Von oben herab: Radio Schwiiz FM

Nr. 3 –

Stefan Gärtner langweilt sich über das Programm

Mit dem Rauchen habe ich aufgehört, weil mir plötzlich schlecht davon geworden ist. Mit dem Fussballschauen habe ich ebenfalls aufgehört, weil mir plötzlich schlecht davon geworden ist. Das «Tatort»-Gucken habe ich gleichfalls drangegeben, Grund: Übelkeit. Und wenn ich mit dem Söhnchen vor dem Apparat sitze und beim Warten darauf, dass unser elend träges Gerät vom Fernseh- auf den Internet- und also Kinderfilmmodus umschaltet, nachmittäglich Zeuge einer öffentlich-rechtlichen Kreuzfahrtsoap werde, in der krebsrote Westtouristen ihren Anteil am Mehrwert in den Schwellen- und Darunterländern in Umlauf bringen, denen er abgepresst worden ist, dann bin ich froh, dass ich auch das Fernsehen aufgegeben habe, jedenfalls fast und wenn nostalgische Youtube-Krimis aus den späten siebziger Jahren («Der Alte») nicht zählen.

Bald stimmt das Schweizervolk über die Abschaffung des öffentlichen Rundfunks ab, und das wär natürlich ein Unglück; wobei ich, schau ich ins Reich, nicht recht weiss, was da im Ernst verloren ginge. «Die hervorragenden Nachrichten- und Informationssendungen!», höre ich, die aber, sofern als Talk nicht eh verächtlich, bloss in mittelmässigem Deutsch vorgetragene Vervielfältigungen sog. «Geschehnisse» sind; jeder Putsch, lese ich beim formidablen Dath, «eine Art Zuschauersportereignis, bei dem man Wetten darüber abschliessen kann, wie es ausgehen wird. Wenn die Militärs gewinnen, wird die islamistische Tendenz im Land dann vielleicht schwächer, mit der Präsident Erdogan kokettiert? Wenn Erdogan gewinnt, wird dann wenigstens eine stabile Ordnung einkehren?» Und wenn man hinterher mehr weiss, dann allenfalls deshalb, weil man weiss, warum man eben nicht mehr weiss.

Sind die Nachrichten herum, kommt ein Krimi, dann noch ein Krimi, dazwischen: Werbung für einen Krimi oder infernalische, vierstündige Quizsendungen, die alles auf die Spitze treiben, was je über Kulturindustrie und Unterhaltung als Massenverblödung gesagt worden ist. Im Kulturradio werden dann schlechte Bücher unter rücksichtslosem Phraseneinsatz in den Himmel gelobt, und wenn ich freilich trotzdem dagegen bin, das alles zu liquidieren, dann weil «öffentlich-rechtlich» immerhin noch klingt wie die gute alte Zeit, die so würdevolle Theaterkrimis wie «Der Alte» (nur echt mit Siegfried Lowitz!) im Programm hatte und, anders als im Privatprogramm, ja jederzeit die (theoretische) Möglichkeit bestünde, etwas Tieferes, Stilleres, Reflektierteres zu wagen als das stupid Quotenbegeisterte, das den Menschen Tag für Tag die Köpfe verstopft.

«Öffentlich-rechtlich», das ist der sozialdemokratische, einen Bildungsauftrag kennende Versorgungsstaat, wie der deutsche Privatfunk seinerzeit von konservativer Seite wider den «Rotfunk» installiert wurde, und es ist nicht unpassend, dass die Schweizer Abstimmung über die Rundfunkgebühr am selben Tag stattfindet wie die über die Abschaffung der direkten Bundessteuern, also die faktische Abschaffung des Schweizer Zentralstaats.

Die Schweiz ist ja ein Zwitter aus ältester libertärer Tradition und sozialstaatlicher Gesinnung. Der Staat, den sie jetzt kleinkriegen wollen, mag kein Staat zum Liebhaben sein; aber schafft man ihn samt seinem Rundfunk ab, kriegt man rundherum das, was nun wirklich das Niederträchtigste, nämlich noch die Idee und den Begriff von Fortschritt aus der Welt Lärmende ist:

Privatradio.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.