Deborah «Dass die Welt nicht gleich zusammenbricht, wenn ich für den anderen nicht mehr diese eine Person bin: Das braucht schon sehr viel Vertrauen»
Mit sechzehn kam Deborah mit ihrem ersten Freund zusammen. Sie hatten es gut, aber es dauerte nicht lange, da verliebte sie sich in einen anderen. Es gab Streit. Und trotzdem fing sie etwas mit dem Neuen an. «Ich war oft im Dilemma, dass ich den Menschen ja liebe, mit dem ich zusammen bin, obwohl ich noch in einen anderen verliebt bin. Ich habe mich falsch gefühlt. Erst später habe ich Begriffe dafür gefunden und gemerkt, dass es vielen so geht.»
Sex an sich, ohne dass ihr die Person viel bedeutet, interessiert sie weniger, bis heute. «Ich hatte vielleicht dreimal in meinem Leben einen One-Night-Stand.» Damals folgte sie ihrer Verliebtheit und trennte sich. Das tut ihr manchmal heute noch weh. Ihre zweite Beziehung endete ähnlich. Rückblickend sagt sie: «Wer weiss, wo es mich hingetrieben hätte, wenn ich nicht mit Anfang zwanzig schwanger geworden wäre.»
Heute ist Deborah 33, lebt mit ihrer WG in einem Haus mit Garten in einem kleinen Dorf, nicht allzu weit von Zürich. Mit ihr leben ihr neunjähriger Sohn, ihre fünfjährige Tochter und deren Vater, Jonas, mit dem sie bis heute zusammen ist. Mit Dani, dem Vater ihres Sohnes, führt sie keine Liebesbeziehung mehr. Er übernachtet zweimal pro Woche in der WG und schaut zu den Kindern. Beste Freunde seien die beiden Väter bis heute nicht, erzählt Deborah, mittlerweile kämen sie aber gut miteinander aus.
Dani und Deborah lernen sich in der Gegend kennen, in der sie aufgewachsen sind und in der Deborah heute wieder lebt. Es ist für beide ihre bisher grösste Liebe. Dann zieht sie nach Zürich in eine WG und verliebt sich in ihren Mitbewohner Jonas. Dani findet eine offene Beziehung zwar theoretisch interessant, Deborahs Fremdgehen aber verletzt ihn, auch weil er sein Einverständnis dazu nicht gegeben hat. Er will die Beziehung beenden. Deborah und Dani beschliessen, vor der Trennung noch ein letztes Mal miteinander zu schlafen. In einem Anflug von Romantik sagen sie sich, dass sie zusammenbleiben wollen, wenn sie dabei schwanger werden sollte. Deborah wird schwanger.
Die mehrmonatige Geschichte mit Jonas ist damit erst einmal zu Ende. Deborah zieht mit Dani in eine andere WG in Zürich, damit sie zusammen zum Baby schauen können. Sie ist jetzt 23. Als das Kind ein paar Monate alt ist, sagt Dani zu ihr: «Ich sehe, dass du unglücklich bist. Lass es uns doch noch mal probieren mit der offenen Beziehung.» Anfangs sieht sie Jonas etwa einmal pro Woche. Als Dani in eine andere Stadt zieht, um zu studieren, sieht sie die beiden etwa gleich oft. Ein paar Jahre führt sie mit beiden eine Liebesbeziehung.
Die Beziehung zu Jonas ist ihre erste, bei der von Anfang an klar ist, dass noch andere Menschen daneben Platz haben. Beide wollen das so, trotzdem wird es manchmal kompliziert. Sie sind in den Ferien, als Deborah Jonas zum ersten Mal erzählt, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt habe. «Ich traute mich eine Zeit lang nicht, es ihm zu sagen. Aber natürlich ahnte er es, man merkt ja, wenn die andere Person verliebt ist.» Die Situation wird nicht leichter dadurch, dass Jonas den Mann kennt und es Spannungen zwischen den beiden gibt. Er ist eifersüchtig. Sie verhandeln darüber, wie oft Deborah ihn sehen darf, und einigen sich auf einmal pro Monat. «Ich war hin- und hergerissen: Ich war verliebt und wollte den anderen am liebsten die ganze Zeit sehen, habe mich aber auch gefragt, ob ich Jonas zu viel zumuten würde.»
Deborah erwähnt Dani gegenüber, dass sie gern auch mit Jonas ein Kind hätte. Dani ist nicht begeistert. Aber als sie tatsächlich schwanger wird, ist Dani anderweitig beschäftigt. In der anderen Stadt hat er eine Frau kennengelernt und sich verliebt. Im Nachhinein, denkt Deborah, könnte auch das Kind eine Rolle dabei gespielt haben, dass Dani sich von ihr getrennt hat. Es dauert ein paar Jahre, bis sich Dani und Deborah wieder angenähert und in ihrer neuen Beziehung als Eltern eingerichtet haben.
Während ihrer Schwangerschaft zieht Deborah mit Jonas in ein ländliches Gebiet an einem See. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Jonas nur kürzere, unverbindlichere Affären, auch mal mit einem Mann. Als ihre Tochter ein paar Monate auf der Welt ist, verliebt er sich zum ersten Mal intensiv. Deborah hadert. Mit dem Baby hat sie gerade nicht die gleichen Möglichkeiten wie Jonas, eine andere Beziehung zu führen, und als Familie müssen sie zuerst zusammenwachsen.
Was gibt ihr die Sicherheit, dass Jonas nicht plötzlich wegläuft? «Sich nicht total verunsichern zu lassen, wenn der andere mit seinen Gefühlen und Gedanken gerade viel stärker bei einer anderen Person ist, das braucht schon sehr viel Vertrauen», sagt Deborah. «Dass die Welt dann nicht zusammenbricht – wie wir es ja gelernt haben.» Über diesen Punkt seien sie nun hinaus. «Ich habe mich auch schon gefragt, ob wir dadurch die Romantik zwischen uns zerstört haben. Es ist ja auch schön, wenn jemand diese Bedeutung für einen hat.»