Bührle-Komplex: Raus aus der Zürcher Provinz

Nr. 45 –

Die früheren Mitglieder der Bergier-Kommission mischen sich in die Debatte um die Kunstsammlung von Waffenhändler Emil Georg Bührle ein. Die Forderungen bringen die Diskussion auf ein internationales Niveau.

Da ist noch einiges nachzuforschen: Dokumentationsecke zur Sammlung Bührle im Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses.

Die Worte sind deutlich: «Die aktuelle Situation in Zürich ist ein Affront gegenüber den potenziellen Opfern von Raubgut.» Und der Absender ist prominent: Zum ersten Mal seit ihrer Auflösung veröffentlichen die Mitglieder der Unabhängigen Expert:innenkommission (UEK), die um die Jahrtausendwende die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersuchte, eine Stellungnahme. Dazu gehören international renommierte Wissenschaftler:innen wie Saul Friedländer, Harold James oder Helen B. Junz. Es geht um den Umgang mit der Sammlung des Waffenhändlers Emil Georg Bührle, für die kürzlich ein Neubau des Kunsthauses eröffnet wurde.

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, seit die WOZ publik machte, dass es bei einem Bührle-Forschungsprojekt der Universität Zürich, verantwortet von Geschichtsprofessor Matthieu Leimgruber, zu Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit gekommen ist. Der Skandal zog Kreise; der Historiker Erich Keller, der aus dem Forschungsprojekt ausgestiegen war, veröffentlichte sein Buch «Das kontaminierte Museum». Eigentlich wollte sich Zürich mit dem Neubau im Standortmarketing profilieren, vor der Eröffnung folgten dann aber negative Schlagzeilen aus aller Welt: Eine Nazi-Erbschaft suche das Museum heim, titelte die «New York Times».

Auch Kolonialismus im Fokus

Die UEK nimmt nun auch deshalb Stellung, weil sie bei ihrer Arbeit von der Bührle-Stiftung schlicht belogen wurde: Bührles Tochter Hortense Anda behauptete, es gebe kein Archiv der Bührle-Stiftung. Wie Erich Keller in seinem Buch festhält, wurde Anda beim Treffen mit der UEK ausgerechnet vom heutigen Kunsthaus-Direktor Christoph Becker begleitet. Später tauchte das Archiv auf. «Dieses Material wäre ein wichtiges Element gewesen, um die Enteignungen während der NS-Zeit und die Beteiligung der Schweizer Industrie an der Kriegswirtschaft zu dokumentieren», schreibt Princeton-Professor Harold James der WOZ auf Anfrage.

Entsprechend liegt der Fokus der UEK-Forderungen auf der Provenienzforschung, die sich mit der Herkunft von Kunstwerken beschäftigt. So soll als Erstes die Forschung der Bührle-Stiftung überprüft werden. Obwohl diese von der Stiftung selbst getätigt wurde, hat ihr SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch mehrfach die Absolution erteilt. Auf Bundesebene soll zudem ein unabhängiges Gremium entstehen, das in Zukunft bei Rückgabeforderungen eine gerechte und faire Lösung für alle Beteiligten sucht. Trotz internationaler Vereinbarungen hat die Schweiz nie ein solches geschaffen.

In diesem Gremium könnten auch die beiden grossen historischen Debatten der Gegenwart zusammenfinden: die um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und jene um ihre Beteiligung am Kolonialismus. Für Jacques Picard, emeritierter Professor an der Universität Basel und ebenfalls früheres UEK-Mitglied, sollte es deshalb einen möglichst breiten Fokus haben: «Neben den Fragen der NS-verfolgten Kunst könnte das Gremium sich auch um Objekte in Schweizer Sammlungen kümmern, die während der Kolonialzeit entwendet wurden.»

Rette sich, wer kann

Die Stadt und der Kanton Zürich, das Kunsthaus und die Bührle-Stiftung, die über die Zürcher Kunstgesellschaft eng miteinander verflochten sind, stellten sich bisher gegenüber Kritik taub. Aufgrund der UEK-Stellungnahme hält Corine Mauch eine unabhängige Evaluation der Provenienzforschung nun aber plötzlich für «angezeigt». Und auch SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr hat es eilig. «In den nächsten Wochen» will sie das Vorgehen für weitere Forschungsarbeiten festlegen. Dabei wird sich zeigen, ob sich das Kunsthaus bewegt. Ein Druckmittel, so Mauch, sei der neue Subventionsvertrag, der sich derzeit in Aushandlung befinde. Es ist offensichtlich: In der Bührle-Auseinandersetzung wollen sich gerade alle auf die richtige Seite retten.

Auch die UEK-Stellungnahme ist nicht frei von Irritationen. So heisst es darin, dass mit dem «inhaltlich fundierten Bericht» des Lehrstuhls von Matthieu Leimgruber eine Grundlage für weitere Forschungen vorliege. Erich Kellers Buch wird verschwiegen, dabei beruft man sich unter Historiker:innen üblicherweise auf den aktuellen Forschungsstand. Mit Jakob Tanner und Esther Tisa Francini haben auch die beiden Expert:innen die UEK-Stellungnahme unterzeichnet, die im Streit um den Leimgruber-Bericht zwei Gutachten verfassten. Darin kritisierten sie zwar die Forschungsanlage, die Rolle des Historischen Seminars der Universität hinterfragten sie allerdings kaum. Die jetzige Nobilitierung des Leimgruber-Berichts und die Auslassung von Keller lassen nur einen spöttischen Schluss zu: Die akademische Geschichtsforschung hat auch dann alles richtig gemacht, wenn sie sich Fehler geleistet hat.

Erich Keller fordert denn auch, dass die künftigen Forschungsarbeiten nicht nur von universitär angestellten, sondern auch von freien Historiker:innen übernommen werden. Insgesamt wertet er die Forderungen der UEK als Erfolg: «Der Druck durch mein Buch und die Medienberichte rund um die Kunsthaus-Eröffnung haben Wirkung gezeigt.» In der Tat katapultieren sie die Bührle-Geschichte aus dem provinziellen Morast wieder auf ein internationales Niveau. Es wurde höchste Zeit.