Bührle-Komplex II: Der Zollbetrüger

Nr. 46 –

Die Bührle-Stiftung droht mit dem Abzug ihrer Bilder aus dem eben eröffneten Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. Das passt zum Staatsverständnis von Emil Georg Bührle, wie ein neuer Aktenfund im Bührle-Archiv zeigt.

Über hundert Millionen Franken: So viel bezahlten Stadt und Kanton Zürich und damit die Steuerzahler:innen an den Neubau des Zürcher Kunsthauses, in dem die Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle gezeigt wird. Nun hat Lukas Gloor, Direktor der Sammlung Bührle, im «SonntagsBlick» seine Pensionierung angekündigt, weil sich der Staat in die Gestaltung des Dokumentationsorts und in die Aufarbeitung der Sammlung einmischen will. Mehr noch: Gloor droht mit dem Rückzug der Sammlung, deren Präsentation als Leihgabe ans Kunsthaus auf zwanzig Jahre befristet ist. Der entsprechende Vertrag ist der Öffentlichkeit wegen des Vetos der Stiftung nicht zugänglich.

Angesichts der hundert Millionen Franken staatlicher Förderung für die Sammlung mag Gloors Forderung frivol erscheinen. Sie passt aber ins Bild, das Emil Georg Bührle selbst vom Staat hatte. So wie Lukas Gloor andeutete, dass die Stiftung Bührle die Sammlung aus dem Kunsthaus zurückziehen könnte, drohte auch Bührle 1939 mit dem Wegzug seiner Fabriken aus Zürich, wenn ihm die Behörden steuerlich nicht entgegenkämen. Wenn immer möglich vermied er Steuerzahlungen, obwohl er seinen immensen Reichtum dem Staat zu verdanken hatte, der ihm während des Zweiten Weltkriegs Rüstungsexporte ans NS-Regime bewilligte.

Millionen nicht deklariert

Das Schweizer Steuersystem beruht auf Selbstdeklaration, also auf Vertrauen. Das wusste Bührle, der während der Kriegsjahre zum reichsten Schweizer wurde, für sich zu nutzen. So setzte er während der Jahre 1939 bis 1945 sein Einkommen notorisch zu tief an. Das Steueramt korrigierte dieses regelmässig nach oben. Am eklatantesten war die Differenz 1945, als Bührle einen Verlust von 2,7 Millionen Franken deklarierte, das Steueramt hingegen einen Gewinn von 53 Millionen feststellte. Über die ganze Kriegszeit hinweg betrug die Differenz zwischen der Selbstdeklaration und der Steueramtsschätzung beim Einkommen 150 Millionen Franken.

Auch wenn die Steuerbehörden Bührles Einkommen jeweils stark hinaufsetzten, kamen sie ihm weit entgegen, wie Steuerunterlagen im Staatsarchiv Zürich zeigen. Bührle «werde wohl kaum in einem anderen Kanton eine Steuerverwaltung finden, die sich so wie die zürcherische bemühe, Einsicht in die Erfordernisse der Wirtschaft zu nehmen und dafür Verständnis zeige», schrieb der Chef der Einschätzungsabteilung. Dank dieser «Einsicht» dürfte Bührle Millionen eingespart haben.

Im Kunsthaus Zürich ist neu auch das digitalisierte Archiv der Bührle-Stiftung zugänglich. Und darin finden sich brisante Dokumente. Sie weisen darauf hin, dass Bührle bei der Deklaration seines Vermögens auch vor betrügerischen Machenschaften nicht zurückschreckte. Demnach kaufte er 1952 beim Kunsthändler Paul Rosenberg in New York zehn impressionistische Gemälde von Cézanne, Degas, Manet, Monet, Renoir und anderen zum Preis von 346 000 US-Dollar. Sechs davon finden sich heute in der Sammlung. Offenbar hatte Bührle Probleme mit der Einfuhr der zehn Bilder. Rosenberg schrieb zwei Monate nach dem Kauf leicht gereizt, dass er die Bilder gerne verschicken würde, und bot an, die Hälfte der Zollgebühren zu übernehmen. Doch Bührle hatte es nicht eilig, diese erlesenen Kunstwerke bei sich zu haben.

Bloss kein Geld in den Schlund

Erst Anfang 1956 war es so weit. Bührles Sekretär instruierte Rosenberg, wie die Bilder für den Zoll zu deklarieren seien: «Vermeiden Sie es möglichst, die Namen der Maler zu erwähnen, und ersetzen Sie sie folgendermassen …» Statt Cézanne musste Rosenberg deklarieren: «Französische Schule, 19. Jahrhundert». Bei Monet schrieb er: «Schule von Monet». Zudem wurde der Wert der Bilder auf 42 000 US-Dollar herabgesetzt. Doch Rosenberg war es nicht wohl bei der Sache. Er äusserte die Befürchtung, dass er seine Position auf dem internationalen Markt riskieren könnte, wenn er gewisse Limiten unterschritte. Bührles Berater Peter Nathan erteilte neue Instruktionen, und man einigte sich auf 66 000 US-Dollar. Bei einigen Malern wurde der korrekte Name angegeben.

Im Februar 1956 bat Rosenberg um Instruktionen für die Spedition der Bilder. In seiner Antwort machte Bührle nun klar, wieso er die Bilder vier Jahre in New York lagern liess: Er wolle «nicht Geld in den Schlund des Molochs der Schweizer Zollbehörden werfen». In der Zwischenzeit war der Einfuhrzoll um vierzig Prozent gesenkt worden. Bührle und Rosenberg hatten ursprünglich vereinbart, dass sie sich diesen zur Hälfte teilen würden. Nun argumentierte Bührle, dass die Verzögerung auch im Interesse Rosenbergs gewesen sei und er deshalb die ganze Summe zahlen solle. Der Kunsthändler wies die Forderung indigniert zurück und insistierte auf der Abmachung, die Bührle schliesslich akzeptierte. «Ich habe kein Interesse, mich in eine Diskussion einzulassen, die meiner Gesundheit schaden würde», schrieb er Rosenberg ein halbes Jahr vor seinem Tod.

Bührle hatte mit diesem Fälschungsmanöver 5000 Dollar gespart. Was wie eine kleine Summe wirkt, steht für das grosse Ganze.

Der Historiker Thomas Buomberger ist Mitherausgeber des «Schwarzbuchs Bührle», das 2015 im Rotpunktverlag erschienen ist.