Das Bundesgericht und die Fälle Spring und Sonabend: Jetzt geht der Fall Spring nach Lausanne

Joseph Spring bleibt also im Spiel. Das Bundesgericht hat letzte Woche einen Antrag des Finanzdepartements abgelehnt, seine Klage zu sistieren. In «nächster Zeit», so das Gericht, würden die Parteien zu Instruktionsverhandlungen nach Lausanne geladen. Das ist ein erster Erfolg in diesem auch von der WoZ unterstützten Verfahren und eine erste Niederlage der Schweizer Regierung gegenüber einem 72-jährigen Herrn in Melbourne, der Auschwitz überlebte. Joseph Spring verlangt bekanntlich 100 000 Franken von der Schweiz als Entschädigung für seine Auslieferung an die Deutschen im November 1943.

Charles Sonabend ist zurzeit nicht mehr im Spiel. Das Bundesgericht hat seinen Prozess sistiert und wird sich frühestens im Dezember wieder damit beschäftigen. Das ist ein erster Sieg der Schweizer Regierung gegenüber einem 68-jährigen Herrn in London, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden. Sonabend verlangt ebenfalls 100 000 Franken von der Schweiz als Entschädigung für die Ausschaffung seiner Familie im August 1942 nach Frankreich.

Was ist der Unterschied zwischen den beiden Verfahren? – Charles Sonabend reichte nicht nur in Lausanne, sondern auch in New York eine Klage ein. Er ist einer der Sammelkläger, denen die Grossbanken UBS und Credit Suisse irgendwann – vielleicht erst, wenn sie tot sind – 1,25 Milliarden Dollar überweisen müssen. Sonabend hat in den USA gegen private Banken geklagt, doch der Vergleichstext sieht jetzt vor, dass mit der Zahlung dieser Banken auch alle Forderungen an den Schweizer Staat beglichen sind. Gegen einen derartigen Vergleich protestierte Sonabend schon im August 1998 bei seinem New Yorker Anwalt und bat ihn, die «Globallösung» nicht zu unterzeichnen.

Joseph Spring hingegen hat die Banken nie verklagt, er hatte, anders als Sonabend, gar keine Veranlassung dazu, denn seine Familie besass nie ein Schweizer Konto. Mit einer förmlichen Erklärung gegenüber dem Bundesgericht hat Spring versichert, dass er sich an dem New Yorker Vergleich auch dann nicht beteiligt, wenn dieser ihm – ohne vernünftigen Grund – einen kleinen Anteil am Bankengeld zuspricht. Er will, und das hat er schon mehrmals gesagt, keine Almosen, sondern Gerechtigkeit.

Charles Sonabend will ebenfalls Gerechtigkeit, aber eine verbindliche «Opting-out»-Erklärung in Bezug auf die «Globallösung» hat er bis heute nicht abgegeben. Warum sollte er? Wenn sowohl der Schweizer Staat Herrn Sonabend etwas schuldet (darüber hat das Bundesgericht zu entscheiden) als auch die Schweizer Banken (darüber wurde und wird in New York verhandelt), weshalb sollte Herr Sonabend dann auf einen der beiden Ansprüche verzichten, noch bevor überhaupt gewiss ist, ob der andere anerkannt wird?

Mit dem juristischen Trick, Sonabend und Spring nach New York zu verweisen, wollte das Finanzdepartement, das in dieser Sache den Gesamtbundesrat vertritt, einer gerichtlichen Klärung der schweizerischen Mithilfe beim nationalsozialistischen Völkermord entgehen. Die Regierung wollte ihre Verantwortung an die Banken abgeben und sich von ihnen freikaufen lassen. Bereits erklärte das Aussenministerium, es sei «unter sämtliche finanzielle Ansprüche an die Schweiz ein Schlussstrich gezogen» (31. März 1999). Doch der Trick ist nicht ganz gelungen. Charles Sonabend hat in Strassburg gegen die Verzögerung seines Verfahrens geklagt. Und in Lausanne kommt jetzt der Fall Spring zur Verhandlung. Er wird Geschichte machen. So oder so.