Durch den Monat mit Hans Rudolf Herren (Teil 1): Was tragen Nestlé und Syngenta zur Welternährung bei?

Nr. 19 –

«Den Planeten ernähren» – so lautet das Motto der kürzlich eröffneten Weltausstellung. Dass die Ideen des streitbaren Schweizer Agrarexperten Hans Rudolf Herren nicht berücksichtigt wurden, erstaunt kaum. Herren kritisiert Staaten und Agrarkonzerne heftig.

Hans Rudolf Herren: «Biobauern produzieren pro Hektar mehr Kilogramm Nahrungsmittel als industrielle Bauern.»

WOZ: Herr Herren, die Expo in Mailand hat eben ihre Tore geöffnet. Warum hat man Sie als Träger des Welternährungspreises nicht eingeladen, den Schweizer Pavillon mitzugestalten?
Hans Rudolf Herren: Ich habe schon früh mit Schweizer Expo-Vertretern Vorschläge für den Auftritt in Mailand diskutiert. Meine Idee war ganz schlicht: ein Raum mit weissen Wänden, in der Mitte vier Projektoren, über die Besucher via Skype live mit Bauern in Afrika und der Schweiz diskutieren können. Die Idee kam damals ganz gut an, gemeldet haben sie sich dann aber nicht mehr.

Dafür wird nun der Schweizer Auftritt von Nestlé und Syngenta gesponsert. Was tragen die zur Welternährung bei?
Gar nichts. Diese Konzerne haben einfach lokale Unternehmen auf der ganzen Welt aufgekauft. Ich betrachte sie eher als Parasiten. Was Syngenta da produziert, sei es Saatgut oder Pestizide – wer braucht denn das überhaupt? Ohne Syngenta und ihre Produkte gäbe es nicht weniger Nahrungsmittel auf der Welt.

Mit einer ökologischen Landwirtschaft, wie Sie sie propagieren, wird sich der Hunger in der Welt aber kaum stillen lassen.
Und ob! Biobauern produzieren pro Hektar mehr Kilogramm Nahrungsmittel als industrielle Bauern: in Brasilien, in den USA, in der Schweiz – überall auf der Welt. Das bestätigen auch die neusten Zahlen der Uno-Welternährungsorganisation FAO. Weshalb also fördern wir noch immer eine Landwirtschaft, die die Gesellschaft viel kostet und die trotzdem weniger produziert?

Weil grössere Betriebe als effizienter gelten.
Was bedeutet denn effizient? Ist es effizient, Leute durch Maschinen zu ersetzen und enorme Mengen an Öl und Benzin zu verbrauchen, was auch noch den Klimawandel anheizt? All das wird von der Politik nicht einberechnet. Wir sollten endlich einmal eine Vollkostenrechnung machen. Im Vergleich zur industriellen Landwirtschaft produziert Biolandwirtschaft Energie und bindet sogar noch Kohlendioxid.

Aber im Weltmarkt bestehen können trotzdem nur industrialisierte Grossbetriebe.
Auch ein Biobetrieb kann 200 Hektaren umfassen, wie derjenige meines Nachbarn in Kalifornien, wo ich einen Rebberg besitze: Er verkauft siebzig verschiedene Bioprodukte in San Francisco und verdient damit Geld, und zwar ohne Unterstützung vom Staat. Die Grossbauern der Region hingegen, die Mais oder Alfalfa produzieren, könnten ohne Geld vom Staat gar nicht überleben. Ihr Input, der ganze Maschinenpark, all das ist dermassen teuer, dass sie kaum einen Gewinn erwirtschaften können. Billig sind die Produkte der industriellen Landwirtschaft nur, weil sie in den Industrieländern so massiv subventioniert werden.

Sie wollen hundert Jahre zurück?
Nein, keineswegs. Die Landwirtschaft, die wir unterstützen, ist eine moderne, wissenschaftsbasierte Landwirtschaft, die auch das lokale Wissen und die Erfahrung der Bauern mit berücksichtigt.

Wie könnte sich dieses Landwirtschaftsmodell durchsetzen?
Bio müsste zur Norm werden – und umgekehrt Produkte der industriellen Landwirtschaft deklarationspflichtig. Auf einer Packung Pasta müsste zum Beispiel stehen: Der Weizen wurde so und so gespritzt, sein Anbau verbrauchte so und so viel Dünger und produzierte so und so viel CO2. Und die Packung konventioneller Pasta müsste dann auch viel teurer sein, weil man all diese Kosten nicht mehr abwälzen könnte.

Abwälzen – auf wen?
Wir wälzen die Kosten einfach auf all jene armen Leute ab, die unter misslichsten Bedingungen in den Sojafeldern Brasiliens und Argentiniens arbeiten müssen und dort vergiftet werden. Und wofür? Für Tierfutter! Der grösste Teil der heutigen Nahrungsmittelproduktion ist ja Tierfutter. Warum sagen die Amerikaner und Europäer eigentlich immer, sie müssten die Welt ernähren? Die sollen sich mal lieber selbst ernähren! Die sollen endlich aufhören, die Waldgebiete in Brasilien und Argentinien mit ihrem Sojabohnenimport zu zerstören – und das nur, damit das Fleisch noch billiger wird. Dieses System ist doch bankrott!

Da kommt der Auftritt von Syngenta an der Expo in Mailand ja ziemlich quer …
Ja, genau! Jetzt können die sich mit ihren Broschüren präsentieren – Broschüren, die ich auch hätte schreiben können: Die brauchen alle unsere Wörter und Themen, meinen aber etwas ganz anderes. Das Stichwort «Nachhaltigkeit» zum Beispiel oder den Slogan «More crop per drop», der weniger für sparsamen Ressourceneinsatz als für eine grössere Ernte steht. Damit fördern sie Monopole, Monokulturen und grossindustrielle Landwirtschaft ganz allgemein. Und solange Staaten und Regierungen solche Firmen unterstützen, weil sie glauben, so könnten auch mehr Jobs und mehr Einkommen generiert werden, wird sich daran auch nichts ändern.

Der Insektenforscher, Landwirtschafts- und Entwicklungsexperte Hans Rudolf Herren (67) gewann 1995 als bisher einziger Schweizer den Welternährungspreis. Mit dem Preisgeld gründete er die Stiftung Biovision, die die Methoden der ökologischen Landwirtschaft und der biologischen Schädlingsbekämpfung in Afrika fördert.