Manuel Stahlberger: Muss sich die Kunst zur Weltlage verhalten?
Der St. Galler Musiker über die konkrete Utopie einer besseren Stadt und den Blick auf die Schweiz von der Peripherie aus.

WOZ: Manuel Stahlberger, wo stehen wir gerade?
Manuel Stahlberger: Ich persönlich stehe in einer Anfangsphase – zwischen Tourneestart, Frühlingsputz, daheim endlich eine Werkstatt einrichten. Und das Ganze in einer Welt, die mich zunehmend sehr verwirrt, mir Angst macht.
WOZ: Was macht Ihnen Angst?
Manuel Stahlberger: Die Verschärfungen, dass alles nach rechts kippt. Und dass gewisse Böden abhandenkommen, von denen man meinte, die seien immer da gewesen, und plötzlich kann man sich nicht mehr drauf verlassen. Vielleicht waren sie aber auch gar nicht so fest da, und ich habe das nur gemeint. Jedenfalls habe ich ständig im Hinterkopf, mich dauernd zu Trump verhalten zu müssen, das lässt mir keine Ruhe. Dabei verhält er sich zu mir ja auch nicht.
WOZ: Glauben Sie, sich als Künstler zur Weltlage verhalten zu müssen?
Manuel Stahlberger: Irgendwie schon. Ich verhalte mich ja immer auf eine gewisse Art zu Zuständen auf der Welt. Nicht eins zu eins vielleicht, ich mache ja keine tagespolitische Kunst, aber mir scheint schon, sie muss etwas mit der Welt zu tun haben. Ich plane für nächsten Februar ein Soloprogramm und sammle gerade Geschichten und Gedanken dafür. In diesem Zusammenhang erscheint mir die Frage dringlich. Ich habe mir überlegt, ein paar Nummern in zwei Hälften zu bringen – einmal in einer freien und dann in einer zensierten Form. In vorauseilendem Gehorsam der Idee die Freiheit austreiben. Das klingt jetzt vielleicht etwas abstrakt.
«Der Halt, den man sich gegenseitig gibt, ist in solchen Zeiten umso wichtiger.»
WOZ: An vielen Orten auf der Welt steht die Kunst unter Druck. Nehmen Sie einen Schatten davon auch in der Schweiz wahr?
Manuel Stahlberger: Ja, durchaus. In der Schweiz treibt die SVP ja auch immer alle mit ihren Parolen vor sich her, man ist ständig am Reagieren. Und es gibt auch hier Stimmen, die sagen, Kultur müsse sich lohnen, Künstler:innen seien sowieso bloss Schmarotzer, das Geld werde zum Fenster rausgeschmissen. Aber ich persönlich merke das nicht in meinem Schaffen.
WOZ: Überlegen Sie sich, was Kunst als Ausdrucksform in solchen Zeiten überhaupt ausrichten kann?
Manuel Stahlberger: Ich weiss auch nicht, was sie kann. Aber nach Trumps Machtübernahme Anfang Jahr war ich schon kurz gelähmt, dachte mir: Es geht alles so schnell, die Welt geht bachab, und ich mache bloss diese komischen Lieder. Das Gefühl ist jetzt wieder etwas abgeflaut, aber ich stelle mir manchmal vor, dass ich gegebenenfalls schon etwas anderes Sinnvolles finden würde. Auch wenn ich keinen Beruf gelernt habe, in den ich zurückkehren könnte, mein angestammter Beruf ist ja der, den ich mir selbst erfunden habe. Gleichzeitig weiss ich natürlich, dass meine Arbeit nicht sinnlos ist. Es ist zwar komisch, in so einem Moment in seiner kleinen Parallelwelt zu leben, aber der Halt, den man sich gegenseitig gibt, ist in solchen Zeiten ja umso wichtiger. Und als Konsument würde ich gerade jetzt ohne Kultur durchdrehen.
WOZ: Denken Sie, Sie müssten eine Antwort auf das finden, was gerade passiert?
Manuel Stahlberger: Vielleicht nicht gerade eine Antwort. Wörter für den Protest fände ich gut, aber am Schluss ist es dann doch nicht meine Sprache, auch wenn ich es immer wieder probiere. Auf unserem vorletzten Album geht es um Umverteilung, und in einem Song kommt dann einfach ein Sturm und bringt alles durcheinander, bis alles wieder für alle da ist. Mit so Fragen beschäftige ich mich schon, aber ich kann dann nicht einfach einen Protestsong schreiben, sondern mehr die Utopie einer besseren Welt skizzieren.
WOZ: Eine solche Utopie besingen Sie auch im Eröffnungslied des neuen Albums «Immer dur Nächt»: jene der besseren Stadt. Was ist denn nicht in Ordnung mit unseren Städten?
Manuel Stahlberger: Das kann ich nicht sagen, das ist mir zu theoretisch. Zudem bin ich sehr anpassungsfähig.
WOZ: Dann sprechen wir doch am Beispiel von St. Gallen, wo Sie leben, darüber.
Manuel Stahlberger: Am Ursprung des Textes stand die Idee, etwas Ironisches über St. Gallen zu schreiben. Diese Ebene habe ich dann aber schnell wieder verloren. Das mit der Ironie interessiert mich generell nicht mehr so. Ein Stück weit ist es ja auch Selbstschutz, sich hinter einer coolen, ironischen Fassade zu verstecken und nichts an sich heranzulassen. Wir haben ein altes Lied mit dem Titel «Jede Scheiss isch e Chance». Ich finde das eigentlich immer noch einen guten Satz. Aber im Moment geht der überhaupt nicht. Ich finde diese Form des Zynismus nicht mehr lustig.
WOZ: Aber zurück zu einem besseren St. Gallen: Was bräuchte es?
Manuel Stahlberger: Natürlich täte der Stadt eine andere Universität gut, damit die kreativen Leute nicht immer gleich abhauen, meist Richtung Zürich. Das wäre ein guter Ansatz, um die Stadt für mehr Leute lebenswert zu machen, reichhaltiger. Was mir auch fehlt, ist ein gutes Gewässer: Der See ist etwas weit weg und die Sitter im Tobel unten. Aber daran kann man jetzt nicht viel ändern. Man hockt hier im voralpinen Hochtal und grübelt vor sich hin. Ich mache das auch gern, von daher passt die Stadt gut zu mir. Natürlich kann ich mich auch aufregen: Man kommt immer mit so Slogans wie «St. Gallen kann es». Das müsste man nicht, wenn es selbstverständlich wäre. Vieles kann man hier ja auch. Die Luft ist gut.
WOZ: Ihre bessere Stadt ist eine «mit offnere Fenster, mit schönere Hüser für offneri Mensche, mit wiitere Plätz, wo sich alli vermisched, mit freiere Clüb und Szene und Nische». Kann man in einer Kleinstadt mehr bewegen als in einer grösseren?
Manuel Stahlberger: Aus meiner eigenen Erfahrung würde ich sagen: Ja. Nehmen wir die «Frohegg» als Beispiel, Anfang der nuller Jahre war das. Wir haben für ein halbes Jahr eine alte Beiz gefunden und dort einfach Kultur gemacht, weil es sonst zu wenig davon gab. Mir schien das damals sehr einfach, viele lechzten nach einem neuen Ort. Etwas vom Besten habe ich gefunden, dass das Publikum so gemischt war: Von allen Seiten kamen Leute; wer sich für Theater interessierte, blieb dann auch für Lesungen oder Konzerte. Das ist in einer Kleinstadt vielleicht eher möglich, weil es weniger Bubbles gibt. Aber ich weiss auch nicht, wie es in einer anderen Stadt wäre.
WOZ: Also geht es darum, konkrete Orte der Begegnung und Vermischung zu schaffen, als Reaktion auch auf abstrakte Probleme?
Manuel Stahlberger: Die braucht es immer, klar, jetzt vielleicht ganz besonders, das Sichvermischen, den Austausch. Obwohl ich auch ein rechter Eigenbrötler bin. Ich liebe es allein – und dann auch wieder, alles in eine Gruppe hineinzuwerfen und zu schauen, was passiert, sich irgendwie neu kennenzulernen. Die «Besseri Stadt» ist schon eine Antwort auf die düsteren Zeiten. Auch wenn ich nicht genauer sagen kann, was sie ausmachen würde, als ich es in dem Lied beschrieben habe. Natürlich kann man das übertragen auf eine bessere Welt: eine Gesellschaft, in der sich Leute nicht aus Angst voreinander aus dem Weg gehen, obwohl sie sich gar nicht kennen. Aber das sind so grosse Fragen, die können andere besser beantworten.
WOZ: Sie sind viel auf den Kleinkunst- und Clubbühnen der Schweiz unterwegs. Was lässt sich dort über das Land lernen?
Manuel Stahlberger: Kann ich gar nicht so genau sagen, ausser: In den Kleintheatern wird viel mehr Fleisch aufgetischt als in den Clubs – der Unterschied ist spür- und essbar. Es ist aber jedes Mal ein eigener kleiner Kosmos. Wenn ich in Grosshöchstetten oder in Rüti spiele, lerne ich Leute kennen, die sich für Kultur interessieren, die ich vielleicht auch hier in St. Gallen kennen würde – eher der linke Kulturkuchen. Ich frage sie dann nicht nach den Befindlichkeiten in ihrem Kaff; auf Tour bin ich bloss ein Reisender in der Zeit. Manchmal kommen Leute dann einfach für einen Abend, verschwinden anschliessend wieder in ihr Privatleben und sind froh darüber. Und dann gibt es Orte, an denen mein Auftritt ein Grossanlass ist, auch wenn nur jemand so Kleines kommt wie ich. Dann sitzt man im Anschluss noch stundenlang zusammen.
WOZ: Hat sich durch diese Begegnungen Ihr Blick auf die Schweiz verändert?
Manuel Stahlberger: Die Schweiz, die ich auf Tour kennenlerne, ist nicht die, die sich in den Abstimmungsergebnissen widerspiegelt. Sie ist viel weniger hart als jene, die man aus den Medien kennt. Es gibt so viele kleine Orte für Kultur. In fast jedem Dorf chüechelt irgendwer etwas herum. Und das ist ja super.
Manuel Stahlberger (51) lebt als Musiker, Kabarettist und Zeichner in St. Gallen. «Immer dur Nächt», das neue Album seiner Band Stahlberger, ist Ende März bei Irascible erschienen.