Blanche Sabbah: Wie bewahren Sie Ihren Optimismus?
Ob online oder im realen Leben: Man dürfe politische Räume nicht der extremen Rechten überlassen, fordert die französische Comicautorin und Feministin.

WOZ: Blanche Sabbah, wo stehen wir gerade?
Blanche Sabbah: Wir stehen an einem Kipppunkt. Wir müssen jetzt gemeinsam entscheiden, was wir tun wollen, um nicht in eine sehr konservative Ordnung abzugleiten, in der soziale Errungenschaften rückgängig gemacht werden, eine Politik der extremen Ungleichheit betrieben wird und Frauen- und Menschenrechte allgemein infrage gestellt werden.
WOZ: Haben wir diesen Punkt nicht schon überschritten?
Blanche Sabbah: In den USA leider schon. In Frankreich sind wir noch nicht so weit, aber die internationale Tendenz bestätigt sich auch hier. Wir hatten vergangenen Sommer einen Schreckmoment, als bei der ersten Runde der Parlamentswahlen die extreme Rechte stärkste Kraft wurde und an den Toren zur Macht stand. Eine linke Wahlallianz konnte ihren Sieg zwar verhindern. Wir haben damit aber nur ein paar Jahre Aufschub bis zur Präsidentschaftswahl 2027 gewonnen.
WOZ: Dabei wird die Rechtsnationalistin Marine Le Pen dann vermutlich gar nicht antreten können. Ihr wurde kürzlich wegen Veruntreuung von EU-Geldern für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen.
Blanche Sabbah: Ja, das war eine gute Nachricht. Es zeigt, dass Politiker:innen nicht über dem Recht stehen, ganz gleich, wie populär sie sind. Aber leider beschränkt sich das rechtsextreme Gedankengut in Frankreich nicht auf diese eine Frau. Es hat sich in der Gesellschaft festgesetzt. Es gibt eine Basis, die in den sozialen Netzwerken sehr aktiv ihre Botschaften verbreitet. Auch die Medienlandschaft rückt immer weiter nach rechts. Extrem konservative Milliardäre wie Vincent Bolloré kaufen Medien und Verlage auf und setzen eine sehr rechte, rassistische und fremdenfeindliche Berichterstattung durch.
WOZ: Wie beeinflusst dieses Klima Ihr Engagement als feministische Aktivistin?
Blanche Sabbah: In Ländern, wo rechtsextreme Politik bereits umgesetzt wird, kommen zunächst die Rechte der LGBTIQ+-Community, sehr schnell aber auch die der Frauen unter Beschuss – insbesondere bei der reproduktiven und sexuellen Gesundheit. Dieser Beweis, dass Reaktionäre die Feinde der Frauen sind, nützt der feministischen Bewegung in Frankreich. Und zwar dann, wenn die extreme Rechte versucht, unsere Kämpfe zu vereinnahmen, und sich als Verfechterin von Frauenrechten gibt. Solche Versuche sind hier zum Glück recht erfolglos. Die Entwicklungen in anderen Ländern haben auch Gegenbewegungen hervorgerufen. Als in den USA 2022 das nationale Recht auf Abtreibung gekippt wurde, haben wir in Frankreich eine Kampagne gestartet, was dazu geführt hat, dass dieses garantierte Recht in unserer Verfassung festgeschrieben wurde. Das war sehr bedeutend.
WOZ: Einen bedeutenden Moment hat Frankreich aus feministischer Sicht auch vor wenigen Monaten erlebt: mit dem Prozess um Gisèle Pelicot, der weltweit für Aufsehen sorgte. Ihr Mann hatte sie über Jahre immer wieder betäubt und von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. Wie haben Sie den Prozess erlebt? Hat er das Land verändert?
Blanche Sabbah: Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Für mich war anfangs vor allem die Gewalt schwer zu ertragen: Das Vorgehen der Verteidiger war unter aller Kanone. Ein Anwalt sagte etwa, es sei keine wirkliche Vergewaltigung, wenn das Opfer schlafe. Erbärmlich! Aber dann habe ich mit weiteren Aktivist:innen Kundgebungen zur Unterstützung von Gisèle Pelicot organisiert. Das hat geholfen, die Empörung zu kanalisieren. Wir konnten einen feministischen Blick auf den Fall durchsetzen. Auch die Frage der kollektiven Verantwortung der Männer rückte in den Vordergrund.
WOZ: Inwiefern?
Blanche Sabbah: Der Prozess brachte die Theorie des «Monsters» ins Wanken, die die extreme Rechte gerne vertritt: dass es nur einen monströsen Typ Vergewaltiger gebe, den man einsperren oder des Landes verweisen müsse. In diesem Fall gab es mehr als siebzig Täter. Fünfzig wurden ausfindig gemacht und verurteilt – unter ihnen waren auch Verheiratete, Familienväter. Das stützte die feministische Forderung, man müsse hinterfragen, wie sich unsere Gesellschaft organisiert und wie Frauen gesehen werden. Weil potenziell jeder Mann zu einem Typ werden kann, der zu solch abscheulichen Taten fähig ist. Es ist gelungen, das hervorzuheben. Viele glauben daher, dass dieser Prozess in die Geschichte des französischen Feminismus eingehen wird.
WOZ: Sie haben sich mit dem Pelicot-Prozess auch als Comiczeichnerin auseinandergesetzt. Auf Instagram teilen Sie Ihren feministischen Blick auf die Aktualität. Warum haben Sie sich fürs Comic als Ausdrucksmittel entschieden?
Blanche Sabbah: Durch das Zeichnen kann ich meine Emotionen verarbeiten und mitteilen. Besonders auf Social Media, wo Comics sich leicht verbreiten lassen, sind sie auch ein tolles pädagogisches Instrument. Stellt man komplexe feministische oder politische Konzepte in Bildern dar, macht man sie zugänglicher – und sensibilisiert auch Leute, die man sonst nicht erreicht. Besonders mag ich humorvolle Comics, sie sind ein starkes Mittel, um Dingen die Dramatik zu nehmen oder sich über politische Gegner:innen lustig zu machen. Wenn ein Argument lustig ist, wird es online auch lieber geteilt als ein beängstigender oder deprimierender Inhalt.
WOZ: Die sozialen Netzwerke sind aber auch ein bedeutendes Vehikel für Falschinformationen, Propaganda und Hass. Wie gehen Sie damit um?
Blanche Sabbah: Ich war nie auf Twitter respektive X. Da gab es schon lange vor Trump ungeheuer viel Gewalt, besonders gegen Feminist:innen. Ich zeichne, also nutze ich Instagram. Solange ich den Eindruck habe, dort nützlich zu sein, bleibe ich. Überlässt man dieses Terrain komplett den Reaktionären und Neofaschisten, dann verliert man einen wichtigen Ausdrucksraum. Wichtig finde ich aber, auch andere Räume einzunehmen: indem man etwa einer Gewerkschaft beitritt, demonstriert oder ein Kollektiv gründet. So lässt sich ein Gleichgewicht wahren, und man bleibt psychisch gesund.
WOZ: Sie haben neben Ihrem Onlineauftritt mehrere Comicbücher veröffentlicht, die sich vor allem mit der Darstellung von Frauenfiguren in der Geschichte, in Märchen und Mythen befassen.
Blanche Sabbah: Ja, ich will damit auf die Art und Weise eingehen, wie Frauen in Mythen und Geschichten dargestellt wurden: sehr oft von Männern und sehr oft auf sexistische Weise. Diese Erzählungen beeinflussen, wie wir denken und wie wir uns verhalten. Allgemein haben Erzählungen grosse Macht: Romane, Medienberichte – selbst die Art, wie wir unsere Forderungen auf Demonstrationen rufen. All das hat immensen Einfluss auf unsere Fähigkeit, neue Lösungen zu denken und uns kollektiv zu organisieren. Wir müssen diese Werkzeuge unbedingt nutzen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass eine bessere Welt nicht nur möglich ist, sondern bereits an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten existiert. Das ist es, was ich versuche: eine dissidente Erzählung durchzusetzen.
WOZ: Vor kurzem haben Sie Ihre Leser:innen dazu aufgerufen, angesichts der aktuellen Weltlage weniger mutlos zu sein. Wie bewahren Sie Ihren Optimismus?
Blanche Sabbah: Wir müssen optimistisch sein. Man kann keinen wirksamen Widerstand leisten, wenn man überzeugt ist, dass man sowieso verliert. Ich will es den reaktionären Kräften so schwer wie möglich machen. Und der Widerstand wird unendlich schwieriger, wenn sie erst an der Macht sind. Noch haben wir Rechte: Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, staatliche Förderungen für unsere Vereine. Deshalb müssen wir jetzt tun, was wir können, um sie zu besiegen.
WOZ: Also Optimismus als Strategie?
Blanche Sabbah: Nicht nur. Ich glaube wirklich, dass wir Erfolg haben können. Das haben die französischen Parlamentswahlen letzten Sommer gezeigt. Und: Es gibt Menschen, die weniger privilegiert sind und die sich Defätismus schlicht nicht leisten können. Geflüchtete etwa, die hierherkommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Sie haben nicht den Luxus, zu sagen: «Das ist eh aussichtslos, ich mach nicht mit.» Sie müssen kämpfen – weil es um ihr Leben geht. Schon aus Respekt vor ihnen sind wir verpflichtet, das auch zu tun.
Blanche Sabbah (30) ist eine französische Comicautorin und feministische Aktivistin. Zu ihren Büchern zählen «Mythes et Meufs» oder «Histoire de France au féminin». Sie publiziert ihre Zeichnungen auch auf dem Instagram-Konto «La Nuit Remue Paris».