Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 1): Soll Richard Wolff wieder kandidieren?

Nr. 2 –

Manuela Schiller ist Mitglied der Alternativen Liste (AL) Zürich und vertritt als Anwältin Opfer von Polizeiübergriffen. Sie erklärt, wieso sie dennoch nicht mit dem Finger auf ihren Parteikollegen und Polizeivorsteher Richi Wolff zeigen will.

Manuela Schiller: «Es gab bisher keine Anzeichen, dass sich die AL korrumpieren lässt und unsere Gemeinderatsmitglieder anders entscheiden, nur weil wir jetzt im Stadtrat vertreten sind.»

WOZ: Manuela Schiller, im Februar wird in Zürich der Stadtrat neu gewählt. Mit dabei auch der Stadtrat der Alternativen Liste, Richard Wolff, dessen Wahl im vergangenen Mai für viel Aufsehen sorgte. In einem Eintrag auf dem AL-Blog stellten Sie die Frage, ob es möglich sei, Oppositionspartei zu sein und dennoch in die Exekutive zu gehen. Inwiefern verstehen Sie die AL als Oppositionspartei?
Manuela Schiller: Wir leben in einer rot-grün regierten Stadt, das heisst, in der Politik sollten die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht die Autos und nicht die Wirtschaft. Dafür gibt es in Zürich Mehrheiten. Dennoch sind wir von der AL nicht mit allem einverstanden, was entschieden wird. Wir sind zwar grün, aber nicht per se für Velofahrer und gegen Autofahrerinnen. Genauso wenig sind wir prinzipiell für Stellenausbau und gegen Sparmassnahmen. Wir stellen uns auch nicht immer gegen die Polizei, auch wenn uns das oft unterstellt wird. Man muss immer die konkrete Fragestellung anschauen, im Einzelfall entscheiden und dabei auch mal den Mut haben, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen. Das ist das Markenzeichen der AL.

Hat sich die AL seit Wolffs Wahl verändert?
Natürlich, eine Partei ist ja kein statisches Gebilde. So haben wir jetzt schon einen grösseren Mitgliederzulauf, mehr Interessenten und Aktivistinnen. Und diese neuen Leute verändern jeweils auch den Charakter einer Partei.

Ist das gut?
Grundsätzlich ja. Die Frage ist, wer kommt. Sind das fantasievolle, kämpferische Leute? Oder sind das diejenigen, die früher zur SP oder zu den Grünen gingen, weil sie sich dort ein Jöbbli erhofften, das sie jetzt auch bei der AL bekommen können? Früher konnte man als AL-Mitglied nicht Richterin oder Staatsanwalt werden. Seit wir in der Interparteilichen Konferenz des Bezirks Zürich sind, ist es nun möglich. Also kommen jetzt auch gute Juristinnen zu uns, die Richterinnen werden wollen. Das hat Vorteile, weil wir so über mehr Know-how verfügen. Es kann aber auch eine Gefahr sein.

Inwiefern?
Ich beobachte, dass sich zum Beispiel die Jusos und die Jungen Grünen erschreckend schnell in den Machtapparaten niederlassen und brav werden, auf nationaler Ebene, aber auch im Zürcher Gemeinderat. Auch wir von der AL kritisieren die Kompromisse und die Konkordanzdemokratie in der Schweiz, fühlen uns dann aber doch auch irgendwie wohl darin. Es ist schwierig, sich dem zu entziehen.

Sie unterstützen dennoch Richi Wolffs erneute Kandidatur?
In der kurzen Zeit seit Mai konnte er seine Fähigkeiten nicht wirklich unter Beweis stellen. Im Fall einer Wiederwahl hat er vier Jahre Zeit, dies zu tun. Ich gehe davon aus, dass er wohl bei der Polizei bleiben wird. Wir werden sehen, was das für Richi Wolff und für die AL bedeutet. Es wird sich also zeigen, ob wir den Mut haben, falls es nicht gut war, nicht mehr zu kandidieren. Oder ob wir, wie die anderen Parteien, Gefallen an der Macht finden. Wir müssen nach vier Jahren ehrlich Bilanz ziehen.

Fürchten Sie um die Unabhängigkeit der AL?
Es gab bisher keine Anzeichen, dass sich die AL korrumpieren lässt und unsere Gemeinderatsmitglieder anders entscheiden, nur weil wir jetzt im Stadtrat vertreten sind. Wer sich anpassen muss, ist Richi Wolff selbst, ob er will oder nicht. Das bringt ein Exekutivamt mit sich. Ähnlich verhält es sich mit Richterinnen und Staatsanwälten. Diese müssen das Gesetz anwenden, wobei der Ermessensspielraum oft sehr gering ist. So wie etwa im Fall des als «Carlos» bekannt gewordenen jugendlichen Straftäters. Das Obergericht hat seine Beschwerde gegen die Verlegung ins Massnahmenzentrum Uitikon abgewiesen. Es berief sich dabei in erster Linie auf die Sicherheit, sowohl für den Jugendlichen selbst als auch für Dritte. Diese Argumentation liegt im Rahmen des Gesetzes.

Die Frage ist: Gab es einen Weg oder einen Spielraum, um anders zu entscheiden? Manchmal ist es möglich, manchmal aber auch nicht. Genau deswegen wollte ich nie Richterin werden, ich will nicht so ein Urteil fällen müssen. Genauso wenig möchte ich Stadträtin sein. Daher kann und will ich auch nicht mit dem Finger auf Richi Wolff zeigen und ständig Kritik üben, wenn er Sachen macht, die ich nicht gut finde.

Sie vertreten als Anwältin immer wieder Opfer von Polizeiübergriffen oder wehren sich gegen polizeiliche Verfügungen. Die Stellungnahmen dazu werden nun jeweils von Ihrem Parteikollegen Richi Wolff unterzeichnet.
Es gibt auch in der Linken nur wenige Leute, die einen Staat ohne Repression und ohne Polizei nicht als Utopie betrachten. Zumindest hier und heute ist es richtig, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt, und dazu gehört zwangsläufig auch ein repressiver Teil. Und jemand muss die Drecksarbeit machen, wenn man das so bezeichnen will. Ich bin als Bürgerin und Anwältin daran interessiert, dass gut ausgebildete Leute bei der Polizei und der Justiz arbeiten, die den Rechtsstaat respektieren und den Mut haben, den Ermessensspielraum korrekt anzuwenden oder auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Sollen wir das allein den Sozialdemokratinnen, den Grünen oder den Bürgerlichen überlassen? Wir haben jetzt vier Jahre Zeit, um diese Frage ehrlich zu beantworten.

Manuela Schiller (56) war viele Jahre im Vorstand der Zürcher AL. Sie ist Anwältin und Präsidentin des MieterInnenverbands der Stadt Zürich.