Durch den Monat mit Seraina Rohrer (Teil 1): Haben Sie keine Angst vor der Enge?

Nr. 31 –

Eigentlich wollte Seraina Rohrer ihre Dissertation fertig schreiben, bevor sie sich für eine neue Stelle bewerben würde. Doch es kam anders: Nun ist sie die neue Leiterin der Solothurner Filmtage.

Seraina Rohrer: «Die ganze Filmlandschaft verändert sich so schnell, dass ich in Solothurn wohl nie das Gefühl haben werde, zweimal dasselbe zu machen».

WOZ: Ende Mai wurde bekannt, dass Sie die neue Leiterin der Solothurner Filmtage sind. Am 1. August haben Sie Ihre Stelle offiziell angetreten. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?
Seraina Rohrer: Ich habe mich eingearbeitet: Einerseits habe ich viele Leute getroffen und zugehört, wie sich die Solothurner Filmtage in letzter Zeit entwickelt haben. Ich habe das Team kennengelernt: Während des Festivals arbeiten über 250 Leute hier mit, viele als Volontäre; das engere Team der Geschäftsstelle besteht aus acht Mitarbeitenden. Dann bin ich bei den Verbänden und Branchenvertretern vorbeigegangen und habe mich in meiner neuen Funktion vorgestellt.
Andererseits hat mich mein Vorgänger Ivo Kummer bei den offiziellen Stellen eingeführt: beim Bund, bei der SRG, bei den Sponsoren. Ausserdem machte ich mir Gedanken darüber, was ich an den Filmtagen im kommenden Jahr ändern möchte.

Was wird das sein?
Das kündige ich in Locarno während des Filmfestivals an.

Als Sie die Stelle als Leiterin der Filmtage ausgeschrieben sahen, war es für Sie klar, dass Sie sich bewerben werden?
Nein, überhaupt nicht. Ich war noch mit dem Schreiben meiner Dissertation beschäftigt. Darin geht es um transnationale Low-Budget-Filme, im Fokus steht die mexikanisch-US-amerikanische Grenze. Ich hatte mir fest vorgenommen, mich erst für eine Stelle zu bewerben, wenn die Arbeit fertig geschrieben ist. Doch verschiedene Leute aus der Branche und mehrere Freunde motivierten mich und meinten, ich soll mich doch für die Stelle bewerben. Da dachte ich, ich probiers mal. Während des Bewerbungsverfahrens merkte ich dann immer mehr, wie sehr das Profil der Stelle auf mich passt.

Inwiefern?
Der Job verlangt sowohl kuratorische wie auch kommunikative beziehungsweise organisatorische Fähigkeiten – was mir sehr entspricht. Nach einem Jahr Dissertationschreiben hatte ich extrem Lust, wieder mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Ausserdem habe ich durch meine Arbeit in Locarno als Leiterin des Pressebüros jahrelange Festivalerfahrung und weiss, dass mir diese Arbeit liegt – und ganz wichtig: Ich interessiere mich sehr für den Schweizer Film.

Die Solothurner Filmtage sind eine Werkschau des Schweizer Films und widerspiegeln demnach auch den Zustand des Schweizer Films wieder …
… und dieser verändert sich dauernd. Genau das finde ich extrem spannend. Ich habe die Chronik der Filmtage angeschaut, und es ist wahnsinnig, wie sich die Schweizer Filmlandschaft während dieser Zeit verändert hat. Als vor 47 Jahren die ersten Filmtage stattfanden, gab es noch keine Filmausbildung in der Schweiz und auch keine Filmförderung. Es gab gerade mal das Filmfestival Locarno, sonst kaum was. Auch das Filmemachen hat sich verändert: Das Filmschaffen kann heute nicht mehr nur lokal gedacht werden, die internationale Perspektive wird immer wichtiger. In der Schweiz sind die drei Sprachregionen als Märk­te so klein, dass man über die Grenze hinaus denken und häufig internationale Koproduktionen anstreben muss. Die ganze Filmlandschaft verändert sich so schnell, dass ich in Solothurn wohl nie das Gefühl haben werde, zweimal dasselbe zu machen.

An den Filmtagen finden von jeher film­politische Diskussionen und Auseinandersetzungen statt. Ihr Vorgänger Ivo Kummer hat sich immer sehr engagiert in die Diskussion eingeschaltet.
Das war sicher Ivo Kummers Stärke. Ich selbst werde mich auch filmpolitisch äussern. Doch ich hoffe, dass in der Branche bald etwas Ruhe einkehren wird, damit man sich wieder aufs Filmemachen konzentrieren und wieder mehr über Filminhalte reden kann. Ich halte viel von konstruktiven Diskussionen; sich einfach ständig zu beklagen, ist ehrlich gesagt, überhaupt nicht mein Stil. Dass Solothurn weiterhin Ort der Debatte bleibt, finde ich wichtig, aber ich werde nicht genau in Ivos Fussstapfen treten.

Sie haben für ihre Dissertation während eines Jahrs in den USA gelebt, in Los Angeles, seit gut einem Jahr sind Sie nun wieder in Zürich. Haben Sie denn gar keine Angst vor der Enge in Solothurn?
Solothurn ist sicher ein kleiner Ort, aber genau das ist auch ein Vorteil: Das Festival-Feeling kommt so in der ganzen Stadt auf – das ist etwas, das bei allen erfolgreichen Festivals passiert: In Cannes, Locarno oder Venedig finden die Festivals auf kleinem Raum statt, und ihre Atmosphäre durchdringt jeweils den ganzen Ort. In Zürich oder Los Angeles funktioniert das viel weniger, finde ich, da gibt es zu viele Leute, die aus anderen Gründen die Stadt besuchen. In Solothurn hingegen kommen während der Filmtage alle aus diesem Grund hierher: um Filme zu sehen und über diese zu reden. Und das ist genau das Schöne.

Seraina Rohrer (33) ist die neue Leiterin der Solothurner Filmtage, die vom 19. bis 26. Januar 2012 stattfinden. Am 9. August wird sie am Filmfestival Locarno informieren, was für Pläne sie für die 47. Solothurner Filmtage hat.