Wahlstatistik: Als die Frauen den Gripen vom Himmel holten
Ohne die Frauen gäbe es kein modernes Eherecht und wären längst neue Kampfflugzeuge angeschafft worden. Doch wie stark ist der Einfluss des Geschlechts auf Wahl- und Abstimmungsergebnisse tatsächlich?
Am 7. Februar 1971 war es endlich so weit: In der Schweiz wurde das Stimm- und Wahlrecht für Frauen beschlossen. Wobei nicht das ganze Land dafür war: Hätten nur die Ost- und die Zentralschweiz abgestimmt, so wäre den Frauen weiterhin die Mündigkeit abgesprochen worden. Je katholischer und ländlicher ein Kanton geprägt war, umso höher der Nein-Anteil. Am höchsten war er in Appenzell Innerrhoden. Wenn damals die in einem Kanton dominierenden Wertorientierungen den Entscheid prägten, wie verhält es sich heute mit der Kategorie des Geschlechts? Wählen und stimmen Frauen und Männer anders? Gaben sie bei einzelnen Abstimmungen gar den Ausschlag?
Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil entsprechende Zahlen bei Abstimmungen nicht erfasst werden. «Zwar wäre es rechtlich möglich, dass auf Anordnung des Bundesrats in ausgewählten Gemeinden die Stimmzettel nach den Geschlechtern getrennt erhoben würden. Dies brächte aber eine markante Mehrbelastung der Gemeinden mit sich, weshalb bisher Nachbefragungen bevorzugt wurden», erklärt Werner Seitz, der bis zu seiner Pensionierung in diesem Jahr die Sektion Politik, Kultur, Medien des Bundesamts für Statistik leitete.
Zwar publizieren einzelne kantonale und städtische Ämter die Daten nach Geschlecht. Für die Gesamtschweiz bleiben aber lediglich Erhebungen wie die des Wahlforschungsprojekts Selects und die Nachbefragungen bei Abstimmungen, die früheren Vox-Analysen und heutigen Voto-Studien.
Leichte Tendenz nach links
Bei den eidgenössischen Wahlen vor vier Jahren zeigte sich bei der Parteipräferenz ein Unterschied zwischen Männern und Frauen: So kam die SVP auf 32 Prozent der Männerstimmen, doch nur auf 26 der Frauenstimmen. Umgekehrt das Bild links von der Mitte: 17 Prozent der Männer stimmten für die SP, doch 21 Prozent der Frauen. Am deutlichsten ist der Unterschied bei den Grünen: Nur 5 Prozent der Männer, dafür 9 Prozent der Frauen waren für die Partei. Die Unterschiede mögen ins Auge fallen, doch geht es nur um wenige Prozentpunkte. Bei anderen soziodemografischen Merkmalen wie dem Alter, der Ausbildung oder dem Einkommen gibt es ähnliche oder grössere Differenzen.
«Politik bleibt eine Einstellungsfrage», sagt Politologieprofessorin Anke Tresch, die an der Universität Lausanne forscht und an den Voto-Studien mitarbeitet. Soziale Kategorien wie das Geschlecht würden gegenüber einmal gefassten Parteipräferenzen eine untergeordnete Rolle spielen. Werner Seitz, der sich in seiner Forschung immer wieder mit Frauen in der Politik beschäftigt hat, bestätigt die Einschätzung der Kollegin: «Ausschlaggebend ist die Werteorientierung der Bürgerinnen und Bürger.» Wobei diese selbstverständlich auch von ihrem jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld geprägt würden.
Ein Blick auf die Abstimmungen der letzten Jahre zeigt, dass sie in den meisten Fällen entlang der Parteilinien entschieden wurden. Unterschiedliche Bewertungen von Frauen und Männern lassen sich am häufigsten bei Umweltfragen, beim Service public und beim Schutz von Minderheiten finden. Statistisch signifikant war etwa der Unterschied beim Energiegesetz, über das 2017 abgestimmt wurde. Die Frauen stimmten mit 64 Prozent zu, die Männer mit 53. Die Geschlechter gaben hier aber nicht den Ausschlag: In unterschiedlicher Intensität stimmten sie beide zu.
In der Zeitschlaufe
Historisch lassen sich immer wieder einzelne Abstimmungen ausmachen, bei denen die Frauen den Ausschlag gaben, auch wenn die Zahlen mit der nötigen Vorsicht zu betrachten sind, weil es sich um Umfragen und nicht um die realen Ergebnisse handelt. So wurden Fortschritte in der Gleichberechtigung von Frauen gegen den Willen der Männer erkämpft: Für das moderne Ehe- und Erbrecht stimmten 1985 61 Prozent der Frauen, aber nur 48 Prozent der Männer. Das Gesetz wurde nur dank der deutlichen Zustimmung der Frauen angenommen. Zuletzt setzten die Frauen die Unverjährbarkeit von sexuellen Straftaten an Kindern durch. Noch bei einer anderen Abstimmung feierten sie einen Erfolg: Dank der Frauen musste die Männerbastion Armee im Mai 2014 auf das Kampfflugzeug Gripen verzichten.
Anke Tresch weist auf die Möglichkeit hin, dass Frauen oder Männer manchmal auf einzelne Argumente stärker reagierten, schliesslich aber doch gleich abstimmten. Dies sei bei der Altersvorsorge 2020 der Fall gewesen, die vor zwei Jahren scheiterte. «Die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre wurde von den Frauen zwar negativer bewertet, doch es spielte für ihre Gesamtbeurteilung keine entscheidende Rolle.» Am Schluss gaben bei dieser Abstimmung nicht das Geschlecht und auch nicht das Alter den Ausschlag für das Stimmverhalten, sondern einmal mehr die Parteipräferenz.
Ein letzter Punkt noch für alle, die Zeitschlaufen mögen: Die Schweiz vor der Einführung des Frauenstimmrechts wirkt bis heute nach. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahlbeteiligung der Männer und Frauen an. Doch bei 65 Jahren gibt es plötzlich einen Knick, und die Wahlbeteiligung der Frauen sinkt. Dies wird damit erklärt, dass der Grossteil der über 65-jährigen Frauen in der Jugend politisch ohne Frauenstimmrecht sozialisiert wurde.