Die Medienzukunft mit Hansi Voigt: Wanners neue Geduld
Eine Lobeshymne auf das Informationsportal «Watson», das nach Deutschland expandiert.
Das Beste, was «Watson» passieren konnte, ist Michael Wanner. Als er vor zwei Jahren Geschäftsführer wurde, hat mich das zwar meinen Job gekostet, aber es hat die langfristige Zukunft von «Watson» gesichert. Aktuell gehts gut voran beim nach wie vor jungen Informations- und Spassportal an der Zürcher Hardbrücke. Der wilde Themenmix zwischen Trump und Picdump verzeichnet nach langer Stagnation wieder deutlich steigende Nutzerzahlen. Das hat Gründe.
Bei «Watson» wurde in den letzten beiden Jahren nicht alles zusammengespart, um dann den Hungertod des eben noch gefeierten Babys zu kommunizieren, wie es eigentlich Medienbranchen-Usanz gewesen wäre. Im Gegenteil: Facebook machte zwar auch «Watson» einen kräftigen Strich durch den Businessplan, als es im Sommer 2015 die organische Reichweite kaperte und Inhalte nur noch gegen Bezahlung auslieferte. Aber «Watson» und vor allem die Wanners hielten durch.
Die erste Höchstleistung, die Wanner erbracht hat: Er hat seinen Vater geduldig gemacht. AZ-Verleger Peter Wanner, Geldgeber von «Watson», ist bekannt dafür, hohe Risiken einzugehen. Aber er wird auch gefürchtet, weil er nach verflogener Anfangseuphorie gerne mal den Rückwärtsgang einlegt. Wanner senior musste fast 75 werden, um Geduld zu lernen.
Facebook ausgetrickst
Der wirkliche Anlass zur Ode an den Thronfolger Michael ist aber die von den anderen Schweizer Medienhäusern erstaunlich wenig gewürdigte Lizenzvergabe nach Deutschland. «Watson.de» ist vor einem Monat in Berlin gestartet, und so viele Schweizer Medienableger im Ausland ausser Joiz selig und den NZZ-Hauptstadt-Versuchen gibt es bekanntlich nicht. Watson.de hätte bereits 2015 in Zusammenarbeit mit «Spiegel Online» entstehen sollen. Daraus wurde nichts beziehungsweise startete «Spiegel Online» selbst mit «Bento». Das quasi unterschriftsbereite Geschäft platzte aufgrund der Intervention des damaligen Verwaltungsrats Michael Wanner. Er forderte bessere Bedingungen, und er hatte recht.
Der neue Partner Ströer bringt «Watson» mit einer rund 25-köpfigen Redaktion und einer festen Verankerung auf dem nach wie vor riesigen deutschen Nachrichtenportal T-Online an den Start. Vor allem aber ist der Werbevermarkter Ströer auch ausserhalb des Internets präsent. Damit wird watson.de auf Bahnhöfen, Tankstellen und überall dort, wo ein Bildschirm flimmern darf, sichtbar. So entsteht eine digitale Wertschöpfungskette ausserhalb des Einflusses von Adblockern, Facebook und Google. Ein unschätzbarer Vorteil! Es ist das Gleiche, was in der Schweiz das neue Newsportal «Nau» anstrebt, einfach in sehr gross.
Wer schon in der Schweiz und in Deutschland ist, darf auch nach Österreich schielen. Allfällige Partner müssten sich entweder ebenfalls mit einer anständigen und übergreifenden Redaktionsleistung in den Inhaltsverbund einbringen oder sich mit Geld beteiligen. Und auch in der Schweiz geht ein Fenster auf.
Onlineförderung kommt
Tamedia öffnet mit dem x-ten Versuch, eine Bezahlschranke für Printartikel auf den Onlineseiten durchzudrücken, die Lücke. Da bietet es sich an, dass sich «Watson» als direkt angesteuerte, frei zugängliche Alternative zu den alten Zeitungstiteln positioniert. Tamedia und die Verlegerverbandskollegen, die immer wieder der Hoffnung erliegen, das Informationsangebot lasse sich in Internetzeiten künstlich verknappen, wären kaum begeistert. Aber die Einigkeit im Verlegerverband soll schon grösser gewesen sein. Man darf gespannt sein, wie lange Peter und Michael Wanner dem zerstrittenen Verband noch die Treue halten.
Die Aussichten, 2019 oder 2020 zum ersten Mal schwarze Zahlen zu schreiben, sind laut Michael Wanner intakt, wie er in Interviews betont. Dann wäre «Watson» neben «20 Minuten Online» die einzige umfassende Onlineredaktion in der Schweiz, die sich mehr oder weniger selber finanziert. Alle anderen Newsportale sind letztlich querfinanzierte Angebote aus meist serbelnden Printtiteln.
Eine Cashcow wird «Watson» nie werden, aber an schwarze Zahlen müssen sich auch die grössten SkeptikerInnen langsam gewöhnen. Dem Vernehmen nach soll beschlossene Sache sein, dass im Rahmen des zu revidierenden Radio- und TV-Gesetzes Onlineportale öffentliche Zuschüsse bekommen. Es soll niemand glauben, Peter oder Michael Wanner hätten nicht mit dieser Möglichkeit gerechnet.
Hansi Voigt (54) war stellvertretender Chefredaktor bei «Cash», arbeitete beim Onlineportal «20 Minuten» und gründete «Watson» mit. Hier schreibt er zu Fragen der Medienzukunft.