Letzter Aufruf: Das Problem hat vier Buchstaben

Nr. 47 –

Wie fast jeder hitzig geführte Abstimmungskampf hatte auch der zum Autobahnausbau einen Moment der Klarheit. Es war Mitte Oktober, als SRF 3 auf Instagram einen witzig gemeinten, aber offenbar hochkontroversen Post veröffentlichte. Darauf zu sehen war ein Kuchendiagramm, das besagte, dass einzig die Option «weniger Autos» gegen den vielen Stau auf Schweizer Autobahnen helfen würde – und nicht etwa zusätzliche Fahrspuren oder Strassentunnels. Damit zog SRF kaskadenartig den Zorn der bürgerlichen Jungparteien auf sich: Hier werde unausgewogen und tendenziös berichtet, so deren Vorwurf; als «Sauerei» beschimpften die Jungfreisinnigen den Cartoon. Worauf sich SRF zur Stellungnahme genötigt sah, es werde humoristische Posts auf Social Media künftig «gegebenenfalls noch klarer als Satire kennzeichnen». Mittlerweile hat sogar die SRF-Ombudsstelle beanstandet, der Beitrag sei problematisch gewesen.

Dabei reibt sich, wer in den letzten Wochen den Befürworter:innen des Ausbaus zugehört hat, verwundert die Augen. Denn was sie als Argumente für den Autobahnausbau vorgebracht haben, waren letztlich – wenn auch von teuren Beratungsagenturen akrobatisch verdrehte – Versionen dessen, was aus dem SRF-Kuchendiagramm abzulesen war. Den Strassen drohe der Kollaps, Schulkinder in Dörfern und Stadtquartieren würden von unzumutbarem Ausweichverkehr bedroht, und die Situation werde sich aufgrund der prognostizierten Verkehrszunahme künftig noch zuspitzen, mahnte ein überaus hochtourig engagierter Verkehrsminister Albert Rösti auf ungezählten Kanälen. Das eigentlich naheliegende Fazit: In der Schweiz gibt es schlicht zu viele Autos, und sie machen uns das Leben schwer.

Dazu ein paar Zahlen: Fast 4,8 Millionen Personenwagen sind im Land zugelassen. Annähernd die Hälfte aller Haushalte verfügt über ein Auto, ein weiteres Viertel sogar über zwei. Auf den Strassen sind sie mit durchschnittlich knapp eineinhalb Insass:innen hoffnungslos unterbesetzt, und fast die Hälfte aller Autokilometer werden aus Freizeitgründen zurückgelegt. Ganz bewusst entscheiden sich die Autolenker:innen dafür, zwischendurch eine Weile im Stau zu stehen – gerade dann, wenn es für dieselbe Strecke kein schnelleres oder bequemeres ÖV-Angebot gibt. Sobald es in der Schweiz also neue Strassen gibt, die sich verstopfen lassen, dann werden die Autos genau das auch tun.

Ungeachtet der Milliardenkosten, die der motorisierte Individualverkehr für die Allgemeinheit bedeutet, geht der Bundesrat aber weiterhin von dessen Wachstum aus – als gehorche das einem Naturgesetz. Unterstützung erhält er in diesen Tagen wohl kaum zufällig aus jener Branche, die vom Zuwachs des Autoverkehrs in den letzten Jahrzehnten zuvorderst profitiert hat: etwa von Multimilliardär Walter Frey, dem erfolgreichsten Autohändler Europas und langjährigen SVP-Politiker und -Financier. Bei sämtlichen grossen Zeitungsverlagen kam der 81-jährige, angeblich so verschwiegene Patron zuletzt in langen Interviews zu Wort. Und auch Auto Schweiz, die Vereinigung der offiziellen Autoimporteure, sprang Rösti mit der Warnung zur Seite, in der Schweiz drohe ein «Verkehrsinfarkt».

Der Präsident von Auto Schweiz hiess bis vor zwei Jahren: Albert Rösti. Er ist seither bekanntlich nicht nur Verkehrs-, sondern auch Umweltminister. Als solcher trug er in den letzten Wochen immer wieder auch folgendes Argument vor: Der Autobahnausbau sei nötig, weil der Strassenverkehr klimaschädlicher sei, wenn er stocke, als wenn er fliesse. «Stau ist ein Sicherheits- und Umweltrisiko», mahnte Rösti gegenüber der «SonntagsZeitung» in seinem Abstimmungsschlussspurt. Auch im Namen des Klimas soll es also nötig sein, dem Autoverkehr Hunderttausende Quadratmeter neue Beton- und Asphaltfläche zu widmen. Rösti befand es nicht für nötig, dies als Satire zu kennzeichnen.