Durch den Monat mit Josef Zisyadis (1): Sind Sie ein Cüplisozialist?

Nr. 23 –

Im letzten Herbst trat der Waadtländer Kommunist Josef Zisyadis aus dem Nationalrat zurück. Nun vermisst er es manchmal, dort herumzubrüllen. Dafür kümmert er sich jetzt um die schweizweite «Semaine de Goût» und findet, dass die Linke wieder lernen müsse, das Leben zu geniessen.

Josef Zisyadis vor der Zürcher Rio-Bar: «Wenn wir die Leute von linker Politik überzeugen wollen, müssen wir ihnen Lust darauf machen: gut essen, gut trinken, lachen, feiern.»

WOZ: Herr Zisyadis, im letzten Herbst sind Sie als letzter kommunistischer Nationalrat zurückgetreten. Wie ist das Leben abseits der grossen politischen Bühne?
Josef Zisyadis: Nun, es machen sich alle Sorgen um mich. Ich höre dauernd: «Mais ça va?», «C’est bon?», «Hältst du es aus ohne Parlament?». Ich habe wirklich gar kein Problem. Ich war zwanzig Jahre im Nationalrat, das reicht, ich bin sehr glücklich. Ich habe viel gegeben, habe immer noch die gleichen politischen Ideen. Ich glaube immer noch daran, dass wir Bürgerbewegungen brauchen, um die wirklich wichtigen Dinge zu verändern. Mais voilà, man kann nicht für immer in einem Parlament sitzen. Es liegt nun ein neues Leben vor mir.

Aber fehlt Ihnen nicht die Aufmerksamkeit, die Sie mit Ihren Parlamentsauftritten immer wieder erzeugt haben?
Nein, ich war ja als Vertreter der Partei der Arbeit in einer sehr kleinen Partei, da ist man es gewohnt, nicht immer gehört zu werden. Ausserdem verfolge ich die politische Aktualität dauernd, egal ob in der Schweiz oder auf internationaler und globaler Ebene. Natürlich gibt es dann Tage, an denen ich Lust habe, ins Parlament zu gehen und dort rumzubrüllen. Umgekehrt gibt es sehr viele Dinge, die sich auf der Welt heute bewegen, und da verspüre ich Lust, mitten ins Zentrum der Ereignisse zu gehen: zum Beispiel nach Griechenland, nach Lateinamerika oder nach Spanien. Im Vergleich zu den Ereignissen an diesen Orten sind das Berner Parlament und die Schweiz als Ganzes ein Ort der Ruhe und der Glückseligen.

Nun organisieren Sie aber die «Semaine de Goût». Mit dieser Genusswoche, die im September in der ganzen Schweiz stattfindet, bilden Sie doch die Speerspitze des schweizerischen Cüplisozialismus.
In gewisser Weise, ja. Aber ich sah mein Engagement für die «Semaine de Goût» noch nie als Hedonismus. Für mich ist die Frage nach der Ernährung nicht sekundär. In meiner Partei haben das alle immer belächelt. Bis Jean Ziegler sein Buch über den Hunger herausbrachte. Plötzlich sagten alle: Nun, vielleicht hat der Zisyadis nicht ganz unrecht, sich diesen Problemen auf diese Art und Weise zu stellen.

Für mich ist die Auseinandersetzung mit unserer Ernährung nicht einfach nur eine nette Art, Zeit totzuschlagen. Es geht hier um politische Fragen, um Fragen der Landwirtschaft. Hinter Letzteren versteckt sich die Zukunft unseres Planeten! In der Schweiz können wir heute darüber entscheiden, ob wir die Landwirtschaft, ob wir unsere Ernährungssouveränität aufgeben wollen. Wir können also entscheiden, ob wir den ganzen Mist essen, den die Multis produzieren. Wir können damit täglich problemlos leben. Es geht aber viel mehr darum, was wir im Kopf haben werden, als im Magen, was unsere Beziehungen zur Umwelt sind, wie wir die soziale Frage in Zukunft stellen wollen. All diese Fragen stecken in der Frage nach der richtigen Ernährung. Wir werden jeden Tag damit konfrontiert: Ist dieser Kaffee hier solidarisch produziert oder nicht? Wer hat ihn geröstet?

Hier in der Zürcher Rio-Bar ist er vermutlich nicht solidarisch …
Nein, wohl nicht.

Sie sehen die «Semaine de Goût» also als eine Chance, das Bewusstsein für diese Fragen in der ganzen Schweiz zu schärfen.
Ja. Das ist das Wesentliche meiner Arbeit. Von den 1500 Anlässen, die im September stattfinden werden, gehen sehr viele in Schulen über die Bühne. Es geht nicht darum, aus lauter Vergnügen schicke Restaurants zu bespielen. Wir werden auch viele Produzenten besuchen. Denn wenn Sie wissen, was Sie essen, geben Sie auch dem Produzenten ein Gesicht. Damit verändert sich die Beziehung, die wir zur Nahrung haben, komplett. Dann werden Sie keine Scheisse mehr kaufen. Ich gehe seit Jahren nicht mehr in die grossen Läden. Ich gehe nur zu lokalen Produzenten, zu denen ich eine Beziehung habe. In Lausanne haben wir mehrere Direktverkaufsprojekte lanciert.

Wollen Sie die Linke mit dem guten Leben versöhnen?
Ja, weil ich die Schnauze voll habe von einer traurigen, protestantischen Linken, die nicht feiern kann. Wenn wir die Leute von linker Politik überzeugen wollen, dann müssen wir ihnen Lust darauf machen. Und Lust machen heisst: gut essen, gut trinken, lachen, feiern. Die Linke muss sich verändern. Bis jetzt hat sie immer gesagt: Morgen wird es sehr viel besser sein. Aber nein: Zeig jetzt schon in deinem täglichen Leben, dass du bereits anders bist. Ich habe genug von den Linken, die auf das grosse Übermorgen warten, im täglichen Leben aber nichts ändern. Das geht nicht, wir müssen kohärent sein.

Was heisst das konkret?
Wir müssen schlicht unsere Essgewohnheiten verändern. Das ist das Einfachste, was wir machen können. Es stimmt auch nicht, dass eine lokal ausgerichtete, gute Ernährung teurer ist. Wir müssen den Leuten zeigen, dass sich der Einkauf bei der grossen Lebensmittelindustrie auch finanziell nicht lohnt. Wir müssen die Macht über unser alltägliches Leben zurückgewinnen.

Der Lausanner Pfeifenraucher Josef Zisyadis (56) sass mit einem Unterbruch von 1996 bis 1998, 
als er Waadtländer Regierungsrat war, zwanzig Jahre für die Partei der Arbeit (PdA) im Nationalrat. Auf seiner Website finden sich 
neben politischen Texten auch ein paar gute Kochrezepte: www.zisyadis.ch.