Das Bundesgericht und die deutschen Rassengesetze: Gelebte Geschichtslücke
Zur Ignoranz bekannte sich der referierende Bundesrichter Karl Hartmann schon in der Verhandlung vom 21. Januar 2000: Den Vortrag zum Fall Spring habe er geschrieben, sagte Hartmann, bevor der Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg («Bergier-Kommission») über die Flüchtlingspolitik am 10. Dezember 1999 erschienen sei; er habe den Text hauptsächlich aufgrund des «Ludwig-Berichtes» von 1957 verfasst. Deutlich werden
sollte: Einen Bergier-Bericht braucht es nicht, um herauszufinden, was der Richter seit je besser weiss. Erst recht nicht, nachdem die Bergier-Kommission sich herausgenommen hatte, die Politik der Jahre 1933–1945 vor dem Hintergrund eines lang andauernden schweizerischen Judenhasses zu interpretieren.
Im schriftlichen Urteil, welches den historischen Ausführungen des Referenten folgt, ist der eine Satz Hartmanns wohlweislich nicht mehr enthalten – jede Jusstudentin, jeder Geschichtsstudent würde ja für das «Vergessen» wichtiger neuer Literatur durch die Prüfung rasseln. Der Bergier-Bericht wird jetzt zwei- oder dreimal erwähnt und auf Seite 14 definitiv gewürdigt: Dieser Bericht vermöge es, schreibt das Gericht, das Geschichtsbild «mit zusätzlichen neuen Einzelheiten» abzurunden, aber «nicht grundsätzlich neu zu zeichnen». Als scheinwissenschaftlicher Beleg für die richterliche Behauptung folgt ein Quellenverweis auf einen Aufsatz des pensionierten NZZ-Redaktors und Historikers Alfred Cattani, der von der Stiftung Pro Libertate als Broschüre herausgegeben wurde – am 10. Dezember 1999, dem Tag des Erscheinens des Bergier-Berichtes. Alfred Cattani schrieb also gar nicht über die Arbeit der Expertenkommission, wie das Gericht uns vormachen will, sondern er verfasste seinen Aufsatz in gänzlicher Unkenntnis ihrer Resultate.
Auch manipulative Quellenangaben liesse man einer Geschichtsstudentin, einem Jusstudenten nicht so leicht durch.