Frieden in Nahost?: Das Prinzip Hoffnung
Zwei Jahre sind seit dem 7. Oktober 2023 vergangen, als die Terrororganisation Hamas in Israel ein Massaker verübte, dessen Brutalität grosse Teile der Bevölkerung nachhaltig traumatisierte. Mit 1182 Todesopfern gilt der Angriff als grösster Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust.
Mittlerweile hat der Krieg zwischen Israel und der Hamas eine nahezu unvorstellbare Dimension des Grauens angenommen. Als Reaktion auf den Angriff hat Israel eine Offensive auf Gaza gestartet, die sich zunächst als Selbstverteidigung ausgeben konnte – sich mit zunehmender Dauer aber immer mehr zu einem Feldzug ausweitete, bei dem bislang rund 67 000 Palästinenser:innen getötet wurden und der laut verschiedenen Expert:innen Kriterien eines Genozids erfüllt. Derweil hat der Hass auf Jüdinnen und Juden weltweit erschreckende Ausmasse angenommen.
Am Dienstag, dem Jahrestag des Massakers, versammelten sich in Tel Aviv über 30 000 Menschen, um der Opfer zu gedenken. «Wir wollen die Angst besiegen und Hoffnung finden. Wir wollen den Hass überwinden und unsere Menschlichkeit wiederfinden. Wir wollen die Wut überwinden und wieder Mitgefühl finden», zitiert die deutsche Depeschenagentur eine Frau, deren Mutter und deren Tochter am 7. Oktober getötet worden waren.
Mit dem 20-Punkte-Programm der USA liegt nun erstmals eine Art «Friedensplan» vor. So vage die Forderungen auch formuliert sind, so überraschend das eine oder andere Zugeständnis der involvierten Parteien auch wäre: Zum ersten Mal seit langem macht sich bei vielen wieder so etwas wie Hoffnung breit.
Hoffen inmitten einer derart hoffnungslos erscheinenden Situation? Auf das Ende eines ebenso alten wie tiefgehenden Konflikts? Hoffen gar auf Frieden – auf Versöhnung? Der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Bloch hat sich schon als Student mit der Hoffnung als Form einer «konkreten Utopie» befasst. Nach der Flucht vor den Nazis entwickelte er ab 1938 in den USA sein Hauptwerk «Das Prinzip Hoffnung». Im Zentrum seiner Philosophie steht der «über sich hinausdenkende Mensch». Dessen Bewusstsein ist demnach nicht nur das Produkt seines Seins, wie es Karl Marx beschrieben hatte, sondern mit einem «Überschuss» ausgestattet, der seinen Ausdruck als «Noch-nicht-Gewordenes» in gesellschaftlichen Utopien, der Kunst oder in Tagträumen finden kann. Gemäss Bloch ist alles Seiende von einem «Bedeutungshof» seiner unrealisierten Möglichkeiten umgeben, der uns dazu bringen könne, das «Noch-nicht-Sein» in ein Sein umzuwandeln.
Angesichts der realen Tragödie in Nahost mag derlei Metaphysik zynisch klingen. Zumal für Menschen, die unmittelbar betroffen sind, das Hoffen auf ein Ende des Grauens eine umso existenziellere Dimension annimmt. Blochs Prinzip der Hoffnung lässt sich aber auch als gesellschaftliches, im besten Fall solidarisches Prinzip verstehen – als kollektive Vorstellungskraft, die in die Realität einer näheren Zukunft wirkt. Gerade jetzt, da ein Plan zur Beilegung des Konflikts vorliegt, zumindest über eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassung aller noch festgehaltenen israelischen Geiseln verhandelt wird, sollten auch wir in Europa solidarische Hoffnung praktizieren – und damit eine Haltung jenseits jener erstarrten Ideologien finden, die ausgerechnet das reproduzieren, was der Hoffnung auf eine Überwindung des Konflikts diametral widerspricht.
In «Die Realität der Ideale» schreibt der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm: «Wenn grundlegende Normen zusammenbrechen und die öffentliche Diskussion in ein Schreiduell ausartet, brauchen wir Grundsätze, die uns als Leuchtfeuer dienen: Ideale, denen wir verpflichtet bleiben können.» Nun, da ein Plan vorliegt, der wenigstens die schlimmstmögliche Version des Konflikts verhindern könnte, ist das «Noch-nicht-Gewordene» brisanter denn je. Und damit auch die konkrete Utopie eines radikalen Universalismus, wie sie am fernen Horizont in so manchen Tagträumen aufscheint.