Die Linke und der Service public (4) : Mehr Citypower im Strom-Monopoly

Verglichen mit gewissen linken Heilsarmeetraktätchen sind Peter Bodenmanns WoZ-Artikel immer wieder erfrischend zu lesen. Umso genauer lohnt es sich allerdings hinzuschauen, denn nicht alles, was vordergründig clever und kreativ daherkommt, erweist sich auch als praxistauglich.

Flankierende Massnahmen

Die Grundposition ist klar: Gegenüber den Laisser-faire-Modernisten vom Typ Moritz Leuenberger und den als status-quo-orientiert und fundamentalistisch abqualifizierten Gewerkschaftern und welschen Linken propagiert der Briger alt Regierungsrat einen radikalen, intelligenten Mittelweg. Statt Frontalopposition fordert er clevere Abfederungs- und Kompensationskonzepte, um unerwünschte soziale und ökologische Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen aufzufangen. Diese Strategie hat die Linke in jüngster Zeit immer wieder verfolgt. So akzeptierte sie
• die Einführung der Mehrwertsteuer unter der Bedingung, dass 500 Mio. Franken Mehrertrag für die Verbilligung der Krankenkassenprämien reserviert werden;
• die Zulassung der 40-Tönner nur bei gleichzeitiger Einführung der LSVA und der Förderung des Bahntransits;
• die Personenfreizügigkeit nur verbunden mit der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen.
Entscheidend an diesen Konzepten ist allerdings, ob sie sich im Härtetest des politischen Alltags bewähren oder bloss als Alibi im Moment der Beschlussfassung produziert werden. Beispiel Mehrwertsteuereinführung und Prämienverbilligung: Hier wurde die ursprüngliche Intention im Vollzug sabotiert, da die Kantone nur einen Teil der bereitgestellten Bundesmittel abholen; statt für den sozialen Ausgleich dienen die 500 Mehrwertsteuer-Millionen zur Sanierung der Bundesfinanzen. Bei der LSVA und der Umlagerung des LKW-Verkehrs auf die Schiene und den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit steht die Nagelprobe noch bevor. Wie sagte doch Castro seinerzeit auf die sowjetische KP gemünzt: Es kann sich jeder Adler nennen, ob er einer ist, zeigt sich daran, ob er fliegen kann …
Ganz und gar unterstützen kann ich Bodenmanns Grundsatzplädoyer für die Vorteile des Service public. Ob Gebäudeversicherung, Notariatswesen oder Kabelfernsehen: überall sind die öffentlichen Anbieter der privaten Konkurrenz preislich weit voraus. Die Aktiengesellschaften BKW und NOK im Mehrheitsbesitz der öffentlichen Hand sitzen heute auf Abermilliarden KWh an überschüssigem Atomstrom. Die demokratisch kontrollierten Kommunalwerke in Basel, Bern und Zürich dagegen haben atomare Fehlinvestitionen weitgehend vermieden und das von den BKW vorangetriebene, ökologisch wie ökonomisch unsinnige Projekt Grimsel-West verhindert. Die Industriellen Werke Basel haben als Erste einen wegweisenden Ökobonus beim Strom eingeführt. Zürich kennt seit 1989 einen kommunalen Stromsparfonds und betreibt eine aktive Solarstrombörse. Die grösste Fehlinvestition – die Beteiligung an den AKWs Cattenom und Leibstadt – tätigte das EWZ 1985 ausgerechnet unter gezielter und trickreicher Umgehung von Gemeinderat und Volk. Auch ist es kein Zufall, dass alle demokratisch kontrollierten EWs die günstigsten Haushalttarife kennen.

Vorwärtsstrategie mit Widersprüchen

Richtig an Bodenmanns Ansatz ist auch die analytische Trennung von Liberalisierung der Rahmenordnung, Privatisierung der Leistungsträger und Auswirkungen der technischen Entwicklung sowie die Feststellung, dass eine Marktöffnung nicht zwingend eine Privatisierung der Anbieter nach sich ziehen muss. Positiv ist weiter das Plädoyer für einen selbstbewussten, erneuerten und expansiven Service public.
An dieser Stelle sind aber auch erste Einwände angebracht. Für Swisscom und Post propagiert Bodenmann eine aggressive Vorwärtsstrategie: Forcierung der Postbank, Ausbau statt Verkauf der Swisscom-Beteiligung an Cablecom und massive Aufrüstung des Swisscom-Netzes mit ADSL-Technik. Das klingt gut und mutig. Doch überall stehen Wettbewerbshüter bereit, um den teilprivatisierten Ex-Staatsmonopolisten im Namen des Wettbewerbs die Flügel zu stutzen und ihr Vordringen in neue Märkte zu behindern. So will die Wettbewerbskommission überprüfen, ob Swisscom mit dem Einstieg in die ADSL-Technik nicht unzulässige Marktvorteile erlangt.
Hier stellt sich die Frage, ob eine solche wünschbare Vorwärtsstrategie mit der – anlässlich der Fernmeldegesetzrevision vom gleichen Bodenmann unterstützten – Marktordnung im Telecomsektor vereinbar ist. Dank ihrem Non-Profit-Charakter genossen öffentliche Betriebe bisher gewisse Privilegien (geschützte Monopolbereiche, Steuerbefreiung usw.). Je mehr diese – namentlich durch Umwandlung in private Rechtsformen (AGs usw.) – zu Anbietern unter anderen
werden, werden sie auch an den Missbrauchsnormen des Privatrechts gemessen. In diesem Sinne war der Verkauf der Cablecom-Beteiligung durch Swisscom eine logische Konsequenz der gewählten Marktordnung. Eine denkbare systemkompatible Lösung wäre dagegen der Verkauf an ein Konsortium von Nutzergemeinschaften, Kantonalbanken und Gemeinden gewesen. Dazu hätte es allerdings einen energischen Kampf der rosa-grünen Stadtregierungen von Bern und Zürich für ihr vertragliches Vorkaufsrecht am Kabelnetz gebraucht. Bei der Revision des Fernmeldegesetzes hat allerdings ausgerechnet Bodenmann gegen hartnäckigen Widerstand anderer SP-Exponenten die faktische Enteignung der Gemeinden, das heisst den Zwang zur unentgeltlichen Überlassung des öffentlichen Grundes an Kabelnetz- und Telefoniebetreiber durchgesetzt.

Pilotabstimmung in Zürich

Eines der konkretesten Kampffelder ist zurzeit das Elektrizitätmarktgesetz des Bundes (EMG) und die anstehenden Privatisierungen lokaler EWs. Im Brennpunkt des Interesses steht dabei das hoch profitable EW der Stadt Zürich, über dessen Umwandlung in eine AG die StadtzürcherInnen am 18. Juni abstimmen: eine Pilotabstimmung von landesweitem Interesse.
Dass eine Öffnung des Strommarkts zum jetzigen Zeitpunkt eine volkswirtschaftliche Kalberei ist, müssen selbst eingefleischte Modernisten wie der Zürcher SP-Stadtrat Elmar Ledergerber zugeben: «Ich finde das eine ganz schlechte Politik. Indem man die so genannte Liberalisierung zu einem Zeitpunkt einführt, wo auf dem Strommarkt riesige Kapazitätsüberschüsse bestehen, wird in Europa volkswirtschaftliches Vermögen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe vernichtet. Das ist katastrophal.» (Siehe WoZ Nr. 5/00.)
Nach all den verpassten Gelegenheiten, auf eidgenössischer Ebene den Ausverkauf des Service public (Bahn, Post, Telecom) in Referendumskämpfen zu thematisieren, scheint mir ein Referendum gegen das EMG in seiner heutigen Form zweifellos geboten. Ob allerdings – wie etwa Pierre-Yves Maillard meint (siehe WoZ Nr. 18/00) – mit einer reinen Referendums- und Bremsstrategie gegenüber diesem Gesetz diese verheerende Entwicklung in der Schweiz abgewendet werden kann, ist zweifelhaft. Angesichts des übermächtigen EU-Drucks Richtung Deregulierung werden sich auch bei einem Nein Marktelemente durchsetzen, die Grossverbraucher Billigstrom erhalten und die Haushalte das Nachsehen haben. Wie die jüngsten Vorschläge für eine beschleunigte Liberalisierung (NZZ, 17. 5. 2000) zeigen, ist die von Maillard beschworene Hoffnung auf einen Liberalisierungsmarschhalt der EU im Jahre 2006 mehr als blauäugig. Ein bisschen Markt gibt es so wenig wie ein bisschen schwanger sein …
Als Gegenmittel propagiert Peter Bodenmann eine Volksinitiative für volle Marktöffnung einerseits, anderseits aber eine möglichst weitgehende öffentliche Kontrolle der Netze, privilegierte Durchleitung für erneuerbare Energien und Verknüpfung der Abgeltung nichtamortisierbarer Investitionen mit der Stilllegung der AKWs.
Positiv am Initiativvorschlag scheint mir, dass er anders als ein Referendum alternative Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Damit kann die bei der Telecom-Liberalisierung auch vom Vordenker Bodenmann sträflich vernachlässigte Frage der Netze als natürliche Monopole ins Zentrum gerückt werden. Wegen seinerzeitiger Fehlentscheide sind wir heute mit einem volkswirtschaftlich wie ökologisch unsinnigen, rein wettbewerbsideologisch begründeten Wildwuchs vor allem bei den Mobilfunknetzen konfrontiert.
Genau diese Frage ist auch bei den lokalen Privatisierungs- und Ausgliederungsdiskussionen wie beim EWZ von ausschlaggebender Bedeutung. Die Linke muss mit allen Mitteln verhindern, dass mit Steuergeldern aufgebaute Basisinfrastrukturen (Strom, Wasser, Entsorgung usw.) zum Objekt der Begierde von Börsenzockern und zum Spielball internationaler Spekulationen werden. Privates Kapital wittert hier einen dank Monopolrenten höchst ertragreichen Sektor. Das hat nicht zuletzt der Milliardenpoker um das Cablecom-Netz gezeigt.

Wer trägt die linke Strategie?

Statt sich als frisch gebackener AG-Player mit Fusionsillusionen ins Strom-Monopoly zu stürzen, bei dem Eurogiganten wie die französische EdF und die deutsche RWE eh die Nase vorn haben, ist selbstbewusste Kooperation der kommunalen Anbieter, ist mehr Citypower angesagt. Auch hier gilt es, nicht bloss Abwehr-, sondern auch aktive Gegenstrategien zu entwickeln. Das schliesst auch aktives und intensives Nachdenken über geeignete Rechts- und Unternehmensformen ausserhalb des Privatrechts für öffentliche Dienstleister ein (Schaffung von öffentlich-rechtlichen Anstalten, Nutzung genossenschaftlicher Strukturen, Entwickeln von Synergieeffekten zwischen verschiedene städtischen Werken statt ihre stückweise Verabschiedung in den Markt usw.).
Zum Schluss landen wir aber bei der Gretchenfrage: Wer soll denn Träger einer solchen Politik sein? Soll die schöne Vision eines expansiven, erneuerten Service public nicht grossmäulige Kabinettspolitik und belangloser Hotelbartratsch bleiben, braucht es Menschen und Koalitionen für die Umsetzung. Wer würde Unterschriften für ein EMG-Referendum und eine EMG-Initiative sammeln, wenn nicht gerade die von Bodenmann als fundamentalistisch abgestempelten WTO-GegnerInnen, welschen Linken und GewerkschaftsaktivistInnen? Es ist Tatsache, dass die beiden erfolgreichsten Abwehrkämpfe gegen Deregulierung und sozialen Abbau – die Referenden gegen das Arbeitsgesetz und gegen die Kürzung der Arbeitslosenversicherung – genau von diesen Kreisen getragen wurden.
Und last, but not least: Bei allen brillanten Schreibtischkonzepten werden wir nicht darum herumkommen, wieder ganz altmodisch und grundsätzlich darüber nachzudenken, wo wir in dieser Gesellschaft Markt wollen und brauchen und wo wir unsere gemeinschaftlichen Angelegenheiten demokratisch, frei von Renditezwängen, regeln wollen.

Niklaus Scherr ist Gemeinderat der Alternativen Liste in Zürich und Geschäftsleiter des Zürcher Mieterinnen- und Mieterverbandes.