Abstimmungskommentare

Autobahnausbau: Die Verteidigung des Raums

Das Nein setzt dem endlosen Strassenausbau Grenzen und ist auch ein Votum gegen rechte Selbstherrlichkeit.

Illustration von Ruedi Widmer
Illustration: Ruedi Widmer

Das Nein zum Autobahnausbau ist ein historischer umweltpolitischer Erfolg – vergleichbar mit dem Ja zur Rothenthurm-Initiative für den Moorschutz (1987) und zur Alpeninitiative für die Eindämmung des Transitverkehrs (1994). Und doch ist es neu. Denn zum ersten Mal hat die Schweizer Stimmbevölkerung Nein gesagt zu einer Entwicklung, die von der Autolobby gern als Naturgesetz dargestellt wird: dass der private Autoverkehr immer weiterwächst, immer mehr Ressourcen braucht und immer mehr Boden zerstören darf.

Die Gründe für das Nein sind vielfältig – wie bei früheren umweltpolitischen Erfolgen gelang es, weit über das links-grüne Lager hinaus zu mobilisieren. Die Landbevölkerung, etwa in Graubünden, wird sich zu Recht gefragt haben: Was haben wir davon? Bäuerliche Kreise beurteilten den Bodenverschleiss weit kritischer als ihr Verband (siehe WOZ Nr. 47/24). Bei anderen mag die Angst vor jahrelangen Riesenbaustellen und höheren Benzinpreisen eine Rolle gespielt haben.

Lokal und vernetzt

Entscheidend war die hartnäckige Arbeit der lokalen autobahnkritischen Gruppen, die zum Teil schon jahrelang aktiv sind. Ihnen gelang es, Lokalpolitiker:innen, Verbände und ausserparlamentarische Aktivist:innen zu vernetzen und der Bevölkerung konkret aufzuzeigen, dass die Ausbauprojekte zu Lärm und Dreck, Mehrverkehr und dem Zubetonieren von Agrarland geführt hätten. Die Verteidigung des Raums war schon immer einer der wichtigsten Impulse der Umweltbewegung: Wir stellen uns der Zerstörung von Orten entgegen, die wir schätzen – etwa der Dreirosenanlage in Basel (siehe WOZ Nr. 42/24) oder des Wattbachtobels bei St. Gallen (siehe WOZ Nr. 45/24).

Und nicht wenige werden Nein gestimmt haben, weil ihnen die Selbstherrlichkeit der rechten Antiumweltpolitiker auf die Nerven geht, allen voran jene von Bundesrat Albert Rösti, aber auch diverser Männer aus Mitte und FDP, die in den letzten Monaten im Durchmarschiermodus waren: Bewährte umweltpolitische Instrumente wie Tempo-30-Zonen, Lärmschutzregelungen, Pestizidreduktionen, die Verbandsbeschwerde oder ein sorgfältiges Wolfsmanagement – alles greifen sie an.

Das Nein wird die fragwürdige Allianz zwischen Bauernverband und Wirtschaftsverbänden erschüttern. Und es wird hoffentlich zu einer Neuaufteilung der zu vollen Autobahnkassen führen. Die Grünen haben bereits einen überzeugenden Vorschlag präsentiert, wie der Zweck des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) neu zu definieren wäre. Geld daraus soll mehr in Velo-, Fuss- und öffentlichen Verkehr, aber auch in Lärmschutz und die Bewältigung der zunehmenden Extremwetterereignisse fliessen.

Auch eine Geschlechterfrage

Spätestens diesen Sonntag war offensichtlich, wie stark der Autobahnausbau auch eine Geschlechterfrage ist: Im Ja-Komitee dominierten schlecht gelaunte Männer in schwarzen Anzügen, im Nein-Komitee versammelte sich ein bunter Haufen – und fast nur Frauen standen am Mikrofon.

Dass Frauen umweltfreundlicher abstimmen, ist schon lange bekannt. Beim Strassenverkehr geht es aber nicht nur um die Umwelt, sondern auch um Gewalt. «Das Auto ist eine Waffe, immer», sagt die Verkehrspsychologin Jacqueline Bächli-Biétry in Fabian Biasios unterhaltsamem Film «Automania» (siehe WOZ Nr. 46/24). Frauen spüren diese Gewalt stärker – nur schon weil sie beruflich und privat viel öfter mit Kindern, Alten und anderen verletzlichen Menschen Strassen überqueren.

«Automania» zeigt, wie menschenfeindliche Strukturen im Verkehr dominieren. Aber auch, dass sich diese Strukturen verändern lassen. Um Strukturen zu verändern – genau dafür ist die Politik da.