Die Linke und der Service public (14): CVP überholt Leuenbergers SP links

Ausgerechnet der neue UBS-Mann Adalbert Durrer durfte die inhaltlich gewichtigen Kurskorrekturen der CVP öffentlich vorstellen.
Grundsätzlich und neu gelten für den Bereich des Service public – wenn es nach der CVP geht – folgende Spielregeln: Staatliche Monopole dürfen nicht durch private Monopole ersetzt werden. Der Staat behält mindestens 51 Prozent der Aktien der grossen Unternehmen des Service public. Und dies gilt auch für die nationale Netzgesellschaft im sich öffnenden Strommarkt.
Die weiterhin bundeseigene Post bekommt für ihre flächendeckenden Leistungen – falls notwendig – neu sogar Subventionen. Die Post darf zwar nicht selber ins aktive Bankengeschäft einsteigen, aber Partner suchen und im Zahlungsverkehr attraktiver werden.
Die Swisscom bleibt Eigentümerin der letzten Meile Kupferdraht und der Bund Mehrheitseigentümer der Swisscom. Die staatlichen Bahnen – von den SBB bis zu den ebenfalls staatlichen Privatbahnen – werden weiterhin massiv unterstützt, um so flächendeckend Personen und Güter zu transportieren.
Die CVP tritt für eine «starke SRG» ein, die weiterhin – um in drei Sprachen helvetische Politik und Kultur zu verbreiten – auf unsere Gebühren zählen darf. Und selbst die Bauern und deren ineffiziente Weiterverarbeitungsbetriebe samt der Waldwirtschaft bleiben unterstützungswürdige «Service-public-Erbringer».
Politisch gesehen sind diese Forderungen – wie Abstimmungen und Umfragen zeigen – in der Schweiz längst wieder mehrheitsfähig.
Umgekehrt gibt es wenig sozialdemokratische Parteien in Europa, die den Stellenwert der Politik im Bereich des Service public so offensiv formulieren wie die CVP Schweiz: «Ein wesentlicher Unterschied zur marktwirtschaftlichen Leistungserbringung ist die Tatsache, dass die Politik beim Service public die tragende Rolle übernimmt.»
Die CVP überholt mit ihren Positionen jene SP-Exponentinnen und -Exponenten links, die immer wieder öffentlich erklären, dass es keine grosse Rolle spiele, wer Eigentümer der Post, der Swisscom oder der Stromnetze sei.

Konsternation

Die CVP war sich über die Tragweite ihrer Positionierung offenbar nicht ganz im Klaren. Noch weniger die anderen Parteien. Die SP zeigte sich verunsichert und erfreut zugleich, ohne umgehend die möglichen bündnispolitischen Perspektiven anzudeuten. Der Freisinn war erstaunt und hofft auf eine erneute Korrektur. FDP-Generalsekretär Guido Schommer glaubt zu wissen: «Ich gehe davon aus, dass wir in den Kommissionen bei den CVP-Migliedern noch einiges werden korrigieren können.» Erstaunlich zurückhaltend – oder eben auch nicht – gab sich die SVP. Denn sie kann – wenn die CVP den Spiess tatsächlich umdreht – im politischen Unterholz des ländlichen Raumes schnell von der Jägerin zur Gejagten werden. Das heutige Doppelspiel – Vertreter des Grosskapitals geben sich als Verteidiger der Randregionen, der Bauern und des Binnensektors aus – könnte schneller ein Ende finden, als sich viele «liebe Mannen und Frauen» träumen lassen.
Die Medien ihrerseits wussten kurz vor dem gähnenden Sommerloch nicht so recht, wie diese Kurskorrektur zu kommentieren sei.

CVP: Ein Schritt vor und zwei zurück

Die CVP ist und bleibt die Partei der Katholiken und der Randregionen zugleich. In Teilen des Landes konnte sich die Partei dank einer gut eingespielten Klientelwirtschaft halten. Hier gerät die Partei seit einiger Zeit unter mehrfachen Druck: Die SVP besetzt erfolgreich fremdenfeindliche und antieuropäische Positionen. Die Apparate des Service public beginnen parallel dazu den Rückzug aus den Randregionen. Weniger Jobs und weniger Aufträge bedeuten Rückgang politischer Einflussmöglichkeiten. Ohne staatliche Apparate braucht es letztlich keine staatstragenden Klientelparteien in den Randregionen.
Die CVP versucht zurzeit – ohne dass ein durchgängiges Konzept sichtbar würde – beim Verfertigen des Politischen im öffentlichen Raum drei Dinge gleichzeitig: Erstens: Der EU-Beitritt wurde und bleibt eingefroren. Niemand tritt mehr offensiv dafür ein.
Zweitens: Mit dem vorhersehbar verunglückten Referendum gegen die Fristenlösung will die CVP die ewig Katholisch-Konservativen in den eigenen Reihen beruhigen.Und drittens will die CVP mit ihrem neuen Papier zum Service public – das in der Fraktion so breit wie selten zuvor diskutiert wurde – sozial- und regionalpolitisch Boden unter den Füssen bekommen.
Die Stossrichtung zielt gegen die SVP. Zur Erinnerung: Im Kanton Zürich haben die SVP-Hochburgen gegen die mögliche und somit absehbare Privatisierung des kantonalen Elektrizitätswerkes gestimmt. Es wird nicht offen thematisiert, aber wichtige Teile der SVP-Basis spüren es subkutan: Wenn erst einmal die Pöstler, die Stromer und die Bähnler privatisiert sind, geht es kurz darauf den grössten Profiteuren staatlicher Regulierung, den Bauern und den Obersten, an ihre Krägen.
Und die grosse Privatisierungswelle brächte über alles im ländlichen Raum höhere Preise für Gebäudeversicherung, Bahnbillette, Briefe, Pakete, Faxe und Telefone mit sich.

Potenzial vorhanden

Wird die CVP bei der Frage des Service public erneut umkippen? Die Frage ist vermutlich falsch gestellt. Richtiger wäre zu fragen: Kann es sich die CVP leisten, in dieser zentralen Frage umzukippen? Dagegen spricht einiges.
Der Entscheid wurde nicht von der Partei gefasst, sondern von der Fraktion und somit vom Machtzentrum beim Verfertigen des Politischen in der Berner Mechanik. Und der Entscheid fiel erst noch nach langer und intensiver Diskussion.
Die Apparate des Service public waren bisher die fliegenden Teppiche, dank denen die CVP noch knapp oberhalb der 15 Prozent Wählerstimmen unterwegs war. Ohne diese Teppiche verliert das Politische und damit die CVP weiter an Macht und Einfluss. Die klare Positionierung für einen staatlich kontrollierten Service public ist mehrheitsfähig. Wenn die SVP offensiv die Privatisierung von Gebäudeversicherungen, Stromnetzen, Swisscom und Post fordert, verliert sie Wählerinnen und Wähler. Weicht sie bei diesen Themen zurück oder aus, ist sie auf einem wichtigen politischen Feld in der Defensive.
Vorausgesetzt, die Linke nimmt den Ball auf, kann sich einiges bewegen. Dies vorab auf zwei Feldern: Angesichts der nicht mehr auszuschliessenden Fusion zwischen UBS und Credit Suisse müsste die Post gemeinsam mit Kantonal- und Raiffeisenbanken über kostengünstigen Zahlungsverkehr samt Kreditkarten, über neue Finanzierungskonzepte für Wohnungsbau sowie kleine und mittlere Unternehmen nachdenken.
Da die Schweizerinnen und Schweizer über die Strommarktöffnung erst im Frühling 2002 abstimmen, könnte und müsste die nationale Netzgesellschaft unter dem Druck der öffentlich kontrollierten Elektrizitätsunternehmen Form annehmen, damit der CVP-Logik folgend die Mehrheit des Eigentums in der öffentlichen Hand bleibt.

Die Gefahr

In einer linken Logik dürfen öffentliche Unternehmen nicht die Ambulanzen des Kapitalismus sein. Das ist auch ökonomisch richtig: Sinnvolle Monopole verhindern doppelte Infrastrukturen, die Konsumentinnen und Konsumenten zu bezahlen haben. Öffentliche Unternehmen bekommen günstigere Kredite. Der Service public hat keine Shareholder im Nacken, die Quartal für Quartal höhere Gewinne sehen wollen. Öffentliche Unternehmen können deshalb ihre Strategien längerfristig ausrichten. Dank einer starken Stellung im Markt können öffentliche Unternehmen ihre Werbekosten senken und Skaleneffekte nutzen. Dies alles ermöglicht gute Arbeitsbedingungen einerseits und ein besseres Verhältnis zwischen Preis und Leistung für die Konsumierenden andererseits.
Allerdings nur unter einer Bedingung: Die öffentlichen Unternehmer müssen den Strukturwandel vorantreiben und dürfen ihm nicht hinterherhinken. Nichts ist schädlicher als Verteidiger des Service public, die Strukturerhaltung fördern.
Nur ein Beispiel: Die Produktion und Verteilung von Strom braucht dank dem technischen Fortschritt immer weniger Arbeitskräfte. Dies hat nichts mit der Privatisierung von Unternehmen, wenig mit der Liberalisierung des Marktes zu tun, sondern ist das Resultat der Digitalisierung des Kapitalismus. Wenn weniger Leute dank Rationalisierung mehr Strom produzieren und verteilen, ist dies positiv und nicht negativ. Deshalb braucht es auch keine Arbeitslosen zu geben. Im Gegenteil: Die den Gemeinden oder Kantonen gehörenden Elektrizitätswerke können mittels Contracting, mittels Investitionen in den ökologischen Umbau diesen flächendeckend voranbringen und damit neue Arbeitsplätze in Zukunftssektoren schaffen.
Davon ist im Papier der CVP wenig, zu wenig die Rede. Aber was nicht ist, kommt vielleicht noch. Niemand ist in diesen Zeiten vor Überraschungen sicher.

Peter Bodenmann ist Hotelier in Brig