Die Medienzukunft mit Hansi Voigt: Volksverblödung
Wenn Bundesrätin Doris Leuthard den Forderungen der Verleger nachgibt, spielt sie den No-Billag-BefürworterInnen in die Hand.
Der eine mächtige Gegner der SRG ist klar: Christoph Blocher. Sein gesamtes Medienengagement hat eine Aufgabe: den Meridian des gesellschaftlichen Konsenses und des politischen Anstands von der Mitte deutlich nach rechts zu verschieben. Die SVP-Extrempositionen sollen zunehmend normal und endlich mehrheitsfähig werden. Die SRG setzt in vielen Fragen eine gesellschaftlich akzeptierte, eingemittete Richtschnur. Also muss sie weg!
Die andere Gruppe, die seit Jahren ein Interesse an einer schlechter informierten Bevölkerung zeigt, ist sinnigerweise die traditionelle Informationsindustrie. Der Hintergedanke der Zeitungsverleger ist einfach: Solange die Informationsleistung der SRG zu hoch ist, müssen sie in den neuen Medien teuren Qualitätsjournalismus liefern. Das ist gut für die Bevölkerung, aber schlecht fürs Geschäft.
2003 gelang den Verlegern ihr Meisterstück. Die Privaten konnten, allen Radio- und TV-Flops zum Trotz, per Gesetz das Internet als ihren kommerziellen und inhaltlichen Claim abstecken. Ungestört von öffentlich unterstützten Informationsangeboten, sollte bei den elektronischen Medien die Kasse klingeln wie im Zeitungsbereich. Doch die gesetzlich verankerte Webabstinenz des Service public hat den Verlegern kommerziell nichts gebracht. Der SRG hat es hingegen ein massives Akzeptanzproblem beschert. Junge Menschen, die vor allem online unterwegs sind, kennen das per Gesetz beschränkte SRG-Angebot schlicht nicht.
Teure Blockade
Die Verleger spielen seit Jahren auf Zeit. Doch die SRG ist nicht ihr Problem. Sondern dass es klassische Verlagshäuser in der Medienwelt der Zukunft genauso wenig braucht wie regionale Taxizentralen in Zeiten von Plattformmodellen wie Uber. Und die wirkliche digitale ökonomische Revolution steht erst noch aus. Das wissen die Verleger – es hindert sie aber nicht daran, die SRG in den No-Billag-Schwitzkasten zu nehmen, um das Beste für sich herauszuholen. Die letzten Verleger, die überhaupt noch etwas mit Inhalten zu tun haben wollen – die liberale NZZ und AZ-Medien-Besitzer Peter Wanner –, legen ihre Regionalblätter zusammen und machen sich fit für stattliche Subventionen im Sinne der Meinungsvielfalt. Tamedia hingegen fordert unverdrossen freie Bahn für ihre zentralistisch zusammengelegten Markenfassaden.
Mit teils hanebüchenen Gedankenkonstrukten rösten die Chefredaktoren von «AZ» bis NZZ die SRG auf heller No-Billag-Flamme, derweil die Verleger ihre ewigen Forderungen an Medienministerin Doris Leuthard neu formulieren: Kein Ausbau des SRG-Onlineangebots, Verzicht auf Werbung und Ausstieg aus dem Werbevermarkter Admeira. Die Verleger scheinen gepunktet zu haben. Für ihr Branchentreffen am 9. Januar sei schon ein Kompromiss zu erwarten.
Die Zeitungshäuser versuchen also in Zeiten der aufkommenden Blockchainökonomie, ihre Erwerbsmodelle aus dem 19. Jahrhundert noch einmal gesetzlich festzuzurren und so eine wirkliche Medienzukunftsdebatte zu verhindern. Diese Verwerfung kam uns bereits teuer zu stehen. Aus Marktwirtschaftsduselei und falscher Rücksichtnahme übergab man die medienethische Gestaltungshoheit im Plattformzeitalter in ganz Europa an Facebook und Google.
Falsche Rücksicht
Für Leuthard und die SRG sind die rückwärtsgewandten Verleger ein ernstes Problem. Die Schweiz hat die Chance, in den nächsten Jahren ein wirklich zukunftsweisendes Mediengesetz im Interesse der Meinungsvielfalt und der Bevölkerung zu verabschieden. Angesichts der digitalen Umbrüche ist klar: Es braucht unabhängige, transparente und zuverlässige Informationen im freien Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit und im Sinne eines konsensbildenden Diskurses. Also eher mehr Service public und nicht weniger – und in komplett anderer Form.
Leuthard muss deshalb die Medienzukunftsdebatte von der sich überschneidenden Abwicklungsproblematik sorgfältig trennen. Sie kann den Verlegern eine Abwrackprämie, etwa den Verzicht auf SRF-Werbung – die sich sowieso bald in der Luft beziehungsweise auf Google oder Facebook auflösen wird – zugestehen. Wenn sie sich aber aus Rücksicht auf das niedergehende Verlegermodell erneut das öffentliche Angebot im Internet verbaut, schlägt sie sich auf die Seite der kommerziell und politisch motivierten Volksverblödungsallianz und nimmt sämtlichen GegnerInnen der No-Billag-Initiative das beste Argument.
Hansi Voigt (54) war stellvertretender Chefredaktor bei «Cash», baute das Onlineportal 20min.ch auf und gründete die Onlinezeitung «Watson». An dieser Stelle schreibt er über die No-Billag-Abstimmung hinaus zu Fragen der Medienzukunft.