Durch den Monat mit Nina Zimmer (Teil 3): Was war Cornelius Gurlitts Beziehung zur Schweiz?

Nr. 33 –

Neben den Bührle-Bildern ist die Sammlung Gurlitt die bekannteste Kunstsammlung der Schweiz. Kunstmuseum-Direktorin Nina Zimmer spricht über die Aufarbeitung des kontroversen Legats – und über zwangsläufige Debattenspuren in Kunstwerken.

Nina Zimmer
Nina Zimmer: «Gurlitt konnte in den 1940er Jahren als Kind Ferien im Tessin verbringen. Er sah die Schweiz als Ort der Freiheit und idealen Hafen für seine Bilder.»

WOZ: Nina Zimmer, 2014 wurde klar, dass Cornelius Gurlitt seine geerbte Kunstsammlung aus der NS-Zeit dem Kunstmuseum Bern vermachen würde. Da arbeiteten Sie noch nicht in Bern, sondern am Kunstmuseum Basel. Können Sie sich trotzdem an den Tag erinnern?
Nina Zimmer: Ich kann mich genau erinnern. Es gab zuerst eine Falschmeldung, das Legat gehe ans Kunstmuseum Basel. Natürlich hatte ich da noch keine Ahnung, dass ich in naher Zukunft in Bern etwas damit zu tun haben würde. Nachher habe ich mich bewusst für Bern beworben, die Auseinandersetzung mit dem Gurlitt-Erbe hat mich interessiert.

Berns Umgang mit dem Gurlitt-Legat, inklusive der Gründung einer Abteilung für Provenienzforschung, hat Vorbildcharakter. War für Sie immer klar, dass Sie die Werke nicht unabhängig von ihrer Geschichte zeigen wollten?
Bereits vor meiner Zeit wurden Weichenstellungen getroffen. Die wichtigste war wohl, das Konvolut überhaupt anzunehmen. Da hat der Stiftungsrat seine Verantwortung wahrgenommen. Man wollte sich diesem Kapitel deutscher und Schweizer Geschichte stellen. Es bestand auch von Anfang an eine enge Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Bayern.

Wer finanziert das Projekt in Bern?
Die Abteilung ist bis heute rein drittmittelfinanziert. Wir sind in guten Gesprächen, dass wir für die nächste Leistungsvertragsperiode zusätzliche Unterstützung vom Kanton Bern bekommen, unserem Hauptgeldgeber.

In der ersten Berner Gurlitt-Präsentation von 2017 haben Sie die Geschichte der «entarteten Kunst» erzählt.
Dieser Aspekt hat mehr mit der Schweiz zu tun, als man meint. Auch wegen der Auktion in Luzern, in der 1939 von den Nazis als «entartet» denunzierte Werke über die Schweiz verkauft wurden. Uns war es wichtig, die Bilder nach Erwerbungszusammenhängen auszustellen, nicht nach kunsthistorischen Kapiteln. Ausserdem gibt es Verbindungen zu unserer Sammlung in Bern, die einen Schwerpunkt in der Moderne hat, inklusive eines in Luzern erworbenen Werkes der «entarteten Kunst».

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus der Auseinandersetzung mit dem Legat Gurlitt?
Wenn man eine einzelne Schlussfolgerung ziehen will, dann diese: Es gibt eine Zeit vor und nach Gurlitt in den Schweizer Museen. Der Fall, der medial sehr präsent war, hat geholfen, das Thema Provenienzforschung nochmals ganz anders und sehr breit zu diskutieren. Heute ist es selbstverständlich, dass die Dimension Provenienz in allen musealen Debatten mitbedacht wird. Das heisst aber nicht, dass wir schon alles erreicht haben.

Was ebenfalls auffällt: Sie haben konsequent die Rolle der Schweiz thematisiert, obwohl das ja eine deutsche Sammlung ist.
Da gab es anfangs auch einen Abwehrmechanismus: Warum sollen wir in der Schweiz die deutschen Probleme bearbeiten? Klar ist: Die Schweiz ist keine Täternation wie Deutschland. Aber es gibt vielfältige Verbindungen, speziell was den Kunstmarkt betrifft. Da muss man kritisch hinschauen. Es gibt eine Grauzone, die in die Schweiz hineinragt. Als Schweizer Institution ist es unsere Verantwortung, das selbstkritisch anzugehen.

Was war eigentlich Cornelius Gurlitts Beziehung zur Schweiz?
Er hatte ein sehr positives Schweizbild. Das rührte noch von den 1940er Jahren her, als er als Kind Ferien im Tessin verbringen konnte. Cornelius Gurlitts Gasteltern waren der Schweizer Künstler Karl Ballmer und seine Frau. Ballmer war wegen des Krieges zurück in die Schweiz gekommen, aus Hamburg, wo er Cornelius’ Vater, den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, gekannt hatte. Mit Ballmer konnte Cornelius gut reden. Im Tessin war es wunderschön, er konnte sich hier satt essen, und ihm wurde zugehört. Dieser positive Eindruck hat sich erhalten. Gurlitt sah die Schweiz als Ort der Freiheit und idealen Hafen für seine Bilder.

Aber warum gerade das Kunstmuseum Bern?
Man weiss es bis heute nicht.

Was ist die Zukunft der Gurlitt-Werke?
Sie werden Teil der Sammlung. Die Provenienzforschungsabteilung führen wir weiter, auch die Arbeit an Gurlitt wird fortgesetzt, doch für die nächste Phase steht nun unsere eigene Sammlung im Fokus. Mit allem, was wir bei Gurlitt gelernt haben, können wir nun auch sie nochmals kritisch anschauen.

Es gibt Stimmen, die monieren, statt um Ästhetik, Kunstgenuss, kunsthistorische Fragen gehe es heute nur noch um politische Diskurse und Provenienzprobleme. Was entgegnen Sie?
Es gibt kein Kunstwerk, das nur autonomes ästhetisches Objekt ist. Alle Debatten zu den Kunstwerken hinterlassen ihre Spuren in der Realität der Werke. Das physische, materielle Artefakt ist immer nur ein Teil eines Werkes. Die Interpretationen, die Rezeptions- und die Herkunftsgeschichte gehören genauso dazu. Hinter dem Vorwurf steckt die Vorstellung, es gebe eine rein ästhetische Kunstwahrnehmung. Das ist ein idealisiertes Verständnis von Kunst, das nicht mehr trägt.

Nina Zimmer (49) leitet das Zentrum Paul Klee und das Kunstmuseum Bern. Dort ist ab 16. September die Ausstellung «Gurlitt. Eine Bilanz» zu sehen, in der die Öffentlichkeit auch Einblick in die Aufarbeitung der Sammlung erhält.