Erlesene USA (3): Eine Gefahr für die innere Sicherheit?

Nr. 23 –

Nach Jahrzehnten im Exil wird plötzlich ein Kopfgeld von zwei Millionen Dollar auf sie ausgesetzt: Assata Shakurs Autobiografie beschreibt den umfassenden Repressionsapparat der USA.

Assata Shakur 1987 in Havanna
Keine Fingerabdrücke, keine Schmauchspuren – und trotzdem schuldig gesprochen: Assata Shakur 1987 in Havanna mit dem Manuskript ihrer Autobiografie. Foto: Ozier Muhammad, Getty

Im Mai 2013 hielt das FBI eine Pressekonferenz ab, um mitzuteilen, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Organisation eine Frau auf die Liste der «Top Wanted Terrorists» gesetzt worden sei: Joanne Chesimard, bekannt als Assata Shakur.

Anlass war der 40. Jahrestag eines Verbrechens, das Shakur angelastet wird. Sie soll im Mai 1973 bei einer Verkehrskontrolle in New Jersey den Bundespolizisten Werner Foerster erschossen haben. Trotz dünner Beweislage und zweifelhafter Geschworenenauswahl war Shakur damals zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden, brach einige Jahre danach allerdings aus dem Gefängnis aus. Seit den achtziger Jahren lebt sie im politischen Asyl in Kuba und bestreitet die Tat bis heute.

Das Bemerkenswerteste an der Pressekonferenz war, dass es keine Neuigkeiten gab, weder zum Fall noch zu ihrer Person. Die FBI-Beamten stellten einen Steckbrief mit verschiedenen Fotos von Shakur vor und versprachen eine Belohnung von bis zu zwei Millionen Dollar für Hinweise. Wie aber, wenn nicht durch neue Erkenntnisse, erklärte sich diese sicherheitspolitische Massnahme? Warum wird jemand, der jahrzehntelang unauffällig in einem anderen Land lebt, plötzlich zur meistgesuchten Terroristin hochgestuft? Und weshalb ausgerechnet Shakur?

In jedem guten Buchladen

Antworten auf diese Fragen hat Shakur selbst gegeben, und zwar in ihrer 1987 veröffentlichten Autobiografie «Assata», die in jedem guten linken Buchladen der USA im Regal steht. Shakur erzählt darin nicht nur ihren eigenen Werdegang hin zum berühmt-berüchtigten Mitglied der linksmilitanten Black Liberation Army. Man erfährt auch, und das gilt bis heute, wie sehr sich die USA durch ihre politischen Gegner:innen konstituieren: durch die Kultivierung eines Freund-Feind-Schemas, das einen riesigen Repressionsapparat aufrechterhält. Es geht in diesem Buch um die Rolle der Polizei, um die Mechanismen von «crime panics», um Schwarzen Widerstand und um Rote Angst. «Assata» ist eine uramerikanische Geschichte, weil Shakur das «Unamerikanische» verkörpert.

Assata Shakur wurde 1947 in New York geboren. Nach der Scheidung ihrer Eltern kam sie zu ihren Grosseltern nach North Carolina, wo sie mit der im Süden herrschenden Segregation konfrontiert war. Als sie nach der Grundschule wieder nach New York zog, entwickelte sich gerade das Civil Rights Movement zu einer landesweiten Bewegung. «Ich wusste nicht, was ich von den Unruhen halten sollte», so Shakur, «nur dass ich die Aufständischen gewinnen sehen wollte.»

Auf dem Community College stockte sie ihr Geschichtswissen auf, erfuhr etwa zum ersten Mal von Nat Turner, der 1831 einen Sklavenaufstand angeführt hatte. Sie lernte linke Aktivist:innen kennen, begann, an die Revolution zu glauben, störte sich an der Überheblichkeit weisser Marxisten und schloss sich schliesslich der Black Panthers Party an. Die Kapitel zu dieser Periode sind besonders eindrücklich, weil man Shakurs sprudelnder Neugierde folgt, aus der sich nach und nach auch eine kritische Analyse formt. Sie beschreibt einerseits überschwänglich ihre neue Kameradschaft und wie sie mit voller Überzeugung beim Frühstücksprogramm der Panthers mithilft. Andererseits konfrontiert sie den «Machokult» der Partei, klagt über den schlechten Redner Huey Newton und stellt «dogmatische Stagnation» fest.

Überwacht und eingeschüchtert

Neben Kindheit und Politisierung hat das Buch noch einen zweiten Zeitstrang, der von ihrer Festnahme 1973 bis zum politischen Asyl in Kuba verläuft. Shakur verbrachte diese Jahre zwischen Haftanstalten, Krankenhäusern und Gerichtssälen, wobei sie in verschiedenen Verfahren wegen mangelnder Beweise freigesprochen wurde. Als Shakur gegenüber einem Gefängniswärter erklärt, dass sie unbezahlte Gefängnisarbeit ablehne, wird sie von diesem korrigiert: Sklaverei in Haftanstalten sei legal. Der 13. Zusatzartikel zur Verfassung ist auch im Jahr 2024 noch in Kraft.

«Cointelpro» nannte sich das Geheimprogramm des FBI, das von 1956 bis zur Aufdeckung 1971 lief. Linke und besonders linke Schwarze Aktivist:innen wurden überwacht und eingeschüchtert, oftmals durch Gewalt, Psychoterror, Infiltration, systematische Zersetzung. Betroffen waren neben den Black Panthers – von FBI-Direktor Hoover damals als «grösste Gefahr für die innere Sicherheit des Landes» dämonisiert – auch Organisationen wie die Students for a Democratic Society und Bürgerrechtler:innen wie Martin Luther King.

Shakur erzählt, wie sich die Dinge zunehmend seltsam anfühlten, aber dass zunächst niemand wusste, was los war. Fremde Männer folgten ihr, Nachbarinnen wurden ausgefragt. Ihr Telefon funktionierte, obwohl sie monatelang die Rechnung nicht bezahlt hatte. Als sie eines Tages auf der Titelseite der Boulevardzeitung «Daily News» ein Foto von sich erblickte, entschloss sie sich, in den Untergrund zu gehen. «Es wirkte so, als stünde die gesamte Schwarze Community auf der Most-Wanted-Liste des FBI», so Shakur.

Das «Cointelpro»-Programm gibt es heute zwar nicht mehr; linke «Staatsfeind:innen» werden aber immer noch produziert. Im Mai 2020, ein paar Tage nach dem Mord an George Floyd, bezeichnete der damalige Präsident Donald Trump die Antifa als «Terrororganisation». Republikanische Abgeordnete und rechte Medien haben dieses Label in den vergangenen Jahren immer wieder auch der Black-Lives-Matter-Bewegung verpasst. Die Klimaaktivistin Jessica Reznicek wurde 2022 wegen «Inlandsterrorismus» zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem sie eine Ölpipeline sabotiert hatte. Wer sich in den USA der kapitalistischen Ordnung widersetzt, muss mit drakonischsten Strafen rechnen.

Keine Schmauchspuren

Was genau am 2. Mai 1973 passierte, wird wohl nie vollständig geklärt werden. Fest steht, dass Polizisten in New Jersey den Wagen mit Shakur anhielten und es zu einem Schusswechsel kam, bei dem ein Beamter und auch ein Freund Shakurs erschossen wurden. Shakurs Fingerabdrücke waren nicht an der Tatwaffe, an ihren Händen wurden keine Schmauchspuren gefunden. Sie selbst bekam drei Kugeln ab. Eine komplett weisse Jury, in der auch Familienmitglieder und Freunde von Polizisten in New Jersey sassen, sprach Shakur dennoch schuldig.

Zweifelhaftes Verfahren hin oder her: Polizist:innenmord wird in den USA von vielen als höchste Stufe des Landesverrats betrachtet. Wenn man dazu berücksichtigt, dass sich das FBI bereits Jahre zuvor auf Shakur eingeschossen hatte, dann ist es eigentlich nur logisch, dass diese Behörde auch heute noch auf sie fixiert ist. Doch Shakur überdauert nicht nur als Projektion der amerikanischen Staatsgewalt, sondern auch als aktivistische Inspiration. Bei Protesten sind bis heute immer wieder Shakurs Worte zu hören: «It is our duty to fight for our freedom. It is our duty to win. We must love each other and support each other. We have nothing to lose but our chains» (Es ist unsere Pflicht, für unsere Freiheit zu kämpfen. Es ist unsere Pflicht, zu gewinnen. Wir müssen uns lieben und gegenseitig unterstützen. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten).

Assata Shakur: «Assata. An Autobiography». Chicago Review Press 1999. 320 Seiten. 28 Franken.