Kommentar von Daniela Janser: Lob des Widerstands
Dass die Sammlung Bührle nach nur zwei Jahren von Grund auf neu präsentiert werden soll, ist ein spektakulärer Triumph der beharrlichen Kritiker:innen.
Eine Kunstsammlung «von Weltrang», wie es gern heisst, wird abgehängt – und die Menschen applaudieren erleichtert. Diese Szene hat sich am Sonntagabend im Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses zugetragen. In einer Ecke der pompösen Eingangshalle hat das junge Aktivist:innenkollektiv KKKK eine Anlauf- und Infostelle eingerichtet. Das «Komitee Kunstraub Konfiskation Kommunikation» beschliesst damit den vorläufig letzten Akt eines öffentlichen Widerstands von unten, der die enge Verflechtung des Waffenhändlers und Kunstsammlers Emil Georg Bührle mit dem Kunsthaus Zürich problematisiert – lange vergeblich. Erst mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus im Oktober 2021 fiel den Verantwortlichen die Untätigkeit laut auf die Füsse.
Diesem hartnäckigen Widerstand ist es auch zu verdanken, dass die Sammlung Bührle, an der Blut und Verwüstung vieler Kriege kleben, nach nur zwei Jahren Ausstellungszeit geschlossen wurde. Am 3. November soll sie neu eröffnet werden, mit geschärftem Fokus auf historische und gesellschaftliche Kontexte. Eine grosse Aufgabe, ist doch die Sammlung nichts weniger als ein Mahnmal zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit.
Bereits 1970 wurden Transparente mit der Aufschrift «Völkermord finanziert Kunsthaus» durch Zürichs Strassen getragen. Als Mitglieder der «Bergier-Kommission» in den 1990er Jahren bei der Familie Bührle anklopften, wurden sie fadengrad angelogen: Es gebe kein Archiv. Jahre später veröffentlichte die Bührle-Stiftung selber unverfroren Dokumente aus ebendiesem. Folgen hatte das keine.
2015 erschien das «Schwarzbuch Bührle», unabhängige Historiker dachten «Kunst und Kanonen» strategisch zusammen und untersuchten die problematische Provenienz einzelner Bilder. Die anhaltenden Kontroversen und politischer Druck schreckten Stadt und Kanton Zürich auf, wichtige Geldgeber des Kunsthauses. Hastig gaben sie eine unabhängige historische Studie in Auftrag, die «Voraussetzung und Entstehung der Sammlung E. G. Bührle» untersuchen sollte. Es kam zu unzulässigen Eingriffen. Diese wurden von der WOZ publik gemacht und dann in einem weiteren Buch zurechtgerückt: Mit «Das kontaminierte Museum» brachte der in Protest abgetretene Koautor der Studie, Erich Keller, die schiefe Sache endgültig zum Kippen – rechtzeitig zum von Bührle-Stiftung und Kunsthaus-Leitung lange vorbereiteten Einzug der Sammlung ins neue Haus.
Auch die anderen Medien wachten auf. Die «Republik» publizierte eine Recherche, die grossen Tageszeitungen kommentierten den Bührle-Komplex plötzlich schärfer. Der «Beobachter»-Journalist Yves Demuth recherchierte die Geschichten von Schweizer Zwangsarbeiterinnen; auch der damals reichste Schweizer Bührle liess junge Frauen unter Zwang und für einen Hungerlohn in einer seiner Fabriken arbeiten. Ins Blickfeld rückte auch die hausgemachte Provenienzforschung des langjährigen Leiters der Bührle-Stiftung, die Krieg und Verfolgung als Motive für den Verkauf von Bildern systematisch ausblendet. Diese Forschung wird nun vom renommierten Historiker Raphael Gross, mandatiert von Stadt, Kanton und Kunsthaus, gründlich untersucht.
In den vergangenen Wochen haben die KKKK-Aktivist:innen gut besuchte «Raubkunstführungen» in der Sammlung Bührle durchgeführt. Und sie haben in einer bestechenden Aktion die QR-Codes neben den Gemälden gehackt: Statt zur beschönigenden Provenienzforschung der Bührle-Stiftung führten die hinterlegten Links neu zu Klartext über den Waffenhändler und seine Bildkäufe. Nicht nur bei den QR-Codes muss das Kunsthaus jetzt zum Quantensprung ansetzen. Eine halbherzig angepasste Beschreibung von Bührle als «Rüstungsindustriellem» statt bloss als «Industriellem», wie an einer Wand im sogenannten Dokumentationsraum zur Ausstellung zu beobachten war, wird definitiv nicht genügen.