Schweizer Sanktionen: Ein tagelanger Irrlauf

Nr. 9 –

Letzten Endes übernimmt der Bundesrat die EU-Sanktionen gegen russische Politikerinnen und Oligarchen doch noch. Aber die Schweiz wird unter Beobachtung bleiben.

Am Schluss schaffte es die Schweiz immerhin noch vor der Fifa, Sanktionen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine zu ergreifen. Wenige Stunden bevor der Weltfussballverband russische Teams von seinen Wettbewerben ausschloss, hatte der Bundesrat eingesehen, dass seine Position nicht mehr haltbar war. Zumindest die ersten Tranchen der EU-Sanktionen gegen Hunderte für die Eskalation Verantwortliche, darunter Russlands Präsident Wladimir Putin und dessen Verteidigungsminister Sergei Lawrow, hat die Schweiz mittlerweile übernommen. Die Vermögen der auf der Sanktionsliste geführten Personen werden eingefroren.

Ohne jedes Verständnis

Vorangegangen waren vier Tage, in denen der Bundesrat jede Klarheit, jedes Verantwortungsbewusstsein und jedes Verständnis der internationalen Dynamik vermissen liess. «Was wir gesehen haben, war eine Mischung aus ideologischer Verbohrtheit, Geldgier, fehlenden Gesetzen und Unfähigkeit», kommentiert SP-Aussenpolitiker Fabian Molina. Ideologische Verbohrtheit, weil Bundespräsident Ignazio Cassis bis zuletzt den neutralen Status der Schweiz anführte, der zur Zurückhaltung gemahne. Geldgier, weil die Schweiz wichtigster Fluchtpunkt für Gelder der russischen Oligarchie ist. Unfähig, weil das für die Umsetzung der Sanktionen zuständige Wirtschaftsdepartement bis zum Schluss durch Inkompetenz und Renitenz auffiel. Laut Medienberichten legte Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) zunächst gar keinen Antrag zum Umgang mit den Sanktionen vor, danach versuchte er, im Gremium eine Sonderrolle der Schweiz durchzusetzen.

«Ich begrüsse von ganzem Herzen, dass die Schweiz EU-Sanktionen gegen Putin und seine Unterstützer beim Einmarsch in die Ukraine verabschieden und deren Vermögen einfrieren wird», twitterte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell nach dem Entscheid des Bundesrats am Montag. Der Druck aus Brüssel war enorm geworden. «Die Schweiz hing mit den Vorderrädern schon über dem Abgrund», sagt Molina, angesprochen auf den entstandenen Imageschaden. Ob sie nun wieder auf sicherem Terrain steht, bleibt vorerst offen. Rückt der Rohstoffsektor in den Fokus der Strafmassnahmen, gerät die Schweiz wieder in Zugzwang: Achtzig Prozent des russischen Rohstoffhandels werden über Genf, Lugano und Zug abgewickelt. Von sich aus tätig werden kann der Bundesrat nicht, weil das Embargogesetz – Stichwort fehlende gesetzliche Grundlagen – im Grundsatz nur den Nachvollzug von Sanktionen zulässt.

Offen bleibt, warum die Schweiz die Sanktionen der EU nur zögerlich übernimmt. Finanzminister Ueli Maurer sagte, die weiteren EU-Sanktionspakete, etwa jenes mit dem Einfrieren der Gelder der russischen Zentralbank, müssten erst geprüft werden. Jedoch hatte die EU am Montag auch die Liste mit Freund:innen Putins erweitert, deren Konten gesperrt werden – eine Sanktion, deren Nachvollzug simpel wäre. Doch die Schweiz wartet auch hiermit zu. «Wir rechnen damit, dass diese Verordnung in den nächsten Tagen rechtskräftig sein wird», teilt das Wirtschaftsdepartement mit. Anders als in den ersten Paketen finden sich auf der neuen Liste auch Oligarch:innen mit engen Geschäftsbeziehungen in die Schweiz. Namentlich genannt wird etwa der Rohstoffmilliardär Gennadi Timtschenko, ein grosser Gönner Schweizer Sportklubs und Kulturinstitutionen mit prächtiger Villa am Genfersee.

«Wie ein nordkoreanischer Tanker»

Können Oligarch:innen dieses Zeitfenster nutzen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen? «Diese Möglichkeit besteht», sagt der Geldwäschereiexperte Mark Pieth. Allerdings wisse er aus guter Quelle, dass in den letzten Tagen die umgekehrte Bewegung stattgefunden habe: «Wahnsinnige Geldsummen sind in den Tagen nach der Invasion aus Russland nach Genf transferiert worden.» Überprüfen lässt sich das nicht.

Unklar bleibt, inwieweit es den Behörden überhaupt möglich ist, die Gelder der Oligarch:innen zu identifizieren. So fehlen in der Schweiz zum Beispiel teilweise Register der tatsächlich Begünstigten von Firmenkonstruktionen. Pieth glaubt, dass das Ausland die Aufklärung leisten müsse, namentlich die US-Behörden. «Bundesanwaltschaft und Finma sind ja schon mit normalen Fällen überfordert», sagt Pieth. Die Schweiz dürfe sich keine Nachlässigkeit mehr leisten, sonst werde sie als Vehikel zur Umgehung von Sanktionen wahrgenommen – und bestraft: «Dann ergeht es uns wie einem nordkoreanischen Tanker.»

Eine Hoffnung teilen Mark Pieth und Fabian Molina: Dass der Schweizer Irrlauf in der Ukrainekrise politische Veränderungen begünstigt. Molina erneuert die alte Forderung einer Aufsichtsbehörde über den Rohstoffhandel, er verlangt transparente Firmenregister und neue Embargogesetze. Und Pieth hofft auf einen Bewusstseinswandel in der Schweiz: «Jetzt wird dem breiteren Publikum klar, inwiefern wir ein Staat sind, der anderen Menschen auf der Welt schadet.»