Lernen Sie die Sprache des Bildungsbürgertums! Unzählige Begriffe aus der Psychoanalyse sind heute Teil unserer Umgangssprache. Selten werden sie richtig verstanden. Da hilft ein Glossar weiter.

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Fotocollage: eine Person wo das Gesicht mit einem Wald-Bild und einem Bild einer Meeres-Schnecke ersetzt wurde, daneben ein Bild wo eine Blume mit den Beinen einer Person verschmelzen
Illustration: Anna Bu Kliewer

Penisneid

Wenn ich auf etwas eifersüchtig bin, dann auf Menschen, die beim Wandern lauthals verkünden, sie müssten mal eben «den Lurch würgen», und dann entspannt hinter den nächsten Baum pinkeln. Wieso das so sein soll, erklärt Freud in seiner Schrift «Über infantile Sexualtheorien»: Wenn kleine Mädchen realisieren, dass sie keinen Penis besitzen, entwickeln sie prompt Kastrationsfantasien und Minderwertigkeitsgefühle, die sie bis ins Erwachsenenalter prägen. Eine so steile wie umstrittene These, die mich nicht restlos überzeugt. Mit Vulva draussen pinkeln ist trotzdem mühsam.

Neurose

Wie sich nicht bereits im ersten Gedanken verheddern, wie die inneren Konflikte ausdrücken, den zu entwirrenden Seelenknoten fassbar machen … und habe ich die Herdplatte wirklich ausgeschaltet? Es sei ein Laienglaube, dass Neurosen überflüssig seien, sagte Freud, also schlagen wir uns gezwungenermassen damit herum – im besten Fall, ohne daran zu verzweifeln.

Fetisch

Bei Olfaktophilen zum Beispiel entzündet sich die Lust in der Nase. Looner:innen wiederum erregt es, sich an Luftballons zu reiben oder ihnen beim Platzen zuzusehen. Der sexuelle Fetischismus schenkt uns nicht nur einige schöne Wörter, er ist auch eine Feier der Tatsache, dass Sex höchstens nebensächlich mit Fortpflanzung zu tun hat. Der alte Freud verstand den Fetischismus noch als krankhafte Fixierung, die nur Männer betrifft. Doch die wunderbare Fähigkeit, spezifische Objekte, Materialien, Situationen oder Körperteile mit sexueller Begierde aufzuladen, ist bestimmt auch einer der Gründe, warum uns nie langweilig werden wird.

Narzissmus

Definitiv keine Wunschdiagnose. Während in der Populärpsychologie «people pleaser» als die Netten gelten, die kaum Grenzen setzen, und ADHSler als die Quirligen mit der unerschöpflichen Energie, geniessen Narzisst:innen den wohl schlechtesten diagnostischen Ruf: Egozentrisch, manipulativ und empathielos sollen sie andere kleinmachen, um sich selbst damit zu überhöhen. Sie würden damit, wie man liest, kaum je selbst auf der Couch landen – im Gegensatz zu denjenigen, die unter der zerstörerischen Beziehungsdynamik zu leiden haben. Man kann Selbsthilfeforen nach Erfahrungen mit Narzisst:innen durchforsten, Podcasts über den «weiblichen» (den vulnerablen) und den allgemeinen Narzissmus (also den «männlichen») hören, doch: Was tun? Die narzisstische Kränkung zeugt, wie so vieles, von einem verletzten Selbstwert; und Stigmatisierung verhilft, wie so oft, zu keinem differenzierten Blick. Also: Lassen Sie sich nicht kleinmachen. Lassen Sie nicht zu, dass andere vor Ihren Augen kleingemacht werden. Und machen Sie selbst niemanden klein. Dann lässt sich der narzisstischen Kränkung im besten Fall, die eigenen Grenzen wahrend, mit Empathie begegnen.

Verdrängung

Fast könnten wir sie als das Gegenteil von «overthinking» (dem Gedankenkarussell) begreifen: Denn sie ist mitunter eine lebensnotwendige und nützliche Bewältigungsstrategie – ein unbewusster Abwehrmechanismus, der bedrohliche, unangenehme oder unerträgliche Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen aus dem Bewusstsein verdrängt. Verdrängung schützt uns vor Angst und inneren Konflikten, damit wir im Alltag zurechtkommen. Doch leider verschwinden verdrängte Begebenheiten nicht einfach so (siehe Klimakatastrophe). Und je mehr wir verdrängen, umso grössere Kräfte müssen wir dafür aufwenden und desto weniger Kraft bleibt uns für andere Dinge (zum Beispiel Klimaschutz). So ergibt es dann doch Sinn: sich den eigenen inneren Konflikten zu stellen, äussere Konflikte (etwa gegen Ölkönig Albert Rösti) auszufechten, Verdrängtes wiederzufinden und zu verarbeiten versuchen.

Ödipuskomplex

Der Ödipuskomplex zählt zu den wichtigsten psychoanalytischen Konzepten, wird aber vielfach auch scharf zurückgewiesen – etwa weil in ihm die Frau bloss als Lustobjekt figuriert oder weil er das westlich-bürgerliche Familienmodell als universell unterstellt. Worum gehts? Laut Freud lassen sich in einem bestimmten Kindesalter Inzestfantasien gegenüber der Mutter beobachten, verbunden mit Gefühlen der Rivalität gegenüber dem Vater sowie der Angst, von diesem für das eigene Begehren bestraft zu werden (Kastrationsangst). Indem dieser Konflikt überwunden wird, bildet sich das Über-Ich als psychische Instanz verinnerlichter sozialer Normen heraus. Diese steht dann wiederum den Triebansprüchen des Es gegenüber (und das Ich wiederum irgendwo dazwischen). Klingt interessant, aber auch wild. Wie das bei einem selber damals war, will man eigentlich gar nicht wissen. Was ja gerade der springende Punkt sein könnte.

Inneres Kind

Ist zwar ein populäres Konzept, hat aber wenig mit Psychoanalyse zu tun, auch wenn es vage daran erinnern mag. Es geht dabei um «gespeicherte» Gefühle und Erinnerungen, um die vage Idee, dass es «für eine glückliche Kindheit nie zu spät ist», wenn man sich nur ausführlich genug mit ihr beschäftigt, was natürlich nicht stimmt, aber auch nicht Gegenstand dieses Hefts ist.

Perversionen

Sind eine feine Sache, und schon Sigmund Freud, dessen «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» sich in weiten Teilen progressiver lesen als so manches Tinder-Profil, befand, dass eine «vorwurfsvolle Verwendung» des Begriffs falsch sei. Schliesslich dürfe bei «keinem Gesunden irgend ein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen». Wobei er die Perversion auch recht weit definiert, in Abgrenzung zur «Vereinigung der Genitalien zur Lösung der sexuellen Spannung», was allein für sich ja tatsächlich noch niemanden aus den Socken haut. Das Spektrum ist also breit, und Offenheit lohnt sich: Denen, die die Perversion verdrängen, drohen nämlich die Neurosen, «das Negativ der Perversion». Etwas anders gelagert ist übrigens die Inversion, so die Bezeichnung für alles, was nicht heterosexuell ist, wobei wir gemäss derselben Sexualtheorie ursprünglich alle irgendwie bisexuell waren, bevor wir uns unterschiedlich (und kaum je restlos) in eine der beiden Richtungen entwickelten. Noch 1935 schrieb Freud, dass Homosexualität nichts sei, wofür man sich schämen müsse, kein Laster und keine Entwürdigung: «Es ist eine grosse Ungerechtigkeit, sie als Verbrechen zu verfolgen, und eine Grausamkeit auch.» 

Lustprinzip

Ursprünglich wurde das Lustprinzip von Freud als psychische Dynamik beim Kleinkind beschrieben, die sicherstellen soll, dass ein Säugling satt und zufrieden in seinem Bettchen liegt. Hunger löst nämlich starke Unlustgefühle aus, die der Säugling nur durch nervtötendes Geschrei ausdrücken kann. Mit zunehmendem Alter lernt er oder sie, dieser Unlust anders Ausdruck zu verleihen, weil sich der natürliche Gegenspieler des Lustprinzips regt, das Realitätsprinzip. Das äussert sich entweder in der Frage: Gibts jetzt endlich was zu essen? Oder dem Entschluss, sich selbst was zu kochen. In Verschiebung seiner ursprünglichen Bedeutung hat sich das Lustprinzip auch im Alltag etabliert, meistens dient es als Ausrede für ausgiebiges Prokrastinieren. Als prominentester Vertreter des gelebten Lustprinzips kann Altbundesrat Ueli Maurer gelten, der gern und oft «Kä Luscht!» sagte. Leider auch, als es dringend darum gegangen wäre, das Gebaren der gierigen CS-Führungsriege unter die Lupe zu nehmen.

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