Wie wir leben werden (11) : «Permakultur gehört nicht den Rechten»

Nr. 37 –

Auf einem Hof im Emmental versucht ein Kollektiv, ökologisch zu leben und einen Teil der benötigten Ressourcen selbst zu produzieren – ohne verbissene Selbstversorgungsideologie.

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Gruppenfoto der Bewohner:innen des Balmeggberg
Mehr kollektives Wohnprojekt als traditioneller Hof: Toni Küchler (oben links), Steffi Sterchi (Zweite von links), Miriam Harter und Julia Nydegger (unten Mitte) und Mitbewohner:innen.

Zehn Frauen sitzen an einem langen Tisch vor dem «Löwen». Sie trinken Bier und teilen sich Pommes von grossen Platten. Es ist der Emmentaler Frauenstammtisch, der sich an diesem Augustabend in Trub trifft. Das malerische Dorf ist immer wieder beliebt als Filmset; in diesen Tagen wird hier «Ewigi Liebi» verfilmt. Aber ein feministischer Stammtisch? Hier?

«Ich will nicht immer nach Bern ‹seckle›, ich möchte, dass auch im Emmental etwas läuft», sagt eine Langnauerin. Anders als in der Stadt hänge der Aktivismus hier von wenigen ab. «Und in Bern kann man sich in der Menge verstecken. Hier sehen dich alle.» Am Frauenstammtisch entstand die Idee, in Langnau einen feministischen Streik zu organisieren (siehe WOZ Nr. 24/24). Diesen Sommer fand dieser zum zweiten Mal statt. «Ich habe von mehreren Frauen gehört, dass sie gern gekommen wären, aber Angst hatten, sich zu zeigen», erzählt eine andere Langnauerin.

An diesem Abend ist von Angst nichts zu spüren. Die Runde ist vergnügt, tauscht sich aus, einige kennen sich schon, andere sind neu. Eine Frau arbeitet in der Nähe auf einer Alp, hat zufällig den Flyer des Stammtischs gesehen und gleich noch eine Freundin aus Bern mitgebracht. Die Männer, die an diesem Abend in den «Löwen» gehen, scheinen einen grossen Bogen um den Frauentisch zu machen. Auch Julia Nydegger sitzt am Tisch, eine der Frauen, die den Stammtisch gegründet haben. Sie alle wohnen hoch über Trub – und dort machen sie noch viel mehr.

Mehr Traum als Plan

Es ist nicht weit von Trub auf den Balmeggberg. Aber steil: durch den Wald in die Höhe, an einer Felswand vorbei, über die Wasser tropft. Oben, auf über tausend Metern über Meer, wachsen junge Nussbäume neben grossen Heuhaufen, ein paar weisse Appenzeller Ziegen stehen vor einem selbst gezimmerten Stall, im riesigen Gemüsegarten überwuchern Kürbisse den Zaun. Überall stehen Bäume und Büsche, an den meisten wächst Essbares: Äpfel, Mispeln, Sanddorn, Stachelbeeren, Aronia. Von der Laube des alten, sonnenverbrannten Bauernhauses hängen Zwiebelzöpfe, daneben rankt sich eine Rebe in die Höhe. Drei Laufenten kreuzen schnatternd durchs Areal. Zu gross ist das alles für einen Hausgarten, aber viel zu kleinräumig für einen hierzulande üblichen Bauernhof. Eine unendlich diverse Landschaft, der man die Handarbeit ansieht.

Nydegger ist die Hauptverantwortliche für den Anbau. Sie hat Bäuerin gelernt, den «Frauenberuf», in dem auch Gartenbau und Einmachen auf dem Lehrplan stehen. Dieses Wissen könne sie heute brauchen, sagt sie. Doch der Balmeggberg hat nicht viel mit einem traditionellen Bauernhof zu tun. Er ist ein kollektives Wohnprojekt von sieben Erwachsenen und vier Kindern, und er ist ein Kurszentrum. Sie habe immer Kleinstlandwirtschaft betreiben, aber auch in Gemeinschaft leben wollen, sagt Nydegger. «Wir wollen nicht nur ein schönes Leben für uns. Austausch ist uns sehr wichtig.»

«Welcome to Woodstock», steht auf einem Holzschild, das im ausgebauten Bauernhaus hängt. Daneben gemalt ein lachender Fliegenpilz. Es wirkt wie aus einer anderen Zeit. Jetzt liegen in der Küche Sticker gegen Rassismus, beim Sitzplatz ein Käppli vom feministischen Streik, und auf dem WC zeigt eine «Vulva Gallery» die vielfältigen Formen der Geschlechtsorgane. «Der Balmeggberg ist politischer geworden, und das ist super», sagt Toni Küchler. Ohne ihn gäbe es das Projekt nicht: Er hat vor zwei Jahrzehnten dieses Haus gefunden. Küchler hatte gerade sein Studium in Umweltnaturwissenschaften an der ETH abgeschlossen und ein Angebot für eine Dissertation bekommen: über die Frage, wie eine CO₂-neutrale Schweiz aussehen könnte. «Aber ich merkte immer mehr, dass ich kein Forscher bin. Strukturieren, reduzieren, Fakten ausschliessen – das liegt mir nicht. In meiner Naivität fragte ich mich: Könnte ich die Frage dieser Dissertation auch praktisch umsetzen? Hier oben?»

Lebensmittel anzubauen, interessierte ihn – gerade weil er als Sohn einer Buchhalterin und eines Anwalts keinen Bezug dazu hatte. Er liess sich sein Erbe auszahlen und kaufte das Haus, zu dem drei Hektaren steile Wiesen und drei Hektaren Wald gehörten. Mit seiner Partnerin und Bekannten zog er im Sommer 2005 auf den Berg. «Wir hatten einen Traum vom guten Leben, aber keinen konkreten Plan. Ein Mitbewohner wollte Yogakurse anbieten, darum kauften wir die ersten Jurten. So entstand langsam das Kurszentrum.»

Care statt Lösung

Keine Teerstrasse führt auf den Balmeggberg, nur ein Fahrweg. Eine Sackgasse. Wer hier landet, will hierher – oder hat sich verlaufen. Am Horizont stehen Eiger und Mönch, Bäume verdecken die Jungfrau. Heuschrecken zirpen, in der Ferne tönen Kuhglocken, Milane schreien. Oder kämpfende Katzen.

Mehrere Balmeggbergler:innen sind Expert:innen für Permakultur: eine Landwirtschaftsmethode und -bewegung, die sich an natürlichen Ökosystemen orientiert und das Ziel hat, mit viel weniger Energie ein gutes Leben für alle zu ermöglichen (siehe WOZ Nr. 5/19). Küchler bietet als Mitglied des Büros Planofuturo Permakulturberatungen und Landschaftsplanung an. Das Weltrettungspathos, das die Szene teils prägt, ist ihm allerdings fremd: Für ihn sei Permakultur vor allem eine Aufforderung zu Care für Menschen und Orte, weniger eine Lösung für die grossen Probleme der Welt. Es gehe darum, soziale und ökologische Systeme in eine wechselseitig fruchtbare Beziehung zu bringen. «Bei Beratungen frage ich immer: Welche Ressourcen und Bedürfnisse habt ihr? Welche hat euer Ort?»

Die Balmeggbergler:innen schätzen, dass sie etwa ein Drittel der benötigten Lebensmittel und zwei Drittel der Energieträger – vor allem Holz – selbst produzieren. «Der Gemüsebau ist schon ein Krampf hier oben», sagt Nydegger. Mit Eingemachtem und Lagergemüse könnten sie sich bis in den Frühling versorgen, dann sei nichts mehr übrig. Es gehe der Gruppe aber auch nicht darum, verbissen einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen. Miriam Harter sagt es deutlich: «Dieser Selbstversorgungshype, dieser Drang, alles selbst und allein zu machen – zum Kotzen!» Harter ist Psychologin, wie alle Balmeggbergler:innen ausser Nydegger arbeitet sie teilweise auswärts. Im Projekt ist sie Mitbetreuerin der Ziegen und dafür zuständig, Anfragen von Leuten zu beantworten, die mithelfen wollen. Vielen sage sie gleich ab: «Zum Beispiel, wenn ich merke, dass es esoterische Verschwörungstheoretiker:innen sind.»

Denn Permakultur zieht immer wieder auch rechte Esoteriker:innen an. So wurden 2020 zu einem Festival bei Bern auch Vertreter:innen der Anastasia-Bewegung eingeladen; der Verein Permakultur Schweiz, damals präsidiert von Toni Küchler, kritisierte das. Die aus Russland stammende Bewegung, hinter deren Ökofassade sich rechtes und antisemitisches Gedankengut verbirgt, versucht seit längerem, in der Schweiz Fuss zu fassen, etwa mit der Gründung von Landsitzen oder Schulen (siehe WOZ Nr. 28/22). Inzwischen ist eine Fachgruppe «Diskriminierung und Vielfalt» entstanden: «Wir sehen uns als Gedächtnis des Vereins, dokumentieren Problematisches und halten die Diskussion am Laufen», sagt Küchler. «Und wir lesen, zuletzt ein Buch der afroamerikanischen Autorin bell hooks.»

Auch Julia Nydegger engagiert sich in einer Gruppe, die sich mit rechten Tendenzen in Alternativprojekten auseinandersetzt. «Permakultur ist für viele ein Zugang zu einem alternativen Lebensstil. Uns ist wichtig, dass das so bleibt. Permakultur gehört nicht den Rechten und die Idee der Selbstversorgung nicht den Prepper:innen.» Wenn sie als Kursleiterin problematische Aussagen höre, widerspreche sie. «Zum Beispiel, als jemand sagte, die Klimabewegung sei von den Mächtigen gesteuert. Diese Person schrieb mir später und bedankte sich für meine Kritik – sie meinte, sie sei total festgefahren gewesen.»

Time-out statt Kurse?

Noch vor zwei Jahren seien alle Gartenkurse doppelt ausgebucht gewesen, sagt Steffi Sterchi, die im Tal als Sozialpädagogin arbeitet und auf dem Berg Kräuterkurse anbietet. Dieses Jahr gab es kaum Anmeldungen. Was tun? Keine Kurse mehr anbieten? Oder andere? «Wir werden bald diskutieren, wie wir weitermachen. Wir denken auch darüber nach, Time-out-Plätze anzubieten.»

Obwohl das Zusammenleben kollektiv organisiert ist, gehören Haus und Land weiterhin Küchler. Er könnte seine Mitbewohner:innen jederzeit rausschmeissen. «Ja, aber was mache ich dann hier allein? Wir brauchen uns doch gegenseitig», sagt er. Er hat sich zum Ziel gesetzt, den Balmeggberg in sieben Jahren zu verkaufen. «Mit 27 bin ich hierhergekommen, nach 27 Jahren möchte ich gehen.» Er hat in der geplanten Genossenschaftssiedlung Sonnhas unten im Tal eine Wohnung reserviert, möchte aber weiterhin hier mithelfen: «Ich arbeite am liebsten mit Biomasse – Kompost, Kohle, Laub, Heu, Holz, der Pflanzenkläranlage. Es tut mir unglaublich gut.»

Wem wird der Balmeggberg dann gehören? Dem Kollektiv? Das ist noch unklar. Alle ausser Küchler wohnen erst seit drei, vier Jahren hier. «Wir sind so eine coole Gruppe und uns in den Grundsätzen total einig», sagt Harter. «Und als Mutter von zwei Kleinkindern fühle ich mich krass gut unterstützt von den anderen.» Trotzdem sei unklar, wie lange sie bleiben wollten. «Warum getrauen wir uns nicht zu sagen: ‹Wir bleiben und engagieren uns hier langfristig›?», fragt Sterchi. Manchmal sei ihr auf dem Berg alles zu viel: das Projekt und seine vielen Aufgaben, die Erwerbsarbeit, die beiden Kinder. «Aber ich weiss genau: In einer Wohnung mit meiner Kleinfamilie wäre mir sofort langweilig. Und es ‹bödelet› mich, so nah an der Natur zu leben.»