Wie wir leben werden (12): Der Mirabellenretter

Nr. 43 –

Die Schweiz importiert Früchte aus der ganzen Welt, während Quitten und Kirschen in hiesigen Gärten verfaulen. Janosch Szabo tut was dagegen.

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Janosch Szabo
Konfi gegen das Klimadesaster: Der Bieler Janosch Szabo verarbeitet in seinem Atelier Beeren, die ihm geschenkt wurden.

Es ist ein sonniger Herbstmorgen. Janosch Szabo steht in seinem Atelier in der Bieler Seevorstadt und gibt 1,9 Kilogramm dunkle Maulbeeren in die Pfanne, rührt Geliermittel und 550 Gramm Rohrohrzucker dazu. «Die Konfi soll nicht zu süss sein», sagt er. «Man soll die Früchte selbst und ihren Charakter gut schmecken.» Schon bald blubbert die Masse in einem kräftigen Dunkelviolett. Szabo püriert sie kurz und füllt sie in abgekochte Gläser ab.

Wegen ihrer Farbe habe man die Beeren früher zum Färben des Weins verwendet, erzählt Szabo, während er arbeitet. Heute seien die Bäume selten geworden, die Früchte fast in Vergessenheit geraten. Die Beeren hat Szabo Anfang Juli vom Baum eines Freundes gepflückt, der sie selbst nicht alle verarbeiten kann.

Auf der Arbeitsfläche aus Chromstahl im Atelier stehen die Zutaten für zwei weitere Konfitüresorten bereit: 2,3 Kilogramm Pflaumen – am Vortag in Courtelary auf dem verwilderten Grundstück einer Immobilienfirma aufgesammelt. 1,5 Kilogramm Feigen, Anfang August zusammen mit seiner Tochter am Bahnhof Twann geerntet. Weil ihm reine Feigenkonfitüre zu süss ist, wird er noch Zitronen hinzugeben. Diese erhielt er von einer Schnapsbrennerei, er filetierte sie einzeln. «Es war eine Riesenarbeit, aber am Ende landete keine einzige Zitrone im Abfall», sagt er. Nach dem ergiebigen Sommer ist seine Tiefkühltruhe bis an den Rand mit geretteten Beeren und Früchten gefüllt, spätestens in den Wintermonaten, wenn die Natur Pause macht, wird er sie verarbeiten.

Vom Journalisten zum «Konfimaa»

Szabo nennt sich und sein Geschäft «Konfimaa», selbstständig gemacht hat er sich vor dreizehn Jahren, da war er 27 und Redaktor beim «Bieler Tagblatt». Eigentlich liebte er seinen Job. Aber daneben blieb kaum Zeit für anderes. Oft fuhr er erst um zehn Uhr nachts mit dem Velo nach Hause, den Kopf voller Ideen, merkte, dass er mit seinem Leben noch etwas anderes machen wollte. Als er kündigte, wusste er noch nicht, dass er sich schon bald aufs Kochen von Konfitüren spezialisieren würde. Ein halbjähriger Zivildiensteinsatz auf einem Demeter-Bauernhof sollte ihm Zeit geben, herauszufinden, was er wollte.

Es sei ein Jahr voller Brombeeren gewesen, erinnert sich Szabo: Kiloweise habe er sie in jenem Sommer der Aare entlang gesammelt und zu Konfi verarbeitet. Und auf den Velofahrten zum Bauernhof und zurück sah er, dass in vielen Privatgärten oder auf öffentlichen Grundstücken Früchte und Beeren ungenutzt verfaulten. «Ich fand es absurd, diesen Reichtum vor der eigenen Haustür verderben zu sehen, während wir gleichzeitig tonnenweise davon aus fernen Ländern importieren», sagt er.

Er beschloss, Früchte zu retten und ein monatliches Konfiabo anzubieten. Holunderblüten im Mai, Erdbeeren, Johannisbeeren, Kirschen und Mirabellen im Sommer, gefolgt von Brombeeren, Pflaumen, Zwetschgen, Trauben, Kornelkirschen, Sanddorn, Quitten, Birnen, Hagebutten, Schlehen und am Ende Kiwis. Die Vielfalt ist riesig. Als er Leute fragte, ob er ihre ungenutzten Früchte sammeln dürfe, rannte er offene Türen ein.

Zwischen Sicherheit und Leidenschaft

Heute hat er 45 Abonnent:innen, dazu beliefert er einige lokale Geschäfte. Zudem hat er über die Jahre ein Netzwerk aufgebaut zu Leuten, die für ihn Konfigläser sammeln, und solchen, in deren Gärten er Früchte retten darf. «Eigentlich ist es eine Erfolgsgeschichte», sagt Szabo. Die Nachfrage sei grösser als das Angebot, Früchte würden ihm baumweise angeboten. Ausserdem könne er Menschen den Wert von Lebensmitteln vermitteln und sie für das Thema Foodwaste sensibilisieren.

In der Summe ein kleiner Beitrag gegen den Klimawandel: Die Früchte sind nicht per Flugzeug oder Lastwagen über weite Strecken hierhergekommen, die Gläser nicht eigens für die Konfis energieintensiv hergestellt worden; alle Transportwege von der Ernte bis zur Auslieferung werden mit dem Velo, zu Fuss oder mit dem ÖV zurückgelegt.

«Genau darin liegt aber auch die Krux. So wie ich das mache, alles in Handarbeit, kann es nicht rentieren», sagt Szabo. Oft habe er nicht gewusst, wie er die nächsten Rechnungen zahlen sollte. Mit kleineren Jobs hielt er sich über Wasser. «Um langfristig wirklich davon leben zu können, hätte ich entweder meine Prinzipien aufgeben und expandieren oder aber die Preise deutlich erhöhen müssen», sagt Szabo. «Ich will aber kein Luxusprodukt machen, das sich nur Reiche leisten können.» Seit Anfang September ist er wieder drei Tage die Woche angestellt.

In der verbleibenden Zeit rettet er weiterhin Früchte – zum Beispiel die Nashi-Birnen einer Frau, die ihn im Zug auf sein Projekt angesprochen und ihn eingeladen habe.