Pläne der Armee: Neues aus dem Zuckerstock

Nr. 39 –

Die Schweizer Armee will die Umgebung ihrer Logistikzentren totalüberwachen. Legal dürfte das kaum zu schaffen sein.

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Schindler-Bunker beim Flugplatz Dübendorf
Die Schweizer Armee war schon immer enorm innovativ: Schindler-Bunker beim Flugplatz Dübendorf.

Der zweistöckige, volltreffersichere Schindler-Bunker ist ein Zeugnis der Schweizer Innovationskraft und nichts weniger als das. Patentiert schon 1937 vom Zürcher Architekten Gottfried Schindler, bewehrte die vorgefertigte Konstruktion während Jahrzehnten militärische Anlagen im ganzen Land. Überall wimmelte es von Schindler-Bunkern, wegen seiner Gestalt liebevoll auch Zuckerstock genannt.

Der obere Stock eines derartigen Zuckerstocks war von dickem Beton umgeben, in den kleine Schiessscharten eingelassen waren, wohinter sich idealerweise zielsichere Soldaten mit Gewehr befanden. Die untere Hälfte des Bunkers indes war im Boden vergraben. Darin hatte sich mindestens ein sportlicher Kollege zu befinden, der im Ernstfall kräftig in die Pedale eines festinstallierten Velos treten musste, um die Lüftung am Laufen zu halten, damit der schiessende Kamerad nicht an Kohlenmonoxid erstickte. Mitunter war auch noch ein Periskop integriert, mit dem die Umgebung abgesucht werden konnte. Mehr U-Boot war nie in der Schweiz.

Gerne standen solche Schindler-Bunker vor Kasernen, noch lieber vor den Haupteingängen von Zeughäusern. Über den effektiven Nutzen gingen die Meinungen früh auseinander. Hartnäckig hielt sich die Kritik, dass Eindringlinge eventuell nicht durch den Haupteingang spazieren würden. Aber keine Innovation ist vollkommen. Und gerade der Schutz der Zeughäuser, die mittlerweile Armeelogistikcenter heissen, wird ständig neu gedacht – sogar in Dimensionen, die möglicherweise fern jeder Legalität liegen.

Biometrische Fernidentifizierung

Gut drei Wochen ist es her, da schaltete die Schweizer Rüstungsbehörde Armasuisse eine Ausschreibung auf der bundeseigenen Vergabeplattform Simap auf, mit der sie Bewerber:innen für eine Projektstudie zur «Überwachung der Logistikinfrastruktur» sucht. Ist die Studie erfolgreich, sollen alle fünf Logistikzentren in Thun BE, Grolley FR, Othmarsingen AG, Hinwil ZH und Monte Ceneri TI aufgerüstet werden. Konkret geht es darum, dass die Armee eine Luftüberwachung über den Zentren und in einem Umkreis von einem Kilometer will. So sollen feindliche Drohnen und Quadrokopter erkannt werden. Das zweite Ziel ist die ­«automatisierte Erkennung von Personen und Identifikation von Fahrzeugen bei der Annäherung» – will heissen: Gesichtsscanner und Technologie zum Ablesen und Abgleichen von Nummernschildern. Ganz schön viele Warnlampen, wenn es um den Schutz von Grundrechten und persönlichen Daten geht, in einem einzigen Auftrag.

Die Probleme ergeben sich schon aus der Lage der Armeelogistikcenter. Diese befinden sich oft in oder am Rand von Wohngebieten. So etwa in Thun oder auch in Hinwil, wo zudem noch eine viel befahrene Strasse direkt am Logistikcenter vorbeiführt, auf der sich täglich Tausende Fahrzeuge potenziell annähern und gescannt werden müssten. Wie will da eine Totalüberwachung aufgefahren werden, die nicht die Anwohner:innen gleich mit ausspioniert? Die biometrische Fernidentifizierung lehnen nicht nur NGOs wie humanrights.ch ab – auch der Datenschutzausschuss der EU taxiert sie als Massenüberwachung, die in einer demokratischen Gesellschaft nicht akzeptabel sei.

Kaum besser sieht es bei der Fahrzeugerkennung aus. Das Bundesgericht hat schon mehrfach kantonale Gesetze kassiert, mit denen der Polizei die automatisierte Fahrzeugfahndung ermöglicht werden sollte. Zuletzt stoppte es den Kanton Luzern im November letzten Jahres in einem Leitentscheid: Es brauche eine eidgenössische Regelung, die der Überwachung klare Grenzen setze und die Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre berücksichtige. Auf welche gesetzliche Grundlage sich die Armee aktuell beruft, bleibt vollkommen unklar. Eine Sprecherin des Verteidigungsdepartements (VBS) teilt lediglich mit, «die Eignung in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, an die wir gebunden sind», werde bei der Auswahl der Lösungsvorschläge natürlich berücksichtigt.

Aber vermutlich stimmt auch, dass wahre Innovation Grenzen eher sprengt als einhält. Und um Innovation dreht sich gerade ganz vieles bei der Schweizer Armee.

Klassentreffen auf dem Gurten

«Viel Spass beim Innovieren» wünschte kürzlich die Schweizerische Gesellschaft für Technik und Armee (STA) auf der Businessplattform Linkedin. Die STA ist ein eigenartiger Verein in der Umlaufbahn der Armee. Im Vorstand sitzen hauptsächlich Vertreter von Rüstungsfirmen und Militärs. Armeechef Thomas Süssli ist ebenso vertreten wie etwa Andreas Cantoni vom Schweizer Ableger des israelischen Rüstungskonzerns Elbit. Präsident der STA ist Urs Breitmaier, CEO des österreichischen Waffenherstellers Glock, der früher noch als Urs Breitmeier firmierte, mit einem e in Meier, bis er und die Ruag sich im gegenseitigen Einvernehmen voneinander trennten.

Der nette Gruss auf Linkedin erfolgte nun mit Blick auf einen Anlass des Vereins auf dem Berner Hügel Gurten. Dort trafen sich vergangene Woche unter dem Titel «Create the Future!» sogenannte «Innovatoren» und «Integratoren», um unter anderem über die geplante Vollüberwachung der Logistikcenter zu sprechen. Die Ausschreibung dazu war begleitend zum Event von Armasuisse lanciert worden. Eine eigentümliche Vermengung der Interessen von Bestellern und Lieferanten. Warum mischt mit der STA ein industrienaher Verein bei Ausschreibungen mit? Und konnten sich Firmen, die auf dem Gurten waren, einen Vorteil verschaffen?

Das Wettbewerbsrecht sei eingehalten worden, wiegelt das VBS ab. Sämtliche Fragen, die an der Tagung besprochen worden seien, habe man später mit den passenden Antworten auf Simap veröffentlicht, «insofern stellt die Teilnahme am Innovationstag Create the Future! keine Vorbefassung dar». Die WOZ hat zwar keinen Zugang zum Anlass erhalten, aber laut Teilnehmer:innenliste war auch der Vertreter einer privaten Beratungsfirma anwesend, der zeitgleich in der Jury sitzt, die über die Ausschreibung zu den Logistikcentern befindet. Das klingt eher nach Abkürzung als nach ordentlichem Verfahren.

Klein ist die Schweizer Rüstungswelt. Wobei: so klein auch wieder nicht. Auf dem Gurten waren Dutzende Firmen dabei, von ETH-Spin-offs über die Swisscom bis zu ehemaligen Offizieren, die mehr KI aufs Schlachtfeld bringen möchten. Sie alle kamen zum Networken mit der Ruag, dem VBS, den Armeeleuten. Und um an die proppenvollen Rüstungstöpfe zu gelangen. Auch Süssli hielt eine Rede – worüber kann das VBS allerdings nicht sagen, er habe frei gesprochen.

Kamerastange für den Häuserkampf

Die STA ist längst nicht die einzige Attraktion im Innovationszirkus der Armee. Es gibt die Abteilung Inno V, es gibt die Innobase oder die Swiss Innovation Forces, eine Aktiengesellschaft in Bundesbesitz. Fünfzehn Innovator:innen hecken dort seit zwei Jahren allerlei Verbesserungen für die Truppe aus. Eher keine Sachen, die «new to the world» sind, wie der CEO Mathias Maurer in einem Podcast der Armee einräumt, sondern «new to the organisation», also neu für die Armee. Maurer nannte als Beispiel einen Webshop, über den sich Soldat:innen Ausrüstung nach Hause bestellen können – in umweltfreundlicher Verpackung eines Schweizer Start-ups. Eine weitere Innovation, die Grosses für die Zukunft erahnen lässt: eine Stange mit Kamera vorne dran für den Häuserkampf.

Thomas Süssli, der ja nicht einfach Armeechef ist, sondern immer auch Entrepreneur im Kampfanzug, tingelt derweil bis zu seinem angekündigten Rücktritt Ende dieses Jahres von Challenge zu Purpose-Speech. Vor ein paar Monaten an einem Ted Talk in Biel erzählte er von der Drohne, «dem Disruptor der Kriegstechnologie». Und Disruptoren, das wissen «Angel-Investor:innen», sind die wirkungsvollsten Innovationen überhaupt, weil sie die Gesetzmässigkeiten des Marktes verändern. Was also, wenn ein feindlicher Disruptor auf das Zeughaus in Othmarsingen losfliegt? Klar, der Datenschutz stellt sich dem nicht entgegen. Aber die Innovation vielleicht schon. Und ganz sicher: der volltreffersichere Schindler-Bunker.