Bührle-Aufklärung: Wer solls bezahlen?

Nr. 10 –

Durchbruch in Zürich: Die Provenienzen der Bührle-Sammlung werden endlich unabhängig und aus der Perspektive der jüdischen Opfer untersucht. Offen ist die Kostenfrage.

Gemälde «Le jardin de Monet à Giverny» von Claude Monet (1895)
«Le jardin de Monet à Giverny» von Claude Monet (1895). Franz Ullstein musste das Bild 1936 aus Not in die Schweiz verkaufen. Foto: Stiftung Sammlung E. G. Bührle

Wer verstehen will, wie gross die Fortschritte bei der Auseinandersetzung um die Kunstsammlung des Nazi-Waffenschmieds Emil Georg Bührle sind, spult am besten fünf Jahre zurück: «Die Stiftung Bührle betreibt eine vorbildliche Provenienzforschung», antwortete der Zürcher Stadtrat damals auf eine parlamentarische Anfrage. Wie dauernd bemühte Argumente plötzlich überholt wirken können, zeigt auch ein Besuch auf der Website des Kunsthauses Zürich: «Die Abgrenzung der Begriffe Raubkunst, Fluchtgut, Zwangsverkäufe und entartete Kunst sind für eine sachlich fundierte und differenzierte Diskussion zur Frage der Restitution zentral», heisst es dort immer noch zur Provenienzforschung.

Vorbildlich, sachlich fundiert, differenziert: So sahen sich die Institutionen in der Affäre Bührle gerne, ob der Stadtrat oder das Kunsthaus, die Universität oder die Familienstiftung der Bührles. Vermutlich war es dieses abgehobene Selbstverständnis, das ins kommunikative Desaster bei der Eröffnung des Kunsthaus-Erweiterungsbaus im Herbst 2020 führte, mit weltweiten Negativschlagzeilen zu einer Stadt, die sich ihrer Geschichte nicht stellen will. Dass für die Institutionen der Historiker Erich Keller mit seinem Buch «Das kontaminierte Museum» und die Medien bis heute als Störenfriede in der Diskussion gelten, obwohl gerade sie die Aufklärung vorantrieben, passt ins Bild der eigenen Unfehlbarkeit. Oder zum Willen, die Deutungshoheit zu bewahren, den Stadtpräsidentin Corine Mauch wiederholt reklamierte.

Doch der Druck hat gewirkt, diese Hoheit ging verloren. Die Forderung nach einer unabhängigen Überprüfung der Bührle-Provenienzen – auf dem Höhepunkt der Affäre insbesondere von ehemaligen Mitgliedern der Unabhängigen Expert:innenkommission zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg erhoben – wird umgesetzt. Rechtsprofessor Felix Uhlmann wurde mit der Leitung eines runden Tisches beauftragt, um ein Forschungsmandat festzulegen. Vergangene Woche hat er das Ergebnis präsentiert. Das Mandat hat es in sich.

Auf der Höhe der Zeit

Der wichtigste Punkt: Die Sammlung Bührle soll nicht nach den Kategorien von Raubkunst oder Fluchtgut untersucht werden, auf die das Kunsthaus auf seiner Website bis heute abstellt, sondern auf die Frage hin, ob sich darin «NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut» befindet. Dieser Begriff bestimmt seit der Erklärung von Terezín 2009 die internationale Diskussion über die Restitution von Kunstwerken, die jüdische Besitzer:innen vor und während des Zweiten Weltkrieges verloren haben, ob durch Raub, Zwang oder Verkäufe in der Not. Zumindest im neuen Leihvertrag mit der Bührle-Stiftung folgt das Kunsthaus der Erklärung und will künftig keine Werke mehr ausstellen, die während der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die Bührle-Stiftung hält bisher bloss Raubkunst für problematisch.

Ein weiterer Perspektivenwechsel im Mandat: Die Erfahrung der Opfer soll bei der Überprüfung im Vordergrund stehen. «Ist die Geschichte der jüdischen Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer sowie der historische Kontext der Transaktionen hinreichend aufgearbeitet worden?» heisst es dazu im Fragenkatalog. Die Provenienzforschung soll sich also nicht, wie das bisher bei der Bührle-Stiftung üblich war, auf die Auflistung von Handänderungen und damit auf die Sicht des Käufers Bührle beschränken, sondern den Weg eines einzelnen Kunstwerkes in die Geschichte von Verfolgung und Vertreibung der Juden und Jüdinnen einordnen.

Als Leiter der Untersuchung schlägt der runde Tisch den renommierten Historiker Raphael Gross vor, der in Berlin das Deutsche Historische Museum präsidiert. Erste Zwischenergebnisse sollen schon im Herbst, der Abschlussbericht dann im ersten Halbjahr 2024 vorliegen. Weil der Auftrag zwischen Stadt, Kanton, Kunsthaus und Gross noch nicht fertig ausgehandelt ist, will sich Gross derzeit nicht zu seinem geplanten Vorgehen äussern.

Noch immer Kriegsgewinnler

Politisch verhandelt werden müssen auch die Kosten der Aufklärung. Dank eines Antrags des grünen Gemeinderates Markus Knauss hat die Stadt Zürich dafür einen Budgetposten von 400 000 Franken bereitgestellt. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Öffentlichkeit für die Forschungsarbeit aufkommen oder nicht doch das Verursacherprinzip gelten sollte. Schliesslich ist für den Schaden die Bührle-Stiftung verantwortlich, die ihre Provenienzen nicht längst nach internationalen Standards erforscht hat. Auch ist die Leihgabe der Sammlung ans Kunsthaus alles andere als ein grosszügiges Geschenk. Der Umzug in den Tresorbau wurde nötig, weil die Bührle-Villa den Sicherheitsstandards nicht mehr genügte, wie ein Raubüberfall zeigte. Die öffentliche Präsentation steigert zusätzlich den Wert der Bilder.

Vor diesem Hintergrund wäre es nur logisch, wenn nicht die Allgemeinheit, sondern die Stiftung Bührle oder die Familienmitglieder die Aufarbeitung bezahlen müssten. Geld ist schliesslich genug da: Als Haupteigentümer:innen der Pilatus-Flugzeugwerke in Stans profitieren die Bührle-Nachkommen bis heute vom Geschäft mit dem Krieg. Auch der Verkauf eines Gemäldes aus der Sammlung wäre eine mögliche Finanzierungsquelle. Dabei könnte man auch etwas darüber erfahren, welche Kunstwerke sich im Besitz der Familie befinden. Im Kunsthaus hängt nur der öffentliche Teil der Sammlung. Über den privaten Teil ist wenig bekannt – er könnte historisch erst recht belastet sein.

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Kommentare

Kommentar von EFK

Fr., 10.03.2023 - 23:23

Bührle muss bezahlen! Es ist mir unverständlich, dass Markus Knauss und der Gemeinderat einen Waffenhändler und steinreichen Kriegsgewinnler 400‘000 CHF Steuergeld der Stadt Zürcher*innen verschenken will. Das Geld darf nicht an die Bührle-Stiftung überwiesen werden.