Ökofeminismus: Fusioniert die Streiks!

Nr. 24 –

Klimastreik und Frauenstreik – die beiden Bewegungen sind sich sympathisch, doch verbündet haben sie sich bisher nicht. Dabei gäbe es viele gemeinsame Inhalte.

Wer hätte das vor einem Jahr erwartet? Zwei grosse, offensive Bewegungen prägen die Schweiz im Frühsommer 2019: Klimastreik und Frauenstreik. Sie sind in allen Medien präsent und üben spürbar Druck auf die Politik aus. Und sie könnten sich noch viel stärker verbünden, denn sie haben viel mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint.

Da und dort taucht der Begriff «Ökofeminismus» wieder auf – diskutiert wird er aber kaum. Dem Ökofeminismus ging es wie anderen Strömungen der Frauenbewegung: Seine Tradition ist unterbrochen. Als in den neunziger Jahren die Theorien der US-Philosophin Judith Butler den Feminismus durcheinanderwirbelten und die grosse Debatte begann, ob es überhaupt legitim sei, sich auf ein gemeinsames Subjekt «Frauen» zu beziehen, geriet er ins Hintertreffen. Er galt als altmodisch und esoterikverdächtig.

Mythos Unabhängigkeit

Und ja, natürlich gab es Esoterik in der ökologischen Frauenbewegung. Manche machten sich auf die Suche nach Göttinnen, verehrten Mutter Erde oder behaupteten, Frauen seien per se besonders naturnah, weil sie Kinder auf die Welt bringen. Damit können heute nur noch wenige Feministinnen etwas anfangen. Zum einen kommt das Verklären des Gebärens rechten Ideologien gefährlich nahe. Und vor allem haben inzwischen genug mächtige Frauen – von Margaret Thatcher bis Magdalena Martullo-Blocher – gezeigt, dass sie nicht friedlicher, solidarischer oder ökologischer handeln, nur weil sie Frauen sind.

Doch es braucht gar keinen Mutter-Erde-Kult, um Feminismus und Ökologiebewegung zu verbinden. Es geht auch mit ökonomischen Analysen – die mit der Frage beginnen, was Ökonomie eigentlich ist.

Unter «der Wirtschaft» verstehen wir üblicherweise das, was auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen abgehandelt wird: Banken und Fabriken, Industrie und Dienstleistungen. Die Voraussetzungen dafür, dass «die Wirtschaft» überhaupt stattfinden kann, werden dagegen ausgeblendet. Für die nötige Infrastruktur sorgt immer noch grösstenteils der Staat. Und dafür, dass in «der Wirtschaft» gesunde, leistungsfähige Menschen arbeiten können, sorgen – bezahlt oder unbezahlt – bis heute vor allem Frauen: Sie gebären Kinder, umsorgen und unterrichten sie; sie pflegen die «Arbeitnehmer», wenn diese verunfallen oder ein Burn-out haben, und sorgen mit den verschiedensten Dienstleistungen für deren Wohl. Menschen sind nicht immer im gleichen Ausmass, aber doch ihr ganzes Leben von solcher Care-Arbeit abhängig. Trotzdem gelten die meisten dieser Tätigkeiten nach gängigen ökonomischen Theorien nicht als Wirtschaft, sondern als Kostenfaktor.

Das bürgerliche Wirtschaftssubjekt kommt scheinbar erwachsen, fertig ausgebildet und völlig unabhängig auf die Welt – und diese Illusion der Unabhängigkeit prägt die ganze Gesellschaft. «Don’t be dependent. At all. Ever», sei niemals abhängig, bläut der kanadische Männerversteher Jordan Peterson seinen Zuhörern ein – Care-ArbeiterInnen können sich da nur die Bäuche halten vor Lachen. Aber eigentlich ist der Unabhängigkeitsmythos nicht lustig, sondern gefährlich. Wer nicht erkennt, dass die eigene Existenz von der Arbeit und Zuwendung vieler Menschen abhängt, versteht auch nicht, dass diese Arbeit Grenzen hat – in der Erschöpfung etwa. Hier kommt die ökologische Frage ins Spiel: Wer die Abhängigkeit von der Care-Arbeit anderer nicht sieht, wird auch die Abhängigkeit von natürlichen Prozessen nicht sehen. Er kann mit der Welt umgehen wie mit einem unerschöpflichen Reservoir an Rohstoffen und Dienstleistungen. Diesen Zusammenhang betont der Ökofeminismus. Das «Verhältnis, das die Männer zu Frauen haben», entspreche dem «Verhältnis, das die Menschen allgemein zur Natur haben», schreibt die deutsche Ökofeministin Maria Mies.

Generationenlang sind viele Frauen fast erstickt unter zu viel Care-Arbeit. Das ist Teil der patriarchalen Ideologie: Während Männer dazu geboren sind, die Welt zu erobern, liegt den Frauen die selbstlose Sorge für andere in den Genen. Von diesem Blödsinn mussten sich die Frauen befreien. Verständlich, dass viele auch genug hatten von der Care-Arbeit, die ihnen aufgedrängt wurde. «Frauen versuchen nun, im Namen ihrer Emanzipation auch dieses bürgerliche Subjekt zu werden, das weder selbst auf Fürsorge angewiesen ist noch gerne anderen Fürsorge zukommen lässt», analysiert die feministische Zürcher Philosophin Tove Soiland.

Doch die Care-Arbeit bleibt nötig – was geschieht nun mit ihr? Diese Frage müssen nicht die Frauen beantworten. Sie ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft.

Unter den richtigen Voraussetzungen kann Care-Arbeit schön, sinnvoll und befriedigend sein. Entscheidend ist, dass genug Zeit für sie zur Verfügung steht – im Spital und in der Schule genauso wie am Familientisch und wenn der beste Freund Liebeskummer hat. Und Care-ArbeiterInnen haben das Recht auf ein Leben neben der Arbeit, auch wenn es um die Erziehung der eigenen Kinder oder die Pflege von Angehörigen geht.

Mit Care zur Transformation

Damit Care-Arbeit gute Arbeit werden kann, braucht es mehr Geld und mehr Zeit – insbesondere in der Schweiz mit ihrer mickrigen Mutterschaftsversicherung, ihren ungenügenden Kinderbetreuungsstrukturen und ihrer unterfinanzierten Langzeitpflege. Mehr Ressourcen für Care heisst weniger Profit für «die Wirtschaft» – und auch sonst kratzen die Kämpfe in diesem Bereich am «Profit über alles»-Prinzip. Denn Care-Arbeit ist nicht profitabel und wird immer unprofitabler, weil sie sich nicht automatisieren lässt. Doch gerade das ist spannend: Care-Arbeitskämpfe könnten Ausgangspunkt für die Transformation der ganzen Wirtschaft sein. So propagiert es die deutsche Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker, die den Begriff «Care-Revolution» geprägt hat.

Und auch das ist Ökofeminismus. Denn eine «an Bedürfnissen orientierte Ökonomie», die «Menschen als grundlegend aufeinander Angewiesene begreift» (wie Winker schreibt), ist auch eine viel umweltfreundlichere Ökonomie. Ihr «Hauptprodukt» sind gut aufgehobene Menschen – und nicht überflüssige Güter.

Frauenkampf in drei Jahrhunderten

  • Zürich, 1887: Die erste Schweizer Juristin, Emilie Kempin-Spyri, promoviert an der Universität.
  • Zürich, 1876: Frauen gründen eine Druckerei für Frauen, in der eine Lehrmeisterin Setzerinnen ausbildet. Das Unternehmen muss jedoch bald wieder schliessen, weil sich der Typographenbund gegen die weibliche Konkurrenz wehrt.
  • Zürich, 1904: Erste Gymnasialklasse für Mädchen.
  • Basel, 1959: Empört über das Nein der Männer zum Frauenstimmrecht in der nationalen Abstimmung, lassen die Lehrerinnen des Basler ­Mädchengymnasiums einen Tag lang den Unterricht ausfallen. Es ist der erste Frauenstreik der Schweiz.
  • Bern, 1928: Am Umzug zur ersten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) nimmt eine riesige Schnecke teil als Protest, dass es mit dem Frauenstimmrecht nicht vorwärtsgeht.
  • Bern, 1958: Iris von Rotens Buch «Frauen im Laufgitter» erscheint.
  • Bern, 1969: Marsch auf Bern: Über 5000 Menschen fordern das Frauenstimmrecht.
  • Bern, 1993: Die Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat löst eine Protestwelle aus. Im zweiten Wahlgang wird Ruth Dreifuss gewählt. Während der Wahl demonstrieren Tausende auf dem Bundesplatz.
  • Bern, 2018: 20 000 Menschen gehen für Lohngleichheit auf die Strasse.
  • Moudon VD, 1918: Augusta Gillabert-Randin gründet die erste Bäuerinnenorganisation der Schweiz.
  • Genf, 1896: Erster nationaler Frauenkongress.
  • Lausanne, 1837: Erste Ausbildungsstätte für Lehrerinnen.
  • Lugano, 1844: Erster Kindergarten der Schweiz.
  • Brissago, 1916: Die Tabakarbeiterinnen streiken.
  • Luzern, 2019: Die Walliser Popmusikerin Sina wird an den Swiss Music Awards als erste Frau mit dem Out­standing Achievement Award ausgezeichnet.
  • Appenzell, 1990: Das Bundesgericht zwingt auch den Kanton Appenzell Innerrhoden dazu, das Frauenstimmrecht einzuführen.
  • St. Gallen, 1916: Frauen eröffnen die erste Berufsberatungsstelle für Frauen und Mädchen.
  • Eriswil BE, 1943: 200 Heimarbeiterinnen versammeln sich aus Protest gegen miserable Löhne – und haben Erfolg.