Wie wir leben werden (9): Kaninchen im Nacken
Zwei St. Galler Imkerinnen erklären, was die Varroamilbe in warmen Wintern mit den Bienen macht und was allen Insekten helfen würde.

Nina Eberhard imkert seit vierzehn Jahren. «Es gibt nichts Besseres, um runterzukommen», sagt die 44-jährige Pflegefachfrau. «Im Umgang mit Bienen musst du ruhig sein. Und wenn ich noch nicht ruhig bin, setze ich mich aufs Bänkli, bevor ich das Bienenhaus betrete.» «Ja, wenn du ‹putzverruckt› zu den Bienen gehst, stechen sie sofort», pflichtet ihre Imkerinnenkollegin Waltraud Kugler bei. Für die 66-jährige Geografin und Wildobstexpertin steht das Beobachten im Vordergrund: «Seit ich imkere, sehe ich viel besser, welche Pflanzen wann blühen. Es macht mir eine Riesenfreude, durch den Garten zu schlendern.»
Alles blüht früher
Kugler und Eberhard engagieren sich im Vorstand des Vereins Bienen Region St. Gallen, der einen eindrücklichen Ort für das Lernen ¨ber Bienen geschaffen hat: das Didaktische Zentrum Bienen-Werte am Rand der Agglogemeinde Mörschwil. Vor einem Wandbild, das Pflanzen und Imkereiarbeiten im Jahreslauf zeigt, erklären die zwei Frauen, wie sich mit dem Klima auch das Imkern verändert. «Der Kalender hier stimmt nicht mehr», sagt Kugler. «Die meisten Pflanzen blühen jetzt zwei Wochen früher, und manchmal wird es mitten im Winter so warm, dass die Königin beginnt, Eier zu legen.» Das sei fatal: «Den Bienen können wir Zucker füttern, aber die Larven brauchen Pollen. Der lässt sich nicht ersetzen. Wenn draussen nichts blüht, verhungern die Larven.»
Die wärmeren Winter verstärken auch die Probleme mit der invasiven Varroamilbe, die sich an den Bienen festsaugt. «Wie wenn ein Mensch ein ausgewachsenes Kaninchen im Nacken hätte», sagt Kugler, um die Grössenverhältnisse zu veranschaulichen. Imker:innen setzen zur Milbenbekämpfung Oxalsäure ein. «Das geht aber nur ausserhalb der Brutzeiten gut – sonst erwischen wir nicht alle.» Dass die Brutzeit der Bienen jetzt manchmal mitten im Winter beginnt, fördert die Varroa. Bei starkem Befall stirbt das ganze Volk samt Königin. «Unsere Westlichen Honigbienen sind der Varroa ausgeliefert, weil sie sich nicht gegenseitig putzen.»
Lassen sich «putzfreudigere» Bienen züchten? Das werde versucht, sagt Eberhard. Andere setzen auf kleinere Waben und kürzere Brutzeiten – in der Hoffnung, dass sich die Milbe so weniger stark vermehrt.
Seit ihnen die Varroa das Leben schwermacht, erhalten Imker:innen einen «Seuchenbeitrag» von der Wohngemeinde. Direktzahlungen aus dem Landwirtschaftsbudget gibt es bis heute keine. «Wichtiger als Geld wären mehr Forschung, Sensibilisierung und die Pflege von Landschaft und Biodiversität», findet Kugler. «Wie eine einzelne Biene nicht allein überleben kann, kann die Natur nicht in vereinzelten Biotopen überleben.» Sie erzählt, dass Bienen im Rebberg nützlich sind, obwohl sie die Rebe nicht bestäuben: Sie lösen Vibrationen aus, die Raupen erstarren lassen – sodass diese weniger am Rebenlaub fressen. «Imkern hilft, komplexe Zusammenhänge zu verstehen», sagt Eberhard.
Unfaire Konkurrenz?
Im Aussenbereich des Didaktischen Zentrums Bienen-Werte stehen Bienenkästen und ein Bienenhaus neben einem Gehölz mit Teich. An diesem strahlenden Vormittag schwirren Hunderte von Bienen um blühende Weidenbäume. Der Zilpzalp singt, der Bodensee leuchtet blau, die nahe Autobahn rauscht. Tafeln informieren über das Leben der Bienen, die Geschichte der Imkerei und den Nutzen der Bienenprodukte: Pollen stützen die Immunabwehr, die Propolis, mit der Bienen den Stock abdichten, wirkt antibiotisch, und Honig ist ein gutes Desinfektionsmittel. Neben den Bienenhäuschen stehen Nisthilfen für Wildbienen. Es gibt nur sieben Honigbienenarten, aber über 30 000 verschiedene Wildbienen, davon 640 Arten in der Schweiz. Die Mauerbienen, die hier herumkrabbeln, sind klein und vorne schwarz, mit einem rostbraunen, pelzigen Hinterteil.
Manche Biolog:innen werfen Imker:innen vor, die Haltung von Honigbienen stelle eine unfaire Konkurrenz für Wildbienen dar. In der Wissenschaft sei das umstritten, sagen die beiden Imkerinnen. Entscheidend sei das Nahrungsangebot: Blütenpflanzen zu fördern, helfe allen Bienen – aber es müssten die richtigen sein. Manche beliebten Gartensträucher wie die hellgelb blühende Forsythie liefern keinen Nektar und bringen den Bienen nichts.
Das Didaktische Zentrum bietet Führungen an, auch für Kinder: Sie können in grosse Holzwaben hineinkriechen und das Summen eines Bienenstocks hören, mit einer Facettenbrille sehen wie ein Insekt. Und sie erleben, wie Bienenwachs duftet: Im Nebenraum lassen Imker:innen ihr eigenes Wachs zu Waben pressen. So können sie sicher sein, dass die Waben keine Fremdstoffe enthalten.
Und was ist mit dem Honig? «Er ist ein Nebenprodukt, ein Verlustgeschäft», sagt Eberhard. Kugler hat Honig gar nicht so gern. «Nebenprodukt» trifft es gut: Viel entscheidender ist die Bestäubungsleistung der Bienen und anderer Insekten. Ein Drittel der Pflanzen, die Menschen als Nahrung dienen, hängen davon ab.