Drohnenbau in Russland: An der Werkbank des Krieges
Um Kampfdrohnen in Massenproduktion herstellen zu können, wirbt Russland in Afrika gezielt junge Frauen an. In Tatarstan arbeiten sie unter ständiger Überwachung und gelegentlichen Bombardements.

Eine afrikanische Frau steht an einer Werkbank und setzt sich eine Schutzmaske auf. Ein russischer Ausbildner zeigt ihr, wo sie die Schweissnaht ansetzen soll. Dann sprühen Funken.
Zu sehen sind diese Bilder in einem Video aus einer Fabrikhalle in Russland. Auf einer Einblendung ist zu lesen: «Jane – Schweisserin – Gehalt: 500 $». Es ist einer von vielen Werbefilmen für ein Arbeitsprogramm in Russland, die derzeit in Afrika auf Social Media kursieren. Ob Schweisserin, Logistikerin oder Reinigungskraft: Jungen Afrikanerinnen wird eine blendende Zukunft versprochen. «Erreiche deine Ziele», heisst es darin. Gelockt wird mit Monatsgehältern von bis zu 4000 US-Dollar.
Drohnen aus der Motorbootfabrik
Die Firma, die hier um Personal wirbt, gehört zu einem Unternehmenskonstrukt, das Alabuga heisst – gleich wie die Sonderwirtschaftszone in der russischen Teilrepublik Tatarstan, in der sie angesiedelt ist. Gemäss Eigenangaben werden dort junge Frauen aus mittlerweile 85 Ländern beschäftigt, die meisten von ihnen aus Afrika. Aus welchem Land «Jane» kommt, ist im Werbevideo nicht ersichtlich. In einem anderen bezieht sie ihr Bett in einem modernen Wohnheim, spielt Hockey. Und sie lernt einen Mann kennen, wird schwanger, blickt verliebt in die Kamera.
Es ist offensichtlich: In der seit 2005 bestehenden Sonderwirtschaftszone wird händeringend nach Arbeitskräften gesucht. 43 Firmen haben sich in der zwanzig Quadratkilometer grossen Steueroase nahe der Kleinstadt Jelabuga angesiedelt, darunter Glasfaser-, Karosserie- oder auch Klopapierhersteller.
Auch die «Alabuga-Maschinenherstellung» befindet sich dort, eine Fabrik, deren Anteile vollumfänglich der Provinz Tatarstan gehören und in der offiziell Motorboote gebaut werden. «Wir haben herausgefunden, dass dies nur eine Fassade ist», sagt Spencer Faragasso vom unabhängigen Institute for Science and International Security in der US-Hauptstadt Washington. Tatsächlich werde die Anlage für die geheime Fertigung von Shahed-Kampfdrohnen verwendet, so Faragasso. Der Drohnenexperte hat geleakte Dokumente ausgewertet, die ihn zum Schluss kommen lassen: Von den 1000 bis 2000 Arbeiterinnen aus Afrika und Lateinamerika, die derzeit auf dem Alabuga-Gelände arbeiteten, würden etwa neunzig Prozent im Drohnenbau eingesetzt.
In einem der Werbevideos ist denn auch zu sehen, wie Afrikanerinnen ein Bauteil lackieren, das bei genauerem Hinschauen aussieht wie die Tragfläche einer Shahed-Drohne. Diese spielen in Russlands Angriffskrieg eine zentrale Rolle: Fast jede Nacht werden sie losgeschickt, manchmal Hunderte aufs Mal, um Ziele in der Ukraine anzugreifen. «Sie explodieren, wenn sie aufschlagen», sagt Faragasso. Sie sind preiswert, relativ einfach herzustellen – und lassen sich in Schwärmen starten.
Dokumente, die der WOZ vorliegen, lassen darauf schliessen, dass Russland die Einzelteile aus dem Iran importiert, um sie im Inland zu montieren. «Als der Krieg begann, hatten die Russen keine Erfahrung in der Drohnenherstellung», erklärt Faragasso. Laut den Dokumenten wurde schon kurz nach Beginn der Vollinvasion im Frühling 2022 die Zielvorgabe ausgegeben, 2025 in der Alabuga-Fabrik 6000 Drohnen zu bauen. Bereits 2023 wurden dann 4500 Stück produziert. Das braucht Arbeitskräfte. So entstand auf dem Alabuga-Gelände 2022 ein polytechnisches Institut, um zunächst russische Schulabgänger:innen anzulocken. Und bald auch solche aus dem zentralasiatischen Tadschikistan, wo die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist.
Als auch das nicht ausreichte, wurden in Russland Studentinnen aus Afrika angeworben, teils über Datingplattformen. «Denn sie haben in ihren Heimatländern meist weniger Jobchancen und sind damit anfälliger für potenzielle Ausbeutung», so Faragasso. Ende 2022 begann dann auch die gezielte Rekrutierung in Afrika und Lateinamerika. Auf Satellitenbildern aus jenem Jahr ist auf dem Alabuga-Gelände ein neu gebautes Wohnheim zu erkennen – mittlerweile gibt es zwölf.
Werbeanlass in der Schule
«Der Wunsch, im Ausland zu leben, ist bei uns weitverbreitet», sagt Nicole Letaru. Die 35-Jährige sitzt in Ugandas Hauptstadt Kampala in einem Café und trinkt Melonensaft. Letaru ist Influencerin: Auf ihrem Youtube-Kanal macht sie Afrikanerinnen auf Jobmöglichkeiten in der ganzen Welt aufmerksam.
Auch für Alabuga hat die Uganderin geworben. «Dort könnt ihr euer Leben für immer verändern», verkündete sie in einem Video. Sie erklärt darin die Bewerbungsbedingungen: Russischkurse seien Pflicht, dafür übernehme Alabuga die Kosten für die Anreise.
2019 lebte Nicole Letaru selbst eine Zeit lang in Russland, sie arbeitete in Sibirien als Englischlehrerin. Dass sie auf ihrem Kanal nicht nur beispielsweise für IT-Jobs in Indien wirbt, sondern auch mal für einen russischen Bootshersteller, findet sie überhaupt nicht abwegig. «Doch ich wurde dafür sehr kritisiert», sagt Letaru auch. Weil etwa bemängelt wurde, dass die Kosten für Flug, Unterbringung und Sprachkurse in Russland vom Gehalt abgezogen worden seien. Letaru bekräftigt: «Ich habe von Alabuga per Zufall im Internet gelesen.» Dass in der betreffenden Fabrik gar keine Boote, sondern Drohnen gefertigt werden, habe sie nicht gewusst. Sie sei von Alabuga überdies weder bezahlt noch beauftragt worden, stellt die Influencerin klar.
Andere lassen sich durchaus bezahlen. Auf einer Alabuga-Website können sich Organisationen für einen Zuschuss bewerben. Die «Nil-Stiftung», die in Somalia gegen die Jugendarbeitslosigkeit kämpft; der «Sambia-Russland-Alumni-Verband»; die «Freunde Russlands in Madagaskar» – sie alle posten auf ihren Kanälen die Werbevideos von Alabuga.
Ein anderer Fall betrifft den nationalen Student:innenverband Unsa in Uganda. Dieser organisierte jüngst Rekrutierungsveranstaltungen an der Universität Makerere in Kampala, einer der grössten in ganz Ost- und Zentralafrika. Auf einem Gruppenfoto vom Mai, das auf dem Telegram-Kanal von Alabuga zirkuliert, lächeln vor dem vierstöckigen Gebäude der IT-Fakultät 24 Uganderinnen in die Kamera. Am Telefon erklärt der Unsa-Sekretär: «Der Event wurde von unserem Vorsitzenden dank seiner persönlichen Beziehungen organisiert.» Dieser befinde sich derzeit in einem Militärtraining und sei deswegen nicht erreichbar. «Offiziell haben wir keine Beziehungen zu den Russen», so der Sekretär.
Im April 2023 wurde sogar eine russische Delegation eingeflogen, um an der Lubiri-Oberschule in Kampala einen Workshop zu veranstalten. «Unser Team fliegt nach Uganda», verkündete Alabuga damals auf Telegram. An der Lubiri werden über tausend Schüler:innen unterrichtet – doch ihre Jobaussichten in Uganda sind mässig, die Jugendarbeitslosigkeit ist enorm. Entsprechend verheissungsvoll wirken da die Zukunftsversprechen aus Tatarstan.
Der Vizeschuldirektor Joseph Kazibwe hält beim Gespräch in seinem Büro fest, man begrüsse jede Möglichkeit, um die Abschlussklassen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Aber er sagt auch: «Von einem Event mit einer russischen Firma weiss ich nichts.» Der erwähnte Anlass sei vom Unsa organisiert worden, dem man dafür die Mensa zur Verfügung gestellt habe. Dann nimmt Kazibwe sein Handy zur Hand und ruft kurzerhand beim Student:innenverband an. Der Sekretär gibt ihm gegenüber zu, dass der Unsa aus Russland Geld für die Veranstaltung erhalten habe, und legt auf. Verärgert schüttelt der Vizeschuldirektor den Kopf. «Es ist entsetzlich, unsere Jugend solchen Risiken auszuliefern», sagt er.
Wer bürgt für die Sicherheit?
Tatsächlich ist die Arbeit auf dem Alabuga-Gelände gefährlich. Am 2. April 2024 schlug ein unbemanntes Propellerflugzeug aus der Ukraine in eines der Wohnheime ein. Aufnahmen davon wurden später auf der Website «Alabuga Truth» veröffentlicht, einer Whistleblowerplattform unbekannter Urheberschaft. Kurz darauf meldete sich auf dem Telegram-Kanal von Alabuga die Kenianerin Mackline Othieno zu Wort: «Mir geht es gut», verkündete sie in einem Video. «Ihr könnt uns keine Angst machen, Alabuga ist ein sicherer Ort.»
Drohnenexperte Spencer Faragasso hat den Angriff untersucht. «Den Ukrainer:innen gelang es, mit einem ferngesteuerten Propellerflugzeug, das mit Sprengstoff beladen war, in die Schlafsäle zu fliegen», erklärt er. Vierzehn afrikanische Arbeiterinnen seien dabei verletzt worden. Seither sei das Wohnheim renoviert worden; mittlerweile gebe es dort eine Luftabwehranlage und Schutzbunker, so Faragasso.
Auch in diesem Jahr gab es mehrere Drohnenangriffe auf Alabuga. Auf Satellitenbildern ist ein Einschlagkrater zu erkennen. Die Botschaft vonseiten der ukrainischen Armee sei unmissverständlich, so Faragasso: In deren Augen handle es sich bei der Drohnenfabrik um ein aktives Militärgelände, das auch weiterhin gezielten Angriffen ausgesetzt sein dürfte.
Die Vorfälle hatten in Afrika einen medialen Aufschrei zur Folge. Im letzten September wandte sich Ugandas Arbeitsministerium an die Botschaft in Moskau. «Es ist notwendig zu klären, wer für das Wohl der Uganderinnen in Russland zuständig ist», hiess es im Schreiben. Auf eine Anfrage der WOZ beim Ministerium reagiert der zuständige Staatssekretär indes einsilbig: «Mir ist nicht bekannt, dass in Russland Uganderinnen arbeiten.»
Der Versuch, mit afrikanischen Arbeiterinnen in Russland direkt in Kontakt zu treten, erweist sich als äusserst schwierig. Aus nachvollziehbarem Grund: «Wir werden permanent überwacht», schrieb eine Uganderin der ugandischen Tageszeitung «New Vision» im letzten November. Und Spencer Faragasso, der mit einigen Frauen vor Ort in Kontakt war, erklärt: «Sie bekommen von Alabuga neue russische SIM-Karten, die mit allerlei Überwachungssoftware bestückt sind.»
Hochrangige Fürsprecher:innen
Obwohl afrikanische Medien die Schattenseiten des russischen Arbeitsprogramms bekannt gemacht haben, ist es Alabuga gelungen, neue Kooperationen auf dem Kontinent einzugehen, etwa mit Sambia oder auch mit Madagaskar. Weitere Regierungen zeigen Interesse: Im Mai besuchte Kenias Botschafter das Werk in der tatarischen Sonderwirtschaftszone und zeigte sich «beeindruckt». Die Sozialministerin der Demokratischen Republik Kongo reiste im Juni hin und fand ebenfalls lobende Worte.
Beide antworten nicht auf die Frage, ob es ihnen bekannt sei, dass in der Fabrik Drohnen gefertigt würden. Zumindest dem kenianischen Botschafter dürfte das aber keinesfalls entgangen sein: Nur wenige Tage vor seinem Besuch auf dem Gelände hatte auf der Titelseite der kenianischen Wochenzeitung «The East African» die Schlagzeile geprangt: «Der Horror der ostafrikanischen Frauen, die für Russlands Krieg Drohnen fertigen». Die russische Botschaft in Nairobi verurteilte dies als «gross angelegte Desinformationskampagne».
Seit April 2024 steht Alabuga auf der Sanktionsliste der USA, seit Februar 2025 auf jener der EU – und am 4. März zog auch die Schweiz nach. In Afrika hingegen rekrutiert das Unternehmen fleissig weiter. Daran dürfte sich in absehbarer Zeit nichts ändern; auf dem Fabrikgelände bei Jelabuga würden jedenfalls weiter neue Unterkünfte gebaut, sagt Spencer Faragasso. Um junge Afrikanerinnen von dieser lebensbedrohlichen Falle fernzuhalten, sei noch mehr Aufmerksamkeit nötig. «Denn sie verdienen es nicht, Teil der russischen Kriegsmaschinerie zu sein», so Faragasso.