Sammlung Emil G. Bührle: Durchs Höllentor ins Kunsthaus
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Es gehört zu den bekanntesten Kunstwerken der Stadt Zürich: Auguste Rodins gut sechs Meter hohes, schwarz glänzendes «Höllentor». Direkt neben dem Kunsthauseingang thront es auf seinem Sockel. Weniger bekannt ist die Herkunftsgeschichte dieser imposanten Skulptur im öffentlichen Raum. Hitlers Kunstsachverständiger Hermann Göring hatte den Zürcher Abguss des «Höllentors» 1942 für das geplante «Führermuseum» in Linz bestellt. Kurz vor Vollendung der Bronzeskulptur war der Krieg für die Nazis verloren, das «Höllentor» landete bei den Alliierten, die es an den Schweizer Waffenfabrikanten Emil G. Bührle veräusserten. Bührle hatte im Krieg Kanonen an die Nazis verkauft und so den Grundstock für sein Vermögen gelegt, das er zu einem guten Teil in Kunst investierte. 1947 überliess er die Skulptur dem Kunsthaus Zürich.
Wer den gemarterten Leibern von Rodins Höllenvision den Rücken zuwendet, blickt hinüber auf das pompös vergoldete Eingangstor des fast fertigen Kunsthauserweiterungsbaus von Stararchitekt David Chipperfield – wo auch Bührles Sammlung bald eine neue Heimat finden soll. Überhaupt steht das «Höllentor» beispielhaft für die Verstrickungen von Bührles Kunst. Zugleich ist das Werk ein Sinnbild für den unbeschwerten Umgang Zürichs mit der historisch belasteten Sammlung.
Immerhin: Rechtzeitig vor der Eröffnung des 206 Millionen teuren, substanziell mit öffentlichen Geldern finanzierten Baus wurde eine Studie in Auftrag gegeben. Zwei Historiker sollten «wissenschaftlich abgesichert und unabhängig» die unsichtbare Geschichte in der Bührle-Sammlung herausarbeiten. Wie die WOZ nun publik macht, wurden einige Befunde von den Auftraggebern und der Projektleitung wieder aus dem Bericht entfernt. Der Vorwurf der Beschönigung steht im Raum. Doch diese gravierenden Vorgänge sind nicht das einzige Problem im Zürcher Umgang mit dieser Sammlung.
Mit traditioneller Provenienzforschung, die «nur» nach Raubkunst und Fluchtgut fragt, ist der Komplex Bührle nicht umfassend zu analysieren. Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy regt an, dass wir uns grundlegender mit der Enteignung und Verschiebung von Kulturgütern «vor dem Hintergrund der grossen Kriege des 20. Jahrhunderts» auseinandersetzen sollen. Im vorliegenden Fall hiesse das, aufzuzeigen, wie das Kunsthaus, das durch die Sammlung eine klare Wertsteigerung erfährt, in dieses welthistorische Geflecht eingebunden ist. Derlei Fragestellungen, die im ursprünglichen Studienkonzept noch vorgesehen waren, hätten eine Neubeurteilung der Sammlung und der Rolle des Kunsthauses ermöglicht – und sie drohen nun wieder unterzugehen.
Eine öffentliche Debatte zur Causa Bührle blieb in der Schweiz bis heute aus – was im internationalen Rahmen kaum denkbar wäre. In den USA etwa hat das Mäzenatentum der Pharmafamilie Sackler, die als Hauptverantwortliche für die dortige Opioidkrise gilt, anhaltende Proteste ausgelöst. Die Museen mussten Konsequenzen ziehen.
Hiesige Zeitungen fanden lobende Worte für Chipperfields Bau und die Aufwertung, die er für den Kunststandort Zürich bringt. Zur Herkunft des Vermögens des Sammlers, dessen Schätze das Kunsthaus «aufs Schönste bereichern» werden, wie der «Tages-Anzeiger» schwärmte, gabs höchstens ein dürres Sätzchen. Das ist ganz im Sinn eines flexiblen zeitgenössischen Standortmarketings, das Krieg und Tod als Profitquelle ausblendet, um reibungslos zu funktionieren.
Fakt ist: Die Kunst, für die man mit Steuergeldern einen millionenteuren Palast gebaut hat und die unser Kulturleben bereichert, wurde mit Geld aus dem Waffenhandel erstanden. Das geliebte Zürcher «Höllentor» hatte einst Hitler persönlich gehört. Das ist nicht justiziabel, aber es wirft ethische Fragen auf zum Geschäft, das über Leichen ging und diese Sammlung ermöglichte. Darüber müsste endlich ernsthaft geredet werden in dieser reichen, gepützelten Stadt. Am besten auf der Basis einer neuen, sauberen und wirklich unabhängigen Studie.
Siehe auch «Zürcher Kunsthaus-Skandal: Der Streit um Bührle eskaliert».