Kunsthaus: Die Zürcher K-Frage

Nr. 17 –

Zum ersten Mal kommt es zu einer Kampfwahl ums Präsidium im Kunsthaus Zürich. Eine Stadtgeschichte über alte Ansprüche, einen unerwarteten Herausforderer und die Rolle der öffentlichen Hand.

Anne Keller Dubach wäre die erste Frau an der Spitze der Kunstgesellschaft. Angefragt wurde sie von der Stadtpräsidentin.

Unten glitzert der Zürichsee in der Sonne, während sich in der obersten Etage die Farbe der Wände je nach Lichteinstrahlung ändert: Mal leuchten sie blau, mal violett, mal türkis. Diese Businesslounge sei ihr Lieblingskunstwerk hier, sagt Anne Keller Dubach. Geschaffen hat sie der Künstler Heimo Zobernig, extra für den neuen Repräsentationsbau des Schweizer Rückversicherers Swiss Re. Wenn sie sich eine Ausstellung im Kunsthaus wünschen könnte, wird die Frau später sagen, wäre es eine zum Thema Schatten. «Was der Schatten ist, wie er ist. Da gibt es historische Dimensionen und grosse kunsthistorische Perspektiven.» Und, kann man ergänzen, auch familiäre: Anne Keller Dubach, die bis zur Pensionierung bei der Swiss Re das Kultursponsoring und die Kunstsammlung betreut hat, ist die Erbin einer schwerreichen Zürcher Familie. Erbin auch ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen: Sie soll, wenn es nach dem Vorstand geht, die nächste Präsidentin der Zürcher Kunstgesellschaft werden, die das Kunsthaus betreibt.

Auf der gegenüberliegenden Seeseite stehen nicht weniger repräsentative Bauten, das Opernhaus, der Sitz der «Neuen Zürcher Zeitung», dahinter folgt die Kanzlei des bekannten Anwalts und Kunstsammlers Peter Nobel. Im Sitzungszimmer nimmt ein junger Rechtsanwalt mit Krawatte vor einem Gemälde von Gianluigi Colin Platz, darauf steht «Democracy». Die Forderung nach Demokratie passt ganz gut zum Unterfangen von Florian Schmidt-Gabain, der sich auf Provenienz- und Kunstrecht spezialisiert hat. «Aus Berufskrankheit habe ich die Statuten der Kunstgesellschaft gelesen und gesehen, dass es nur zwanzig Mitglieder braucht, um als Kandidat vorgeschlagen zu werden», erzählt er. Die Ankündigung seiner Kandidatur schickte er Mitte März per Velokurier an den Vorstand der Kunstgesellschaft, dann schaltete er seine Website frei. Seither herrscht in den Kunstkreisen eine spürbare Nervosität.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass es in einer der grossen Zürcher Kulturinstitutionen zu einer solchen Kampfwahl kommt. Weil die Kunstgesellschaft 20 000 Mitglieder zählt, ist der Ausgang unberechenbar. Doch vom Seltenheitswert einmal abgesehen: Warum ist die Wahl in einem städtischen Kulturverein überhaupt interessant?

Eine Institution am Wendepunkt

Das hat zuerst mit dem Kunsthaus selbst zu tun: Es befindet sich in einer kritischen Phase. Nach der Eröffnung des Erweiterungsbaus von David Chipperfield wird es im Herbst 2021 zum grössten Kunstmuseum der Schweiz. Mit der zusätzlichen Ausstellungsfläche müssen sich die jährlichen BesucherInnenzahlen fast verdoppeln: von durchschnittlich 250 000 auf 400 000. Die Stadt, die das Kunsthaus zusammen mit dem Kanton zur Hälfte finanziert, hofft im Zeichen des Standortmarketings, dass das Museum auch international zu einem Leuchtturm für den Kunsttourismus wird.

Derweil droht das angekündigte Highlight des Erweiterungsbaus, die Impressionismus-Sammlung des Waffenproduzenten Emil Georg Bührle (1890–1956), zum Dauerproblem zu werden: Wie soll im Rahmen dieser Sammlungsausstellung bezüglich der Verstrickungen des Sammlers und der Herkunft der Bilder Transparenz hergestellt werden? Bei der bisherigen Aufarbeitung der Geschichte von Bührle und seiner Sammlung fielen Kunstgesellschaft und Kunsthaus vor allem durch eines auf: beredtes Schweigen.

Florian Schmidt-Gabain hat sich selbst beworben. Seither herrscht Nervosität in der Zürcher Kunstszene.

2022 tritt zudem der künstlerische Direktor Christoph Becker ab. Er ist seit über zwanzig Jahren im Amt. Viele werfen seinem Programm mangelnde Strahlkraft, gar Mutlosigkeit vor. Er und sein KuratorInnenteam verantworten solide Ausstellungen, die über die Landesgrenzen hinaus jedoch kaum Aufsehen erregen. In der «New York Times» kam das Kunsthaus zuletzt 2016 vor, mit einer Meldung zum Beginn der Arbeiten für den Erweiterungsbau: Berichtet wurde von Protesten wegen eines vermuteten alten jüdischen Friedhofs auf dem Baugrund – und von Kritik wegen der Kunstsammlung des «Waffenhändlers für die Nazis». Eine Findungskommission wollte noch dieses Frühjahr Beckers Nachfolge verkünden, doch die Ernennung verzögert sich. In dieser Umbruchphase kommt der Präsidentin, dem Präsidenten eine entscheidende Rolle zu. Er oder sie ist nicht nur für die Geldsuche verantwortlich, sondern definiert mit dem Vorstand auch die Strategie des Hauses.

Die Wahl des Kunsthauspräsidiums ist schliesslich eine Stadt- und Gesellschaftsgeschichte. Sie handelt davon, wie Mitglieder der Finanz- und Wirtschaftselite, reiche SammlerInnen und hochdotierte KünstlerInnen ihren Einfluss über die Kultur geltend machen und wie sich die rot-grüne Stadtregierung mit ihnen arrangiert. SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch sitzt ebenfalls im Vorstand der Kunstgesellschaft, sie hat Anne Keller Dubach als Kandidatin angefragt. Die gut geölten Abläufe stört nun ein junger Wilder aus Biel, der ein anderes Netzwerk ins Feld führt: ein kunstbegeisterter Szenegänger, der explizit auch an junger, noch nicht etablierter Gegenwartskunst interessiert ist. «Frischen Wind» versprechen beide. Doch welche konkreten Visionen haben sie für das Kunsthaus, das sich gerade dringend neu positionieren und erfinden muss?

Mietkunst in der Küche

Florian Schmidt-Gabain hat seine Ziele auf der Website aufgelistet. Zuoberst steht: «Neue Weisen, sich mit Kunst auseinanderzusetzen (Stichwort: Eventkultur)». Im Gespräch führt er aus, was er damit meint. «Ich will im Veranstaltungsbereich mehr machen», gerade weil «viele Berührungsängste haben mit Kunst, sie als elitär empfinden. Auch ein gutes Gastronomieangebot würde die Schwelle für einen solchen Kunsttempel senken.» Er lobt ausdrücklich «das Gewusel von allen möglichen Leuten» in der Londoner Tate Modern, die tollen Bars und Restaurants dort.

Auch Keller Dubach erklärt: «Das Kunsthaus ist wesentlich mehr als ein Museum. Es ist ein lebendiger Ort, mit fantastischen architektonischen Formationen. Ein Ort, wo man sich trifft, der bewegt und begeistert, und wo man in der Bar unter dem Werk von Max Ernst auch ein Bier trinken, im Garten ein Sandwich essen kann.» Aber sie betont auch, in Abgrenzung zu den Eventplänen ihres Herausforderers: «Unter meinem Präsidium wäre es sicher so, dass das Kunsthaus ein Haus der Künste bleibt.»

Schmidt-Gabain erinnert an die ursprüngliche Vision der Institution: «Wieso ist das Kunsthaus vor mehr als 200 Jahren gegründet worden? Weil man der Bevölkerung die Kunst näherbringen wollte.» Er schlägt vor, das Kunsthaus zu öffnen und Bilder aus dem Depot an zahlende Haushalte und Firmen zu vermieten. «Ich bin mit Kunst aufgewachsen. Als ich ein Kind war, hatten wir Werke vom Kunstverein Biel gemietet, bei dem meine Mutter Mitglied ist. Bei uns in der Küche hing immer ein gemieteter Dieter Roth oder auch andere Schweizer, das war ganz toll. Man konnte sich diese Kunst leisten, ohne sie kaufen zu müssen.»

Auch Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit ist ihm ein Anliegen: «Man muss dieses historische Bewusstsein in die Kunsthaus-DNA hineinbringen.» Anne Keller Dubach, die Geschichte studiert hat, verweist auf ihre «Historikerseele» – und will das Kunsthaus stärker thematisch profilieren: «Themen werden immer wichtiger für Museen, Arbeit an Themen, mit Themen. ‹Climate change› ist ein Beispiel, Diversity, Integration. Es geht aber auch um historische Themen, die weniger angenehm sind, denen man sich stellen muss, mit Diskurs und Dialog soll man sich wieder stärker positionieren und profilieren.»

Was auffällt: Obwohl Strategiewechsel in dieser Umbruchzeit unvermeidbar sind, scheuen sich beide KandidatInnen, pointierte Änderungsvorschläge anzubringen. Der Sprengkandidat Schmidt-Gabain meint sogar: «Ändern tönt immer so, als wäre es früher nicht gut gewesen.» Und geht dann doch noch in die Offensive: «In meiner persönlichen Wahrnehmung dürfte das Kunsthaus etwas frischer und manchmal auch etwas frecher sein.» Er sieht besonders in der Digitalisierung der Kommunikation ein Potenzial, jüngere Leute anzusprechen.

Ein ganz normales Leben

Anne Keller Dubach dürfte sich im Erweiterungsbau des Kunsthauses heimisch fühlen. Auch ihr neues Privathaus hat der Stararchitekt David Chipperfield gebaut, in Zürich Riesbach mit bester Aussicht über Stadt und See. Gemäss Baubeschrieb hat die Errichtung der Villa drei Millionen Franken gekostet. Als Keller Dubach darauf angesprochen wird, sinkt die Temperatur im Interviewsaal merklich. «Das ist eine private Thematik», sagt Keller Dubach. «Sie hat mit dem Kunsthaus nichts zu tun. Mein Mann und ich haben einen Wettbewerb ausgerichtet.»

Schon ihr Urgrossvater mütterlicherseits, der Seidenhändler Carl Abegg, war bei der Rückversicherungsgesellschaft und der Kreditanstalt aktiv. Er galt als reichster Mann der Schweiz. Ein Vorfahre väterlicherseits war Eduard Anton Keller, der als junger Mann aus dem Thurgau auf die von den Spaniern kolonialisierten Philippinen auswanderte. Er führte europäische Konsumgüter ein und verkaufte Versicherungen. Über Hochzeiten und Fusionen entstand der heutige Handelskonzern DKSH, mit weltweit 33 000 MitarbeiterInnen, einem Umsatz von elf Milliarden US-Dollar und weiterhin einer kolonialen Palme im Logo. Anne Keller Dubach hat ihre Anteile am Familienunternehmen bereits Ende der achtziger Jahre veräussert. Eine weitere Vermögensquelle war die Luzerner Brauerei Eichhof: Gemeinsam mit ihrem Mann Werner Dubach verkaufte sie ihre Anteile 2008 für mehr als hundert Millionen Franken an Heineken.

Im Namen Anne klingen aber auch die Urgrossmutter und die Grossmutter nach: Anna Abegg-Stockar, die Frau des Seidenhändlers, und Annie Bodmer-Abegg: zwei resolute Frauen, zäh auch, beide erreichten das 100. Altersjahr. Die Grossmutter scheute sich 1971 nicht, ein Schloss im Familienbesitz aus Effizienzgründen abbrechen zu lassen. Die öffentliche Empörung war gross – und vergeblich.

Auf ihre privilegierte Herkunft angesprochen, betont Anne Keller Dubach: «Ich habe immer gearbeitet.» Und: «Ich habe ein ganz normales Leben.» Zur Familientradition gehört auch, dass man Kulturinstitutionen finanziell unterstützt, einen Teil des Vermögens in gemeinnützigen Stiftungen anlegt: «In der strengen Erziehung, die ich genossen habe, gibt es die Verpflichtung, dass man sich engagiert. Das habe ich ein Leben lang gemacht.»

Per 2021 gibt Keller Dubach praktisch all ihre Ämter ab, das Verwaltungsratsmandat beim Schauspielhaus, das Stiftungsratspräsidium beim Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, und auch bei der Swiss Re wird sie pensioniert. Das Kunsthauspräsidium erscheint so auch als krönender Abschluss einer Karriere.

Schmidt-Gabain stammt aus einer Bieler ArbeiterInnenfamilie, die aber «nicht darben musste», wie er erzählt. Sein Urgrossvater baute ein kleines Haus, man wohnte dort zu sechst in einer Vierzimmerwohnung. «Das waren ganz kleine Zimmerchen. Meine Mutter ist Innenarchitektin, sie hat dann zum Teil die Wände herausreissen lassen. Jetzt ist es viel geräumiger, grösser.» Und auch er hat eine Geschichte parat von einem «gutbürgerlichen» Haus mit kleinem Swimmingpool am Zürcher Goldküstenhügel, in Witikon, das abgebrochen wurde. Vor dem Abriss hat er 2013 zusammen mit dem Künstler Thomas Julier eine Ausstellung kuratiert, von der er begeistert berichtet. Sie trug den Titel «Doom», Verhängnis, benannt nach einem düsteren Computerspiel.

Der Kunstanwalt ist im Vergleich zu Keller Dubach ein Newcomer in Zürich. Einer der vielen, die in der stetig wachsenden Stadt Karriere machen wollen. Aber auch einer, der auffällt. Schmidt-Gabain ist eine schillernde Figur, trägt teure Anzüge, sammelt Champagner und Kunst. Er sei ein guter Gastgeber, erzählen Bekannte, stelle in Diskussionen auch mal unbequeme Fragen. Die juristische Laufbahn schlug er zur eigenen Überraschung ein, wie er erzählt. Neben dem Jusstudium hat er kunstgeschichtliche Seminare besucht. Schon als Bub war er viel auf Flohmärkten und in Antiquitätenshops unterwegs.

Hinter vorgehaltener Hand heisst es, Schmidt-Gabain würde sich mit seiner Kandidatur übernehmen. Thomas Julier, Künstler und langjähriger Freund Schmidt-Gabains, meint dagegen, dass dieser «umsichtig, nachhaltig und in einem gesellschaftlichen und öffentlichen Interesse handelt». Mit der einflussreichen Anne Keller Dubach will es sich öffentlich lieber niemand verscherzen. Sie achtet selbst auf einen tadellosen Eindruck, wird beim Gespräch von einer PR-Beraterin begleitet. Auch sie hat im Wahlkampf mittlerweile eine Website aufgeschaltet, mit Aussagen von UnterstützerInnen. Benjamin von Blomberg, Kointendant am Zürcher Schauspielhaus, wo Keller Dubach bis vor kurzem im Verwaltungsrat sass, lobt etwa ihren Mut, ihre Durchsetzungskraft, ihr Netzwerk und «ihre entspannte und unerschrockene Swissness».

So viele Bekanntschaften, so grosse Netzwerke: Und doch betonen Schmidt-Gabain und Keller Dubach, sie seien sich beide noch nie begegnet.

Die Bührle-Verflechtung

Die heikelste Herausforderung für das Kunsthaus in den nächsten Jahren ist unzweifelhaft die Ausstellung der Sammlung Bührle im Erweiterungsbau. Eine private Sammlung, die nicht einfach neu ins Kunsthaus kommt. Vielmehr macht sie sichtbar, wie eng Kunsthaus, Kunstgesellschaft und Sammlung Bührle schon immer miteinander verflochten waren: Waffenfabrikant Emil Georg Bührle präsidierte die Sammlungskommission und stiftete einen ersten Erweiterungsbau, der 1958 nach seinem Tod eröffnet wurde. Noch heute sitzt der Direktor des Kunsthauses, Christoph Becker, im Stiftungsrat der Bührle-Stiftung, und der Direktor der Stiftung, Lukas Gloor, wiederum im Vorstand der Kunstgesellschaft.

Die beiden KandidatInnen wissen selbstverständlich um die heikle Geschichte. Und sie überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach Transparenz. «Das oberste Gebot ist Offenheit und Transparenz», sagt Keller Dubach. Angesichts einer aufkommenden «Empörungskultur» in den letzten Jahren habe man die Brisanz des Themas wohl unterschätzt. Die Geschichte müsse in einem Dokumentationsraum nachvollziehbar aufgearbeitet werden, wie es vom Kunsthaus schon geplant sei.

Auch Schmidt-Gabain fordert «radikale Transparenz»: «Es ist eine wichtige Aufgabe eines heutigen Museums, dass man eben nicht nur die Kunst zeigt, sondern sich mit der eigenen Geschichte und der Geschichte der Werke auseinandersetzt.» Historikerin Keller Dubach regt weitere Forschungsarbeiten an, Provenienzexperte Schmidt-Gabain, Mitgründer und Präsident des Zentrums für künstlerische Nachlässe, will ebenfalls in die Erforschung der Herkunft der Bilder investieren: «Das Allerwichtigste bei der Provenienzforschung ist es, sich vor Verallgemeinerungen zu hüten. Jedes Kunstwerk hat seine ganz eigene Geschichte.»

Wie sie nun aber mit dieser ganz eigenen Geschichte des Kunsthauses umgehen wollen, dieser unauflösbaren Verflechtung von Krieg und Kunst am Standort Zürich, dazu bleiben sie vage: Schmidt-Gabain möchte sich immerhin dafür einsetzen, dass der Leihvertrag der Stiftung Bührle, der das Kunsthaus während vierzehn Jahren verpflichte, die Sammlung als Ganzes zu zeigen, bei Gelegenheit überprüft wird: «Es darf kein Museum im Museum entstehen.» Das Kunsthaus müsse die kuratorische Freiheit zurückerlangen, die Bilder nicht immer am selben Ort als geschlossene Sammlung zeigen müssen. Keller Dubach gibt sich zurückhaltender: «Die Sammlung auseinanderzunehmen, wäre aus kunsthistorischen und historischen Überlegungen falsch.»

Eine Entflechtung des «Bührle-Komplexes», also der verschiedenen Abhängigkeiten von Kunstgesellschaft, Kunsthaus und Stiftung, halten beide nicht für vordringlich: «Dazu kann ich zu wenig sagen, weil ich die Verträge nicht kenne», sagt Keller Dubach. «Man kann die Verträge aber sicher einmal anschauen und überprüfen.» Für Schmidt-Gabain sind Verflechtungen zwischen Kulturinstitutionen üblich und haben auch ihren Nutzen, wenn darüber Transparenz herrsche: «So können die Institutionen ihre jeweilige Sicht einbringen. Das ist besser, als wenn man nur Zaungast ist.»

Von langer Hand geplant

Die zweite zentrale Herausforderung ist die Geldbeschaffung, eine der Hauptaufgaben des Präsidiums. Das Kunsthaus finanziert sich ungefähr zur Hälfte selbst – mit Eintritten, Sponsoren, privaten Spenden. Auch die 20 000 Mitglieder der Kunstgesellschaft spülen mit ihren Beiträgen jedes Jahr etwa zwei Millionen in die Kasse. Der abtretende Präsident Walter Kielholz war Verwaltungsratspräsident der Grossbank Credit Suisse (CS) und Präsident der Swiss Re. CS und Swiss Re sind die Hauptsponsoren des Kunsthauses. Auch Anne Keller Dubach kommt aus der Swiss Re – und war einst bei der CS tätig. Seit zwei Jahren wird sie in der Kunstgesellschaft als Nachfolgerin von Kielholz aufgebaut: Sie ist Beisitzerin im Vorstand und auch Teil der Findungskommission für die Nachfolge von Direktor Becker.

Ihr Startvorteil für die Wahl ist klar. Und richtig fair läuft diese nicht ab: Als Schmidt-Gabain sich beim Vorstand persönlich vorstellen wollte, waren bei weitem nicht alle Mitglieder interessiert, ihn zu treffen. In der Pressemitteilung zur Wahl wird seine Kandidatur mit keinem Wort erwähnt. Die Wahl findet wegen Corona schriftlich, aber namentlich statt – UnterstützerInnen von Schmidt-Gabain verlangen nun eine geheime Abstimmung.

Gerade für die Sponsorensuche sieht Schmidt-Gabain eine Herausforderung darin, dass das Kunsthaus auch personell stark mit CS und Swiss Re assoziiert wird: «Hier wäre eine gewisse Entflechtung zu überlegen.» Das Engagement in den Bereichen Leihgaben, Legate und Schenkungen könnte ausgebaut, Crowdfunding als Finanzierungsmöglichkeit ausgelotet werden. Gleichzeitig müsse das Kunsthaus aber aufpassen, «dass es nicht als Durchlauferhitzer missbraucht wird»: dass also SammlerInnen den Marktwert ihrer Kunst mit einem Auftritt im Museum vergolden. Auch Fundraising-Profi Keller Dubach will mehr Privatvermögen anwerben. Es gebe «viel Geld, hier in Zürich und Umgebung, viele wohlhabende Leute mit privaten Stiftungen, die dankbar wären für sinnvolle Ideen, wie sie ihr Geld einsetzen können». Sie will zudem ansässige Techkonzerne für Kooperationen und Sachspenden gewinnen. «Die Ausrüstung mit Hard- und Software wird immer wichtiger.»

Mauch fordert neuen Schub

Die zweite Hälfte des Kunsthausbudgets finanziert die öffentliche Hand. Stadtpräsidentin Corine Mauch lässt sich mit dem Satz zitieren, Stadt und Kanton als Subventionsgeber unterstützten «die Kandidatur von Frau Keller Dubach mit Überzeugung». In einem Telefongespräch lobt Mauch deren Kompetenz und Führungserfahrung. «Sie setzt sich leidenschaftlich für die Kunst ein.» Das Kunsthaus stehe mit dem Erweiterungsbau «vor einem grossen Sprung», deshalb habe man die Nachfolge im Präsidium zeitig aufgegleist. «Persönlich freut es mich auch sehr, dass erstmals eine Frau die Kunstgesellschaft leiten könnte.» Die überraschende Kampfkandidatur sieht sie positiv: «Endlich gibt es eine lebhafte Diskussion über die Zukunft des Kunsthauses.»

Auf die Frage angesprochen, was die Bevölkerung als grösste Donatorin vom Kunsthaus erwarten könne, wird rasch klar: Mauch erwartet deutlich mehr als bisher. Die Baustellensituation sei kein inspirierendes Umfeld für das Kunsthaus gewesen. «Jetzt aber braucht es Schub, eine gesellschaftliche Öffnung.» Gerade handelt die Stadt eine neue Subventionsordnung aus, mit der die Kontextualisierung der Kunst, die Diversität in Betrieb und Ausstellungen und die Provenienzforschung gestärkt werden sollen. Klingt alles schön und gut und zeitgemäss – aber müsste dafür nicht auch im Präsidium eine neue Generation zum Zug kommen? Befürchtet man gar, die Reichen und ihre Stiftungen und Konzerne würden ansonsten die Unterstützung zurückziehen?

Mauch räumt ein, dass der Finanzierungsdruck hoch, Unterstützung von Privaten zwingend sei. «Dass Geldgeber abspringen können, war bei der Auswahl der Kandidatin aber kein Thema.» Die Einschätzung, dass der Vorstand auch eine Schnittstelle zwischen den wohlhabenden, kunstaffinen Kreisen und der Stadt sei, teilt Mauch durchaus. «Das war aber schon so, bevor die Stadt rot-grün regiert wurde.» Sie erwarte im Übrigen, dass sich die Firmen, die in der Stadt von guten Rahmenbedingungen profitierten, gesellschaftlich engagierten. «Wichtig bleibt, dass die Kulturhäuser ein Service public sind und die Sponsoren keine Bestimmungsmacht über das Programm erhalten.»

Der Entscheid über das neue Kunsthaus-Präsidium fällt am 31. Mai. Perspektiven, die das Kunsthaus konsequent von den öffentlichen Interessen her denken, fehlen beiden Kandidierenden. Noch nicht einmal günstigere Eintritte werden gefordert. Dennoch hat der unerschrockene Antritt von Florian Schmidt-Gabain bereits etwas bewirkt: einen tiefen Einblick in die Zürcher Machtverhältnisse.

Die Reichen mögen die täglichen Mühen der Stadtverwaltung an die rot-grünen Parteien abgetreten haben, die nun für die Verschönerung mit Velowegen und Parkanlagen zuständig sind. Im Vorstand des Kunsthauses bleibt die Wirtschafts- und Finanzmacht aber weiterhin federführend. Das Präsidium sei eigentlich kein begehrter Job, heisst es. Aber hergeben möchte man ihn trotzdem nicht. So gesehen passt es durchaus, dass sich das Kunsthaus seit 1987 in den Händen von Swiss-Re-Leuten befindet. Es ist für das Zürcher Bürgertum die eigentliche Rückversicherungsanstalt.