Pauline «Als ihm plötzlich mein richtiger Name rausrutschte, war ich schlagartig von der Rolle»

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Illustration von Giulia Spagnulo: zwei Menschen stehen an einer Strassenlaterne und umarmen sich
Illustration: Giulia Spagnulo

Manche suchten sich während Corona ein neues Hobby. Pauline begann ein neues Studium, während gerade ihre fünfjährige Beziehung in die Brüche ging. Gleichzeitig bandelte sie mit einer Frau an, die sie mit ihrem baldigen Ex auf einer Sexparty kennengelernt hatte – und mit einem anderen Mann, mit dem sie bis heute zusammen ist.

Das war vor drei Jahren. Heute ist Pauline 32, letzten September ist sie bei ihren Eltern ausgezogen und hat sich in ein neues Abenteuer gestürzt: Sie lebt jetzt in einer WG, die sich als kinky und sexpositiv versteht. Ab und zu finden im Haus auch Events statt: ein Workshop für gegenseitiges Fesseln, Saunieren mit anschliessendem Gruppenkuscheln, Partys, bei denen alles Mögliche passieren kann. Pauline ist begeistert von ihrem neuen WG-Leben, aber es gab in diesem halben Jahr auch schon ein kleines Drama. Als sie mit einem ihrer Mitbewohner eine sexuelle Beziehung einging, wurde ein anderer ziemlich eifersüchtig. Aber das habe sich mittlerweile gelegt.

Pauline wusste schon sehr lange, dass sie beim Sex gern einmal mit Dominanz und Unterwerfung spielen würde, aber sie hatte noch keine Person getroffen, die sich auch dafür interessierte. Also wandte sie sich ans Internet. Mit 22 lernt sie auf einer einschlägigen Plattform Markus kennen. Er ist 47, verheiratet, hat zwei Kinder. Aber es ist nicht, wie es klingen könnte: Mit seiner Partnerin führt Markus eine offene Ehe, früher gingen sie manchmal auf Swingerpartys.

Nach einer Weile lernt Pauline auch seine Partnerin kennen. Pauline hat nicht das Gefühl, dass es in dieser Ehe besonders gut läuft, aber mit ihr scheint die Partnerin kein Problem zu haben. Sie trifft auch die Kinder, manchmal essen sie mit dem jüngeren Sohn. Pauline weiss nicht genau, was die sich bei der Sache denken, schliesslich ist sie nur ein paar Jahre älter als die beiden Teenager, aber sie scheinen sie zu mögen.

Auf dem Portal hat Pauline nicht direkt nach einem älteren Mann gesucht, wichtig war ihr seine BDSM-Erfahrung. Die sexuellen Rollen zwischen ihnen sind klar verteilt: Markus dominiert, Pauline unterwirft sich. Am Anfang treffen sie sich meistens am Sonntag in einem Hotel. Am Schluss der Sessions muss Pauline manchmal weinen, weil die intensiven Praktiken verdrängte Gefühle in ihr hochspülen. Nach einem halben Jahr verlieben sie sich ineinander. «Es war eine solide Beziehung, eine Zeit lang richtig harmonisch», sagt Pauline. Mit der Zeit treffen sie zusammen auch andere Personen oder Paare für Sex, gehen auf Swinger- und BDSM-Partys.

Für Pauline ist das alles sehr aufregend. Wenn sie spielen, trägt sie ein Halsband und einen anderen Namen. Das erleichtert es ihr, in diese andere Welt einzutauchen. Einmal, das Spiel ist in vollem Gang, rutscht Markus plötzlich Paulines richtiger Name raus. Sie ist schlagartig von der Rolle, erschrickt derart, dass sie den Raum verlassen muss. Ihre drastische Reaktion überrascht sie selber.

Abgesehen vom unschönen Ende – Markus verliebte sich in eine andere und sprach mit Pauline zu lange nicht wirklich darüber – verliert sie keine schlechten Worte über die Beziehung. Aber aus heutiger Sicht kommt ihr die Welt, in die sie Markus einführte, auch ein wenig einseitig vor. An den Partys, die sie besuchten, waren die sexuellen Rollen zwischen den Geschlechtern für gewöhnlich klar verteilt. Eine dominante Frau würde sich dort nicht blicken lassen, und die Männer waren häufig in der Überzahl; oft ging es darum, dass sie mit anderen Männern Sex hatte. Heute findet sie es interessanter, wenn die Rollen auch während einer Session wechseln können und diversere sexuelle Praktiken oder queere Menschen ebenso Raum bekommen.

Fürs Spielen hätte Pauline heute einen anderen Namen als damals mit Markus, aber sie braucht ihn eigentlich nie. Das Halsband kann ihr immer noch helfen, den Einstieg in ein Spiel zu finden. «Mir gefällt das Ritual. Andere zünden bei Vanilla-Sex vielleicht Kerzen an.»