Dokumentation: Presseschau zum Fall Joseph Spring

Bruno Vanoni im «Tages-Anzeiger»

«Joseph Spring fehlte eine Stimme. Drei Mitglieder der Landesregierung wären bereit gewesen, den abgewiesenen Flüchtling zu entschädigen. (…) Mit vier gegen drei Stimmen hat der Bundesrat jedoch Springs Gesuch um Genugtuung abgelehnt. Vordergründig führt er dafür die gleiche formaljuristische Begründung an, mit der er im Februar schon ein ähnliches Begehren des Holocaust-Überlebenden Charles Sonabend abgewiesen hat. Doch ausschlaggebend war diesmal die bundesrätliche Befürchtung, wenn jetzt abgewiesene Flüchtlinge mit Steuergeldern entschädigt würden, habe die Solidaritätsstiftung vor dem Volk definitiv keine Chance mehr. – Das Problem ist nur: Die grosszügige Stiftungsidee lässt sich nicht retten, indem man den Opfern der verfehlten Flüchtlingspolitik kleinherzig Gerechtigkeit versagt. Das berechtigte Anliegen der Wiedergutmachung darf nicht der Stiftung geopfert werden.»

Beat Waber im «St. Galler Tagblatt»

«Auf der einen Seite stehen jetzt die hehren Stiftungsziele in einem Gesetzesentwurf. Und auf der anderen Seite wird mit einem jüdischen Flüchtling, der 1943 an die Nazis verraten wurde, erneut höchst unsolidarisch umgesprungen. Der Bundesrat ‘bedauert’ das Schicksal von Joseph Spring und seinen in Auschwitz ermordeten Cousins, lehnt aber eine Genugtuung mit formaljuristischer Begründung ab. (…) Die Hauptvertreter der Stiftungsidee, Villiger und Koller, sollen den Ausschlag für die Abweisung von Springs Gesuch gegeben haben. Damit halfen sie letztlich ihrem Hauptgegner, Christoph Blocher, der gar keine Stiftung will. Der Entscheid ist indes nicht nur im Hinblick auf die Stiftung widersprüchlich. Sollte das Bundesgericht die Regierung korrigieren, so entstünde ausgerechnet das, was diese vermeiden wollte: ein Rechtsanspruch auch für andere Fälle. Und während der Bund in den USA Millionen in politische PR steckt, lässt er hierzulande jene auflaufen, die einen Bruchteil dieser Summe begehren und sich nicht von amerikanischen Anwälten und Politikern vertreten – und missbrauchen – lassen.»

Andreas Widmer im «Landboten»

«(…) man wünscht sich für die damaligen Flüchtlinge wie Spring und Charles Sonabend auch heute noch mehr als das ‘tiefempfundene Mitgefühl und Bedauern’ der Schweizer Landesregierung. Diejenige des Kantons Basel hat es immerhin fertiggebracht, dem heute 82jährigen Hans Weinberg [heute Eli Carmel, Anm. WoZ] in einem ähnlichen Fall 50000 Franken zuzusprechen. Und der Bundesrat räumt selber ein, ‘angesichts der Tragik’ sei eine freiwillige Zahlung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht diskutiert worden. Man sei aber übereingekommen, dass ‘mit der Solidaritätsstiftung bessere Zeichen gesetzt’ werden könnten – wobei nicht auszuschliessen sei, dass ‘dereinst’ auch ein Projekt zugunsten abgewiesener jüdischer Flüchtlinge entstehen könnte.
Am selben Tag hat derselbe Bundesrat jedoch erläutert, die Solidaritätsstiftung sei nicht für einzelne Holocaust-Opfer bestimmt. Und er weiss, dass dieses Projekt alles andere als über den Referendums-Berg ist, im besten Fall also noch einiges an Zeit braucht. Will er vielleicht zuwarten, bis alle Springs und Sonabends beerdigt sind? Ein hartes Nein ohne billigen Trost hätte in ihrer Situation nicht auch noch zynisch gewirkt.»

Patrick Feuz im «Bund»

«Der Bundesrat habe selten so gelitten wie beim Traktandum Joseph Spring, versichern Insider. Die Mitschuld der Schweizer Behörden am tragischen Schicksal des damals 16jährigen jüdischen Flüchtlings und seiner beiden Verwandten sei eindeutig belegt.
Der Bundesrat unterdrückt die eigene Empörung und gibt vor, er könne dem 71jährigen Spring keine Genugtuungssumme zahlen. Vorgeschoben werden wie bereits im Fall Sonabend formaljuristische Gründe. Doch tatsächlich handelt es sich um einen rein politischen Entscheid: Die Regierung glaubt, mit ihrer harten Haltung der Solidaritätsstiftung einen Dienst zu erweisen. (…)
Mit dieser Strategie entsteht eine groteske Situation: Ausgerechnet jene Menschen gehen leer aus, denen gegenüber der Bundesrat 1995 im Gedenken ans Kriegsende Schuld eingestanden hat. Wer von Schuld spricht, diese aber nicht begleicht, verliert an Glaubwürdigkeit. So gesehen verringert der Spring-Entscheid die Chancen der Stiftung, es droht maximaler Schaden: Befürworter verlieren die Lust, sich für das Vorhaben zu engagieren.»

Georges Wüthrich im «Blick»

«(…) nebenbei sei es gesagt: die Behandlung des Falles Spring in der gleichen Bundesratssitzung war nicht gerade eine politische Meisterleistung.»

Max Frenkel in der «Neuen Zürcher Zeitung»

«Das zerstrittene Gremium befasste sich erstmals im Frühjahr mit dem tragischen Fall und dann auch noch an den letzten beiden Sitzungen. Tröstlich: Leicht gemacht hat sich den schweren Entscheid kein Bundesrat.»

David Sieber in der «Südostschweiz»

«Es ist schon kaum zu glauben, wie unglücklich, ja dilettantisch der Bundesrat agiert, sobald es um den Themenkreis Schweiz im Zweiten Weltkrieg geht.»

Erich Aschwanden in der «Neuen Luzerner Zeitung»

«Die Regierung schränkt zwar ein, dass es sich bei der Ablehnung der Genugtuungsforderung des von der Schweiz an Deutschland verratenen jüdischen Flüchtlings Joseph Spring um eine Parteierklärung handelt. Doch einmal mehr hat sie die falsche Partei ergriffen. Wie in den dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs beruft man sich auf das Recht und bedauert gleichzeitig die damit verbundene Ungerechtigkeit. (…) Wer es nicht wagt, in einem krassen Einzelfall das Herz und nicht die Gesetzessammlung sprechen zu lassen, darf sich nicht wundern, wenn das Volk misstrauisch ist, ob mit der Solidaritätsstiftung wirklich hehre Ziele verfolgt werden und nicht ein Ablenkungsmanöver geplant ist. Statt Worthülsen in Form eines Stiftungsgesetzes zu produzieren, wären vom Bundesrat gestern Taten gefordert gewesen.»

Peter Bollag im «Israelitischen Wochenblatt»

«Der gleiche Bundesrat Villiger, der jetzt im Namen des Bundesrates zum zweiten Mal die Genugtuungs-Forderung eines ehemaligen Flüchtlings ablehnte, anerkannte als Bundespräsident in seiner berühmt gewordenen Rede am 7. Mai 1995 die Schuld der Schweiz in der Flüchtlingsfrage. Wer Schuld trägt, ist auch satisfaktionspflichtig und kann sich nicht einfach hinter dem Bundesgericht verstecken.»
Gisela Blau in der «Jüdischen Rundschau»
«Für Millionen von Franken hat die Schweiz versucht, in den letzten Monaten mittels PR-Aktionen ihr Image vor allem in den USA aufzupolieren. Eine kleine materielle Geste an einen Einzelnen, hinter dem keine Sammelklagen stehen, hätte weniger gekostet und mit Sicherheit bei weitem mehr bewirkt. Eine verpasste Chance an einem Tag, der nicht als Ruhmesblatt für die Schweiz in die Geschichte eingehen wird.»

Markus Schneider in «Facts»

«Der Fall Spring zeigt nun aber: Offenbar ist die Schweiz nicht in der Lage, ohne Druck von aussen moralisch richtig zu handeln.»