Wiedergutmachungsforderung: Joseph Spring und das Eidg. Finanzdepartement

Dieser Tage hat der Rechtsanwalt des ehemaligen jüdischen Flüchtlings Joseph Spring beim Schweizerischen Bundesgericht in Lausanne einen weiteren Schriftsatz eingereicht. Es handelt sich dabei, juristisch gesprochen, um die «Replik» im Verfahren «Joseph Spring gegen Schweizerische Eidgenossenschaft», also um die Erwiderung auf eine erste Stellungnahme, welche vom Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) im Auftrag des Bundesrates vor zwei Monaten in Lausanne deponiert worden ist. Diese Stellungnahme oder «Klageantwort», die hier erstmals in Auszügen veröffentlicht wird, bezieht sich ihrerseits auf die Klage Springs vom Juli 1998; sie geht hinter alles zurück, was der Bundesrat in den letzten fünf Jahren zur schweizerischen Flüchtlingspolitik während der Nazizeit reumütig von sich gab, und das EFD versucht ausserdem, mit falschen Behauptungen und anonymen Zeugenaussagen Joseph Springs Erinnerungen unglaubwürdig erscheinen zu lassen.

Springs Klage

Die Geschichte des 1943 von Schweizer Grenzwächtern an die Deutschen ausgelieferten und bei diesen als Jude denunzierten Spring, der damals noch Joseph Sprung hiess, ist in der WoZ schon mehrmals erzählt worden. Joseph Spring lebt heute in Melbourne, Australien, wo er mit seiner Frau Ava ein kleines Reisebüro betreibt. Im Herbst 1997 wandte er sich an den St. Galler Rechtsanwalt und SP-Nationalrat Paul Rechsteiner und bat ihn um juristische Unterstützung. Im Internet hatte Spring gelesen, dass Rechsteiner für einen anderen jüdischen Flüchtling, den 1939 von Basler Polizisten der Gestapo übergebenen Hans Weinberg (heute Eli Carmel), beim Kanton Basel-Stadt 50 000 Franken Wiedergutmachung erstritten hatte. Da der Fall Carmel unter anderem aufgrund von meinen in der WoZ veröffentlichten historischen Recherchen zu diesem Ende gebracht werden konnte, bat mich Rechsteiner mit Erlaubnis Joseph Springs, auch den neuen Fall zu überprüfen.
Im Januar 1998 stellte Paul Rechsteiner dem Schweizerischen Bundesrat das Begehren, Joseph Spring eine Wiedergutmachung von 100 000 Franken zu bezahlen.
Im Juni 1998 lehnte der Bundesrat das Begehren ab – bei einem Stimmenverhältnis von 4 zu 3 (Couchepin, Dreifuss, Leuenberger) – und zwar, wie schnell durchgesickert ist, mit dem sonderbaren Argument, dass eine Entschädigungszahlung an einen ausländischen Juden den antisemitischen Gegnern der vom Bundesrat geplanten «Stiftung solidarische Schweiz» neuen Auftrieb geben könnte. Offiziell wurde die Ablehnung indessen «rein rechtlich» begründet. Auch der Wahrheitsgehalt der Erzählungen Springs ist vom Bundesrat offiziell nicht in Zweifel gezogen worden, sondern die Regierung erklärte im Gegenteil, sie sei sich «des unermesslichen Leids, welches der Gesuchsteller im Zweiten Weltkrieg durchlitten hat, bewusst». Sie sprach ihm ihr «tief empfundenes Mitgefühl und Bedauern» aus.
Die von Paul Rechsteiner im Namen Springs darauf beim Bundesgericht eingereichte Klage auf Staatshaftung begründete die Wiedergutmachungsforderung damit, dass die Schweizer Behördenvertreter, als sie den Flüchtling zu den Nazis brachten, Gehilfenschaft zum Völkermord geleistet hätten und dass Völkermord ein unverjährbares Verbrechen sei. Es war die zweite Klage eines zurückgewiesenen jüdischen Flüchtlings, die beim Bundesgericht einging. Die erste hatte im März 1998 der Zürcher Anwalt Marc Richter abgeschickt. Richter vertritt den 1942 mit seiner Familie ausgeschafften Charles Sonabend; auch im Fall Sonabend steht das Urteil noch aus.

Vom Opfer zum Täter

Joseph Spring bzw. Joseph Sprung versuchte im November 1943, zusammen mit zwei Cousins und einem nichtjüdischen Begleiter, vor den Nazis in die Schweiz zu fliehen. Sie gelangten bei La Cure im Waadtländer Jura ein erstes Mal über die Grenze und wurden von Grenzwächtern ins besetzte Frankreich zurückgejagt.

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