la Donald Trump an, sondern auch ein kaum verhohlener Antifeminismus: Wer sich die Freiheit nimmt, einen Dodge Charger zu fahren, der lässt sich gewiss auch nicht von den Weibern knechten!

2017 brachten übrigens republikanische PolitikerInnen in mindestens sechs Bundesstaaten in Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Bewegung Gesetzesreformen ein, die AutofahrerInnen vor Strafverfolgung schützen sollten, wenn sie mit ihrem Wagen DemonstrantInnen überfahren, wie damals die «Washington Post» berichtete.

Der Hass gilt auch dem E-Auto

Seit einiger Zeit schon bewerben Tabakkonzerne Produkte, die (angeblich) weniger gesundheitsschädlich sein sollen. So versucht Philip Morris, sogenannte «Iqos»-Sticks an die Frau zu bringen, in denen der Tabak nicht verbrannt, sondern nur erhitzt wird, was den zu inhalierenden Dampf weniger krebserregend machen soll. «Iqos» steht dabei für «I quit ordinary smoking»: Ich habe das gewöhnliche Rauchen aufgegeben. Wobei die Konsumentin natürlich nach wie vor nikotinsüchtig bleibt.

Ziemlich analog verhält es sich mit der Elektromobilität, mit der die Autoindustrie ihren Geschäftszweig fit für die Zukunft machen will. Die Ökobilanz eines E-Autos mag dabei besser sein als die eines Verbrenners. Trotzdem ist auch das E-Auto ein Problem fürs Klima, da die Produktion enorm ressourcenintensiv ist. Vor allem aber bleibt es auch hier beim offenkundigen Widersinn, dass Tonnen Metall in Bewegung gesetzt werden müssen, um Personen zu befördern, die einen Bruchteil dieses Gewichts auf die Waage bringen. Das Nikotin der Autobranche ist der Individualverkehr. Dabei gabs vom Velo bis zu Tram und Zug schon vor dem Auftreten des Autos längst gute Alternativen, die einen Umstieg eigentlich spielend leicht machen würden – zumindest in den Städten.

Was tun?

Widerstand auf nationaler Bühne ist schwierig – Autokritik ist ein politisches Wagnis in einem Land, in dem fast achtzig Prozent der Haushalte mindestens einen Wagen besitzen. Vergangene Volksinitiativen sind entsprechend deutlich durchgefallen. Immerhin unterstehen die jeweils im Nationalrat behandelten Autobahn-Projektlisten seit ein paar Jahren dem Referendum – ergriffen wurde es aber noch nie.

Seitens der Behörden wird so getan, als hätte bei Ausbauten der Nationalstrassen die Bevölkerung vor Ort etwas mitzureden. Ein solcher «Partizipationsprozess» läuft derzeit zum erwähnten Bypass-Tunnel in Bern, organisiert vom Astra und der PR-Agentur Farner. Markus Heinzer vom autobahnkritischen Verein Spurwechsel nimmt daran teil – und ist ziemlich desillusioniert: «Die Partizipation ist gar nicht auf Mitbestimmung angelegt. Da sitzen zur Hälfte Behördenvertreter. Und die Beschlüsse sind ohnehin längst gefällt worden.» Sich lokal zu organisieren, sei dennoch sinnvoll, sagt Heinzer. In Biel ist es vor einem halben Jahr durch lokalen Widerstand gelungen, das Autobahnprojekt Westast zu verhindern: ein Erfolg, den zahlreiche lokale Gruppen nachzuahmen versuchen, die sich letztes Jahr in einem nationalen Netzwerk organisiert haben und sicher noch MitstreiterInnen suchen (https://spurwechsel-bern.ch/nationales-netzwerk-gegen-den-ausbau-von-au…).

Auf lokaler Ebene sind in städtischen Gebieten oft Volksmehrheiten für eine progressive Mobilitätspolitik zu gewinnen. In Bern etwa wurden seit den neunziger Jahren erstaunliche Erfolge bei der Zurückdrängung der Autos erzielt – in anderen Städten wie Zürich ist auch nach über dreissig Jahren rot-grüner Regierungsmehrheit wenig Motivation in diese Richtung zu spüren. Den Gemeindeverwaltungen Beine machen sollen jetzt die Stadtklima-Initiativen der Organisation Umverkehr, die gleich in sechs grösseren Städten eingereicht werden sollen. Jährlich soll ein Prozent des öffentlichen Strassenraums dem motorisierten Individualverkehr entrissen und je zur Hälfte zu Grünraum und Flächen für den Fuss- und Veloverkehr werden. Das klingt moderat, würde in der Praxis aber ziemlich schnell den Abbau von Fahrspuren und Autolagerplätzen bedeuten. Unterschriften werden derzeit in Basel, Zürich, Winterthur und Genf gesammelt (www.umverkehr.ch).

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Schliesslich gibt es zahllose Möglichkeiten zum zivilen Ungehorsam: von der Party auf dem Autolagerplatz über Strassenblockaden bis hin zu kollektiven Velofahrten à la Critical Mass (jeden letzten Freitag im Monat, von La Chaux-de-Fonds bis St. Gallen, Treffpunkte: www.umverkehr.ch/aktuell/2020-05-19/wir-sind-der-verkehr). Aber Vorsicht, solcher Aktivismus birgt auch Risiken, wie Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, weiss: «Das Auto ist heilig, ein richtiges Tabu. Schon bei meinem Einsatz für die Initiative ‹Züri autofrei› lernte ich: bei Aktionen niemals ein Auto anfassen. Für manche Leute ist das ein körperlicher Übergriff. Die drücken dann aufs Gas!»