No-Billag-Initiative: Kessler allein zu Haus

Nr. 9 –

Vor der Beratung im Parlament wird deutlich: Die No-Billag-Initiative, die die SRG-Gebühren abschaffen will, ist zur One-Man-Show von Olivier Kessler verkommen. Auch wegen eines Auftritts bei Sektenprediger Ivo Sasek.

Billag-Gebühren sind für ihn Diebstahl: Der libertäre Olivier Kessler will der SRG den Geldhahn zudrehen. Foto: Urs Jaudas, «Tages-Anzeiger»

Die Marionetten auf der Bühne werden von drei Männern mit Zylindern gelenkt, vom «Radio», vom «TV» und von der «Presse». An der 11. Anti-Zensur-Konferenz des Sektenpredigers Ivo Sasek ist das Stück «Stopp den Meinungsmachern» ein groteskes Highlight. Zu sanften Streicherklängen fragt ein Sprecher: «Schon gehört, schon gesehen? TV, Radio, samt Presse, leiten bestens mein Interesse. Die da oben sagen klar, was sei Lüge, was sei wahr. Leider denke ich nicht mehr frei, dank der Meinungsmacherei!» Das Orchester gibt nun alles, und der Chor wünscht sich inbrünstig eine Zeit, in der die Wahrheit siegt. Die Schnüre der Marionetten werden zerschnitten, alle tanzen gemeinsam auf der Bühne. Im Saal bricht Jubel aus.

Nach dem Marionettentanz betritt Olivier Kessler die Bühne. An diesem Frühlingstag vor zwei Jahren ist er gekommen, um für die No-Billag-Initiative zu werben. Den Einzug der Gebühren für die SRG vergleicht er mit einem Raubüberfall: «Es gibt keinen Unterschied, ausser dass das eine krimineller Diebstahl ist und das andere staatlich legitimierter Diebstahl.» Zum Schluss des Referats bittet er das Publikum, die Initiative an einem Stand in der Halle zu unterschreiben. Ivo Sasek ist vom Referat begeistert: «Herzlichen Dank, Herr Kessler! Es war total überzeugend und erweckend!»

Saseks jährliche Anti-Zensur-Konferenzen sind nicht öffentlich. Einlass gibt es nur auf persönliche Anmeldung hin. Auch die Austragungsorte werden geheim gehalten. Dank des Sendebewusstseins des Laienpredigers finden sich im Internet aber zahlreiche Videos der Konferenzen: Der umstrittene Friedensforscher Daniele Ganser war schon dabei oder Impfgegnerin Juliane Sacher, der Chefredaktor des rechtsextremen «Compact»-Magazins Jürgen Elsässer ebenso wie die Holocaustleugnerin Sylvia Stolz (wobei sich ihr Referat nicht mehr auf der AZK-Seite befindet – Stolz wurde deswegen der Volksverhetzung schuldig gesprochen).

Kessler wirkt mit seinem akkurat gepflegten Bart und im weissen Hemd stets wie ein Saubermann. Dass er für seine Initiative bei einem Sektenanlass warb und sich in ein verschwörungstheoretisches und antisemitisches Umfeld begab, wirft ein schiefes Licht auf ihn. Wer ist dieser Mann? Und wie steht es um die No-Billag-Initiative?

Die libertäre Heimat

Kessler wuchs am Zürichseeufer im Kanton Schwyz auf. Als Gymischüler war er in den Jahren 2003 bis 2005 – Facebook existierte damals noch nicht – Webmaster eines Forums, wie Recherchen von «20 Minuten» zeigten. Es war in weiten Teilen rassistisch und gewaltverherrlichend. Die zentralen Themen sind der Hass auf Menschen aus Exjugoslawien sowie auf die Antifa und Prahlen über Schlägereien im Umfeld des Tessiner Hockeyklubs Lugano. Unmittelbar nach den Recherchen von 2015 verschwand das Forum aus dem Internet.

Nach dem Gymnasium studierte Kessler an der HSG in St. Gallen Internationale Beziehungen. Dort entdeckte er Friedrich August von Hayek und Roland Baader, die fortan sein libertäres Denken prägen sollten. Im Zentrum dieser Ideologie steht die «Ablehnung des staatlichen Zwangs», wie Kessler in einem Gespräch mit dem libertären Blog «Die Zürcherin» sagt, als Beispiel nennt er das «Gender-Mainstreaming». Seine parteipolitische Heimat findet Kessler bei der Jungen SVP (JSVP).

Am 26. Januar 2013 fand in Zürich eine Veranstaltung mit dem Titel «Aussteigen, Endstation Sozialismus!» statt – ein Klassentreffen der jungen libertären Kräfte aus dem Umfeld der JSVP und des Jungfreisinns (JFDP). Die «Weltwoche» schrieb damals euphorisch vom Schulterschluss der beiden rechtsbürgerlichen Jungparteien. Im Lauf des Jahres entstand bei gemeinsamem Biertrinken die Idee zur No-Billag-Initiative. Diese verlangt eine Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren. Sie war das erste Projekt der neuen libertären Politgeneration: Im 27 Personen umfassenden Komitee bündelte sie ihre Kräfte – die meisten von ihnen wie Anian Liebrand aus der JSVP oder wie Maurus Zeier von der JFDP.

Die Unterschriftensammlung für die No-Billag-Initiative lief ordentlich, am Ende brauchte es jedoch die Schützenhilfe von «Gewerbezeitung» (Auflage: 140 000) und «Weltwoche» (Auflage: 62 000), die jeweils einen Unterschriftenbogen beilegten. Mitte Dezember 2015 konnte das Komitee die Initiative einreichen. Es war der bisherige Höhepunkt. Auch für Olivier Kessler: Er wurde Chefredaktor der rechtsnationalen «Schweizerzeit». Nach verlegerischen Umstrukturierungen amtet er heute als Vizedirektor des Liberalen Instituts, einer Stiftung zur Ideologiepflege.

Nur Schriftverkehr

Die WOZ hätte gerne ausführlich mit Olivier Kessler gesprochen. Doch der Mann, der das Mediensystem fundamental angreift, weicht dem Gespräch aus. Über mehrere Tage lehnt er ein Interview mit Verweis auf andere Verpflichtungen ab. Dann besteht er auf schriftlichen, teilweise sehr ausführlichen Antworten. Er will sie in voller Länge zitiert haben, auch wenn sie über die gestellten Fragen hinausgehen. Für die WOZ kommt eine solche Forderung nicht infrage. Bezüglich seines Auftritts bei Ivo Sasek hielt Kessler sinngemäss fest, dass er für Aussagen, die andere an einer Veranstaltung tätigten, nicht verantwortlich sei.

Ist ein Politiker tatsächlich nur für das verantwortlich, was er selbst sagt? Oder nicht auch dafür, in welchem Zusammenhang er etwas sagt? Auffällig ist, dass sich im Verlauf der No-Billag-Geschichte immer mehr InitiantInnen zurückgezogen haben.

Unter den InitiantInnen sorgte Kesslers Aufritt bei Ivo Sasek für Unmut. Mitglieder des Komitees, die namentlich nicht genannt werden wollen, beklagen sich zudem, dass Kessler über ein «starkes Ego» verfüge und es nicht immer einfach sei, mit ihm zusammenzuarbeiten. Insgesamt kontaktierte die WOZ über zwanzig Komiteemitglieder, wobei rasch klar wurde, dass die libertäre und junge Kerngruppe, die am Ursprung der Initiative stand, im Lauf des vorletzten Jahres immer passiver wurde. Exemplarisch dafür ist der Webauftritt der InitiantInnen, auf dem in der Rubrik «Komitee» noch genau drei Leute mit Foto aufgeführt sind: Florian M. Maier, Michelle Inauen und Olivier Kessler. Während Inauen gegenüber der WOZ betonte, sie habe sich zurückgezogen, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren, war Maier unerreichbar, offenbar weilt er in China.

Das Rumpfteam

So kommt es heute, dass neben Olivier Kessler nur noch ein geschrumpftes Team wirklich vollen Einsatz für die Initiative zeigt: Dazu gehören Christian Riesen (lange parteilos, heute SVP Solothurn), der 1997 eine Initiative zur Einführung der Todesstrafe lancierte, Andreas Kleeb, ein ehemaliger Zuger FDP-Kantonspräsident, sowie der St. Galler EDU-Politiker Daniel Engler. Ein wichtiger Grund für das massiv abnehmende Interesse der jungen Garde liegt offensichtlich darin, dass die Initiative nicht karrierefördernd wirkte: In den jeweiligen Mutterparteien war das Anliegen nie auch nur annähernd mehrheitsfähig, vielen war sie schlicht zu radikal beziehungsweise zu libertär – die Strömung ist fürs Erste ausgebremst worden. Auch deshalb ist es wohl um Kessler einsam geworden.

Nächste Woche wird die No-Billag-Initiative im Ständerat behandelt. Weder die Linke noch die CVP oder die FDP unterstützen sie. Und die SVP? Die einflussreichste Medienpolitikerin der Partei ist Natalie Rickli: Sie präsidiert die nationalrätliche Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, sie präsidiert auch die Aktion Medienfreiheit, die parlamentarische Gruppe der Bürgerlichen zum Schaden der SRG und zum Nutzen der privaten Medienkonzerne. Rickli ist aber nicht nur Politikerin, sondern auch Lobbyistin: für den Werbevermittler Goldbach Group.

All das zusammengenommen, müsste sie ein Interesse an der No-Billag-Initiative haben. Darauf angesprochen, weist sie die Initiative weit von sich: «Ich selber habe die No-Billag-Initiative nicht unterschrieben.» Die SVP entscheide über eine Unterstützung erst vor der Abstimmung. Das Gleiche gelte für die Aktion Medienfreiheit. Und was die Goldbach-Gruppe betreffe: Diese werde sich weder für noch gegen die Initiative engagieren.

Rickli bestätigt nur einen Zusammenhang: dass es das erklärte Ziel der SVP bleibe, die SRG-Kosten um die Hälfte zu senken. Fürs Erste wird die Partei deshalb kaum auf die No-Billag-Rumpftruppe setzen, sondern die Initiative als Druckmittel benutzen – für einen Gegenvorschlag, der die Gebühren um die Hälfte kürzen will.