Die Linke und der Service public (3): Schützenhilfe für die rurale Spassguerilla

Statt einem Programm aus dem Tierbuch braucht die Schweiz eine natürliche Landwirtschaft und eine echte Agrarreform.

Wenn man landwirtschaftliche Effizienz misst, wie dies Peter Bodenmann in seinem Positionsbezug tut, dann haben Kleinbauernhöfe keinen Platz. Doch so kann man alles killen: Bahnstationen, Poststellen, kleine Lebensmittelläden, Bankfilialen! Die Formel ist einfach: Knallhart kurzfristige Vorteile rechnen, externe Kosten und Nutzen beiseite lassen, volkswirtschaftliche Interdependenzen übergehen. Auf diese Weise kommt man immer zum Resultat: Abbauen ist billiger! Ob der Lebensraum nach der strukturellen Rosskur noch attraktiv ist, ist Nebensache. Kein Gedanke daran, dass im Sog der Bauern die Existenzen von Käsern, Schlossern, Lebensmittelhändlern, LehrerInnen, Gemeindeangestellten einstürzen wie Steine beim Domino. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen um sich werfen. Ohne Bundesmilliarden für Tunnels und Strassen ins Oberwallis würde manchem Restaurant und Hotel in Brig auch der Schnauf ausgehen.
Der Briger Hotelier und Publizist Bodenmann will den ohnehin schon starken Strukturwandel in der Landwirtschaft – letztes Jahr gingen in der Schweiz 2700 bäuerliche Betriebe ein – mit staatlichem Druck noch massiv beschleunigen. Vier von fünf Bauernhöfen sollen möglichst umgehend liquidiert und das Land dem verbleibenden Grossbauern zugeteilt werden. 10 000 Bauernbetriebe seien für die Schweiz genug und überdies sehr viel effizienter, tönt es provokativ aus dem kleinbäuerlichen Oberwallis. Bodenmann will in der Schweiz die durchschnittlich grössten Bauernbetriebe von ganz Europa realisieren!
Eine solche Effizienzstrategie präsentiert ihre Kosten erst im Nachhinein. Die Umkehr der Fehlentwicklung wäre unbezahlbar teuer, denn die Multifunktionalität der bäuerlichen Leistungen ist keine Leerformel. Es sind Leistungen, die ihren Wert haben.
• Die Annahme, dass die verbleibenden 100-Hektar-Landwirtschaftsbetriebe die Bundeskasse nichts kosten, ist ein fataler Irrtum. Schon jetzt ist es so: Je grösser ein Betrieb, desto mehr Direktzahlungen erhält er. Die paar Betriebe, die von der Einkommenslimite zurückgestutzt werden, klagen lauthals über Existenzprobleme. In den USA und in der EU behaupten Rindermäster mit hunderten und tausenden von Tieren oder Getreidefarmen in der Grössenordnung mehrerer Schweizer Gemeinden, ohne Stück- oder Hektarsubventionen nicht existieren zu können.
• Jede Strukturbereinigung hat in der Landwirtschaft zu ökologischen Defiziten geführt. Um grössere Flächen effizient und maschinengerecht bearbeiten zu können, müssen Hecken entfernt, Bäche eingedolt und Feldbäume ausgerissen werden. Um die Artenvielfalt und die Landschaft zu erhalten, wäre aber genau das Gegenteil notwendig! Grossbetriebe heisst auch grosse Tierbestände oder eben Tierfabriken.
• Vorruhestandsrenten für (Klein-)Bauern unter der Voraussetzung, dass sie ihre Betriebe an Grossbauern abtreten, sind ein ziemlicher Blödsinn, insbesondere wenn man bedenkt, dass in diesem Land zurzeit das AHV-Rentenalter für Frauen laufend erhöht wird. Es ist unverständlich, warum Grossbauern grösser werden und Kleinbauern verschwinden sollen. Danach würden den SVP-Sozialabbauern noch höhere Direktzahlungen ausgerichtet.
• Allen sinnvollen raumplanerischen Bemühungen läuft die Forderung entgegen, dass billiges Kulturland flugs in Bauland umzuwandeln sei, um die Bodenpreise zu senken. Weil die Kühe an den schönsten Standorten hocken würden, müssten nach Ansicht von Bodenmann diese wenig rentablen Kuhweiden schleunigst in Bauzonen umgewandelt werden. Fragt sich nur, ob die Touristen unser Land wirklich nur wegen der ach so schönen Bauzonen besuchen … Die heute verfügbaren Baulandreserven lassen ja bereits eine Verdoppelung der Wohnflächen zu, ohne dass weiteres Kulturland zersiedelt werden muss. Warum denn nicht gleich die ganze Schweiz AG inklusive Voralpen in Bauland umwandeln, um die Baulandpreise zu senken?
• Genau gleich wie bei der schweizerischen Grossbauernlobby hält sich auch bei Bodenmann ein Vorurteil hartnäckig: Professionalität und Innovation sei gleichbedeutend mit vollzeitlicher Tätigkeit in der Landwirtschaft. Diese Pauschalisierung entspricht nicht der Realität. Häufig gehören Teilzeit- und Nebenerwerbsbauern zu den innovativsten Berufsleuten. Die Forderung und Förderung von wenigen Grossbetrieben stammt aus der Mottenkiste längst widerlegter sozialistischer (und grosskapitalistischer) Ideale! Die bodenmannsche Landwirtschafts AG würde etwa so funktionieren wie die dampfenden Leukerbad-Thermal-Träume.
Als «rurale Spassguerilla» verhöhnt Bodenmann Ueli Maurer, dem der Hokuspokus gelingt, mit seiner SVP immer weniger (Sozial)Staat und weniger Steuern zu verlangen und trotzdem immer mehr Landwirtschaftssubventionen zu garnieren. Doch der Angriff aus Brig wird zur Schützenhilfe: Weniger Klein-, dafür mehr Grossbauern (Landjunker hat man dem früher gesagt), Vorruhestandsrente unter der Voraussetzung, dass der Bezüger nie mehr eine Mistgabel in die Hand nimmt, und schliesslich Baulandverkäufe durch die Dorfoberen mitten im Kulturland – wahrlich ein Programm wie aus dem Tierbuch.
Was wir in der Schweiz brauchen, ist eine natürliche Landwirtschaft und eine echte Agrarreform. In groben Zügen würde das heissen: Keine Marktinterventionen undExportsubventionen des Staates mehr. EU-Preise. Direktzahlungen nur für ökologisch einwandfreie Produktion (keine Gentechnologie auf unseren Feldern!) und Freilandtierhaltung. Beschränkung der Bundesausgaben für die Landwirtschaft auf 3 Milliarden Franken (heute 4 Milliarden) pro Jahr. Beschränkung der Direktzahlungen pro Betrieb (zum Beispiel: 60 000 Franken sind genug!).
Genau diese Forderungen waren in der 1998 abgelehnten Kleinbauerninitiative enthalten. Die Frage ist erlaubt, lieber Peter Bodenmann, wo war deine SP bei der grundlegenden Landwirtschaftsabstimmung zu dieser Kleinbauerninitiative? Die Agrarpolitik sei «kein Kernthema der Sozialdemokraten», hiess es damals, und deine SP hat Stimmfreigabe beschlossen, trotz allen vorhersehbaren negativen finanziellen, ökologischen und sozialen Folgen.
Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte, oder um es mit einer Bauernregel zu sagen: «Halt ihn feucht und tret’ ihn feste, das ist für (deinen) Mist das beste!»