Die Solidarität der Diaspora: «Ein Raum, in dem gemeinsames Trauern Platz hat»

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Auch in der Schweiz ist die Anteilnahme mit den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien gross. Eine zentrale Rolle beim Sammeln von Soforthilfen kommt der hiesigen Diaspora zu. 

120 000 Türkeistämmige leben in der Schweiz. Einige von ihnen haben familiäre Wurzeln im vom Erdbeben betroffenen, strukturarmen Südosten der Türkei. Auch wegen dieser direkten Betroffenheit ist grosse Solidarität mit den Opfern spürbar. Mit zahlreichen Aktionen setzt sich die Diaspora für die Menschen im Katastrophengebiet ein und schafft es, in kurzer Zeit Ressourcen für Soforthilfen aufzutreiben. Ein Teil dieser Hilfen ist bereits in der Türkei angelangt.

Vier Lkws mit Winterkleidern

Viele Türkeistämmige in der Schweiz haben ihre Wurzeln in der Provinz Kahramanmaraş. So auch die Familie der Basler SP-Grossrätin Edibe Gölgeli, die aus dem Landkreis Pazarcık stammt, der vom Erdbeben besonders stark betroffen ist. «In der Community gibt es praktisch keine Person, die nicht über ihre Familie direkt vom Erdbeben betroffen ist. Es herrschte ein grosses Bedürfnis, gemeinsam zu trauern. Wir wollten einen Raum schaffen, wo dies Platz hat», erklärt Gölgeli. Zusammen mit ihrem Grossratskollegen Mahir Kabakci hat Gölgeli zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Basler Marktplatz aufgerufen. In Basel, wo grosse kurdische und türkische Gemeinschaften leben, ist die Veranstaltung auf reges Interesse gestossen: Fast 2000 Menschen haben am Montagabend dem Anlass beigewohnt. Dabei achteten die Initiant:innen bewusst darauf, dass das Gedenken politisch und religiös neutral blieb. Das gemeinsame Trauern sollte im Vordergrund stehen.

Schon am 7. Februar, am Tag nach den Beben, formierten sich unterschiedliche Initiativen in der ganzen Schweiz. In Zusammenarbeit mit dem Lebensmittelladen Aymez Market in Winterthur organisierten beispielsweise die jungen Macher:innen der Instagram-Meme-Seite loesch.ch und die Podcaster von «Kurds und Bündig» gemeinsam mit ihrem Freundeskreis eine Sammelaktion auf dem Kasernenareal in Zürich. Insgesamt kamen dabei vier Lkws mit Winterkleidern, Decken, Schlafsäcken und Hygieneartikeln zusammen, die in der Zwischenzeit bereits in die Türkei gelangt sind.

Der Journalist Can Külahcıgil veranstaltete mit seinem Umfeld am Samstag einen Benefizanlass in Zürich. In einem Innenhof versammelten sich über den Tag verteilt gegen 300 Menschen. Der Anlass richtete sich auch an nicht Türkeistämmige und ist exemplarisch für die Solidaritätswelle. «Wir hatten in der kurzen Zeit eigentlich nur das Allerwichtigste organisiert, aber viele Leute ergänzten unser Angebot, brachten Equipment, Essen fürs Buffet oder unterstützten uns beim Auf- und Abbau», zieht Külahcıgil Bilanz. Insgesamt kamen bei der Aktion knapp 12 000 Franken zusammen, die nun auf drei unterschiedliche Hilfsorganisationen vor Ort verteilt werden sollen.

Auch das Eventkollektiv Jazzhane, das Konzerte und Veranstaltungen mit Musik aus der Türkei organisiert, will an seinen nächsten drei Events Geld für die Opfer der Erdbeben sammeln. Seine Präsenz in den sozialen Medien funktionierte das Kollektiv kurzerhand zu einem Infohub für Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten um, der von der türkisch-kurdischen Community rege genutzt wird.

Breites Spektrum der Hilfe

Die Liste der Hilfsaktionen ist lang. So sammeln die Türkische Gemeinschaft Kreuzlingen, der Bund der Alevitischen Gemeinschaften der Schweiz oder der in Basel* ansässige kurdisch-schweizerische Verein Xezal Geld oder Sachspenden für die betroffenen Menschen. Geldspenden lassen sie dabei oft direkt zerstörten Gemeinden zukommen oder spenden sie an Hilfsorganisationen wie Akut, Ahbap, den Kurdischen oder Türkischen Halbmond oder andere internationale Organisationen. Die «Vereinigung der türkeistämmigen Arbeitnehmer in der Schweiz» lädt am kommenden Sonntag zu einem Solidaritätsbrunch in ihrem Vereinslokal in Zürich Wiediko­n.

So heterogen die türkisch-kurdische Gemeinschaft in der Schweiz auch sein mag und so unterschiedlich ihre politischen Ansichten auch sind, in diesem Moment scheint dies zweitrangig. Die grosse Solidarität mit den betroffenen Menschen vereint die Diaspora aktuell.

* Korrigenda vom 20. Februar 2023: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion schrieben wir fälschlicherweise, dass der Verein Xezal in Zürich ansässig ist.