Durch den Monat mit Andrea Staka (Teil 4): Sind Sie Teil der Szene?

Nr. 38 –

Andrea Staka: «Es muss ein Unterschied zwischen Kommerz- und Autorenfilm gemacht werden.»

Wie ist Ihr Verhältnis zur Schweizer Filmszene?
Ich bin während meines Studiums an der HGKZ (Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich) langsam in diese Szene hineingewachsen. Ich sehe mich als einen Teil der Schweizer Filmszene. Positionieren kann ich mich selbst nicht, das müsste jemand anderer tun. Ich finde es schön, dass meine bisherigen Filme mit ihrer Thematik immer als Schweizer Filme betrachtet und gefördert wurden. Ohne das könnte man ja keine Filme realisieren.

Wird die Filmszene in Zukunft von Frauen stark mitgeprägt sein?
Es gibt immer mehr jüngere Frauen, so im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die auch Filmschulen besucht haben und wirklich spannende Filme machen, das ist super. Diese «Welle» hat sicher damit zu tun, dass für meine Generation – und für eine Generation vorher zum Teil auch schon – Schule und ein Studium nach eigener Wahl selbstverständlich geworden sind. Das hat uns die Frauenbewegung ermöglicht, davon profitieren wir jetzt. Heute nehmen sich mehr Frauen das Recht, kreativ zu sein. Und ich meine, sie haben auch mehr zu sagen.

Wie gehen Sie damit um, dass immer noch Männer das Filmbusiness dominieren?
Die Filmszene ist tatsächlich immer noch sehr männlich dominiert. Das hat auch damit zu tun: Regie führen ist ein harter Job. Wenn man zum Beispiel fünfzig oder sechzig Leute um sich herum stehen hat und sie führen muss, kann das knallhart sein. Doch je mehr Frauen Regie führen, desto mehr gewöhnen sich alle an eine etwas andere Arbeitsweise. Mir hilft es zu wissen, dass es noch andere Frauen gibt, die das machen. Das gibt mir mehr Sicherheit.

Wie empfinden Sie den gegenwärtigen kommerziellen Erfolg von Schweizer Filmen?
Ich finde es gut, dass kommerzielle 
Filme gemacht werden, sie bringen das Publikum ins Kino, sensibilisieren die Leute auf Schweizer Filme, machen ihnen Lust darauf. Davon profitiert auch das Autorenkino. In einem Land, in dem Kulturförderung betrieben wird, muss es aber für beides Platz geben. Ich fände es absolut unspannend, wenn in der Schweiz nur noch Autorenfilme oder nur noch kommerzielle Filme unterstützt würden. Das ist wie mit der Diskussion um das Asylgesetz, wie wenn man fragen würde: Ist es besser, wenn jemand nur eine Sprache spricht – oder zwei? Und wenn die Antwort dann wäre: eine. Vielschichtigkeit bedeutet Reichtum. Manchmal geht ja auch beides, ein Beispiel ist «Vitus» von Fredi Murer, ein Autorenfilm, der beim Publikum Erfolg hatte.

Sie haben also keine Angst, dass am Ende für nichtkommerzielle Filme keine Fördergelder mehr vorhanden sind?
Doch, schon. Deshalb ist es ja so wichtig, dass beides Platz hat. Hier in der Schweiz wird ja nicht wie in Amerika nur privat investiert. Kulturelles Erbgut, Kunst ist wichtig für ein Land. In der Kunst wird ein Zeitgeist ausgedrückt. Das sollte auch auf eigenwilligere, individuellere, weniger zahlenorientierte Art möglich sein. Wenn das verloren geht, ist ein Land wirklich arm.

Was können da Preise wie der Leopard von Locarno beeinflussen oder verändern?
Dass in Locarno dieses Jahr ein nichtkommerzieller Film den Goldenen Leoparden gewonnen hat, rüttelt vielleicht manche kommerziell ausgerichteten Filmleute auf. In Locarno diskutierten wir jeden Tag über die Filmförderung, oft auch mit Pascal Couchepin und 
Nicolas Bideau. Das Positive an den Diskussionen ist meiner Meinung nach, dass offen diskutiert wird. Und dass man sagen kann, was man darüber denkt.

Und Ihre Meinung fand Gehör?
Das werde ich bei der Auswertung meines neuen Filmes genauer sehen.

Was müsste Ihrer Meinung nach im Schweizer Filmproduktionsmarkt verändert werden?
Grundsätzlich finde ich die Verhältnisse hier gut. Und die zum Teil heftigen Diskussionen um die Filmförderung haben einen starken Elan ausgelöst; ich hoffe, dass der noch recht lange anhält. Das Wichtigste ist mir, wie gesagt, dass ein Unterschied zwischen Kommerz- und Autorenfilm gemacht wird und dass beides gefördert wird, Punkt. Nur das müssen sie begreifen.

Andrea Stakas neuer Spielfilm «Das Fräulein» war der einzige Schweizer Film im internationalen Wettbewerb des diesjährigen Filmfestivals von Locarno; die junge Regisseurin gewann dort mit diesem Autorenfilm den 1. Preis, den Goldenen Leoparden, und kurz darauf am Sarajevo-Filmfestival den Hauptpreis Heart of Sarajevo.