40 Texte aus 40 Jahren: 1982: GDP-Wahlfälschungs-Untersuchung als Groteske: Wie Fredy Aeberli «überführt» wurde

Zwei Wochen nach seiner Entlassung aus der Berner Untersuchungshaft äusserte sich Fredy Aeberli, Präsident der Zürcher Sektion der Gewerkschaft Druck und Pa­pier (GDP), zum Vorgehen der Untersuchungsbehörde: Der Gewerkschafter sprach im vollbesetzten Blauen Saal des Zürcher Volkshauses insbesondere über die Haftbedingungen im Amtshaus und über das kriminali­stische Raffinement der Berner Untersuchungsbehörde. Nachdem wir über die Haftbedingungen im Berner Amtshaus in der WoZ auch schon berichtet haben (WoZ Nr. 9/82), ist nachstehend Aeberlis Auseinanderset­zung mit den Vorwänden, die zu seiner Verhaftung führ­ten, auszugsweise wiedergegeben.

Verhaftungsvorwand Nr. 1: Schriftgutachten

Ich hatte die Bereitschaft, Schriftproben abzugeben, freiwillig – wenn man so will. Grund meiner Be­reitschaft war die Tatsache, dass ich mir keiner Schuld bewusst bin, dann auch mein Interesse an der Eruie­rung des Schuldigen, weil die Zürcher GDP-Sektion am meisten ge­schädigt wurde durch die Wahlma­nipulation; in Absprache mit mei­nem Anwalt schien uns ein koopera­tives Verhalten am ehesten dazu ge­eignet, Verdachtsmomente zu ent­kräften und schliesslich war ich auch einfach ganz persönlich neu­gierig, wie das so zu und her geht bei der Erstellung eines Schriftgutach­tens. Kantonspolizist Paul Cosandier – man wird sich diesen Namen merken müssen, denn er ist ein gros­ser Wissenschafter – diktierte mir, legte Texte zur Abschrift vor und sagte, wie ich schreiben soll: Kursiv, Blockschrift, breit, schmal usw... Ein Beispiel: Das versale «A» lässt sich als sog. «Sack-A», oder aber mit Querstrich schreiben. Ich mache prinzipiell kein «Sack-A». Schon bei der ersten Schriftprobe wurde mir gesagt: «Machen Sie noch ande­re «A», was Ihnen in den Sinn kommt; es gibt doch noch andere!» Ich habe andere gemacht, gab insge­samt drei Schriftproben ab, eine bei der Zürcher Kantonspolizei, zwei bei Herrn Cosandier in Bern.

Cosandier war sehr zufrieden mit mir, bezeichnete mich als «sehr schreibgewandt», war aber ebenso eingenommen von sich selber, wies immer wieder auf seine Erfahrung hin und wie hieb- und stichfest seine Methode sei. Ich nahm das dankbar zur Kenntnis.

In Bern wurde mir dann später ein Exemplar des 39-seitigen «Schrift­gutachtens», Autor: Paul Casandier, vorgelegt mit der Mitteilung, dieses Werk sei der Grund meiner Verhaftung. Ich ersuchte um eine Kopie. Dass ich sie erhielt, war eine Gunst, wie der Untersuchungsrich­ter betonte. Ich habe dann während der Haft genügend Zeit gehabt, das «Gutachten» zu studieren.

Vorweg schied Cosandier drei Wahlzettel aus, die «einige wider­sprechende Merkmale» aufwiesen und «der Einfachheit halber» nicht berücksichtigt wurden. Sechsmal wird im Gutachten sodann erwähnt, dass ich «sehr schreibgewandt» sei und dadurch verdächtigt; einmal wird sogar darauf hingewiesen, dass ich Schriftsetzer sei. Hauptpunkt der Belastung war schliesslich eine Abteilung mit angeblich «grosser Ähnlichkeit» der Schriftproben mei­nes Namenszuges mit den Wahlzet­teln. Daneben gibt es eine Abteilung «geringe Ähnlichkeit». Bei der letz­ten Schriftprobe, die ich abgab, hat­te mich Cosandier aufgefordert eine «6» zu schreiben.
Ich wunderte mich; Aeberli schreibt sich schliess­lich nicht mit einer «6». Aber die «6» fehlte ihm offenbar noch, weil das kleine «b» im Schriftzug der Wahlzettel sehr abweichend war. Im Bericht wird dann darauf hingewie­sen, dass die «6» in meiner Schrift­probe beweise, dass ich ein ähnli­ches «b» wie auf den gefälschten Wahlzetteln machen könnte.

Das ganze Gutachten strotzt im übrigen von Allgemeinplätzen. Et­wa: «Leichter Druckabfall in den Aufstrichen». Wer etwas von Hand­schriften versteht, weiss, dass Ab­striche meistens mit Druck gemacht werden, und Aufstriche stets einen Druckabfall haben. Das ist Kindergarten. Dann wird in der Untersu­chung darauf hingewiesen, ich sei ohne weiteres in der Lage, ein «Sack-A» zu schreiben (!). Mit ein paar Ausnahmen Stammen alle ausgewerteten Schriftproben aus den beiden Diktaten von Cosandier. Keine einzige Auswertung erfolgte aus einem Schriftstück, das ich nachträglich auf Ersuchen Cosandiers eingesandt hatte. Dieses Schriftstück war indessen das einzige, das ohne Beeinflussung entstan­den war.

So also sieht diese Wissenschaft aus. Insgesamt: Herr Cosandiers Arbeit ist eine Fleissarbeit, das muss anerkannt werden, aber eine Fleiss­arbeit nicht ohne Perfide. Der ver­meintlich objektive Charakter sei­ner Untersuchungen ist weder wertfrei noch ohne Tendenz. Dieser Ar­beit einen wissenschaftlichen Stel­lenwert zu geben, wäre zu hoch ge­griffen, obwohl sie versucht, diesen Anschein zu erwecken.

Ich habe übrigens inzwischen in einem Buch eine viel einfachere Methode zur Überführung von Fälschern gefunden, die ich bei Gelegenheit Herrn Cosandier empfehlen will. Ein gewisser Lombroso – eine grosse wissenschaftliche Kapazität, bedeutender noch als Cosandier – sagt darin folgendes: «Fälscher sind blass und freundlich. Sie haben schmale Augen und eine grosse Nase und bekommen frühzeitig graue Haare oder eine Glatze.» Bitte: Ich bin blass und freundlich, ich habe eine grosse Nase, graue Haare und die Glatze zeichnet sich auch schon ab. Ich bin verurteilt. Das wäre doch die Wissenschaft richtig angewandt, das ginge alles viel schneller und wäre erst noch billiger für den Staat.

Verhaftungsgrund Nr.2: Farce in einer Szene mit einem geplatzten Luftballon

Untersuchungsrichter Jörg Rösler, SVP-Mitglied, hatte rasch eine Version zur Erklärung der Herkunft der 733 gefälschten Wahlzettel und der falschen Wahlcouverts: Es war für ihn klar, dass als Urheber nur die Linken in Frage kamen und links innerhalb der GDP ist Zürich. Er sprach von der «Drehscheibe Zürich». Von Zürich aus ging also die Verschwörung: Am 16. Mai, fünf Tage vor der Urabstimmung, war demnach im Hotel ‘Terminus’ in Olten (heute heisst es: ‘Ma Pomme’), im Bacchus-Säli die grosse Verschwörerversammlung. «Kennen Sie das Bacchus-Säli?», wurde ich von Rösler gefragt. Ich sagte: «Nein, aber der Name ist mir sympathisch.» Jemand muss da einen Hinweis gegeben haben, dass dort das ganze Ding gedreht wurde, etwa wie folgt: «Dort wurde abgemacht, du machst jetzt mal 733 Unterschriften und wir werfen sie nachher ein.» Gemäss dieser Theorie wurde bereits schon im vergangenen Jahr Kollege Ruedi Oberli von der Berner Sektion verhaftet, ebenfalls morgens um sechs Uhr und drei Tage lang in Untersuchungshaft genommen. Er hatte das Pech, Oberli zu heissen und auf diesen Namen soll das Bacchus-Säli reserviert worden sein.

Es folgte dann eine sog. «Gegenüberstellung». Das war die grösste Kabarettnummer, die ich gesehen habe, seit Alfred Rasser. Vier Polizeibeamte in Zivil wurden mit einer Nummer versehen, ich erhielt die Nummer 3. Zwei standen links von mir, zwei rechts. Ich sagte: «Aha, immer der in der Mitte!» Daraufhin wurde mir bedeutet, auf die Seite zu stehen. Hinter einem Spiegel, der nur von einer Seite her durchsichtig war, sollen zwei Damen gestanden haben, vermutlich die Wirtin und die Serviertochter des Hotels ‘Terminus. Ich hatte dann das ungeheure Glück, dass die beiden Damen befanden, es sei keiner dieser fünf. Man muss sich mal vorstellen, was passiert wäre, wenn eine Person nur gesagt hätte: «Doch, der mit der Nummer 3 sieht ähnlich aus.» Dann sässe ich heute noch in Untersuchungshaft. Das ist eine reine Lotterie – im Namen seriöser und «rechtsstaatlicher» Methoden.

In dasselbe Kapitel gehört der Fall ‘Kreuzer’. Roland Kreuzer, Vorstandsmitglied der Sektion Zürich, bekam den Auftrag, zu Rösler nach Bern zu reisen. Das erste, was Rösler sagte, war: «Herr Kreuzer, Sie sind erkannt worden!» Rösler präsentierte ihm ein Foto, wo Kreuzer tatsächlich abgebildet war. Das Bild war geknipst worden – und das ist weniger lustig an der ganzen Sache – an einer internen Delegiertenversammlung der Sektion Zürich. Der welsche Redaktor hatte an dieser Versammlung fotografiert. Quizfrage für alle, die schon mal Aktenzeichen ‘XY’ gesehen haben: Woher hatte Rösler dieses Bild?

Das waren die Verhaftungsvorwände. Nachdem der Oltener Luftballon geplatzt war, wurde mir gnädigst mitgeteilt, dass ich entlassen sei. Ich nahm diese Mitteilung regungslos zur Kenntnis. Ich habe mir einige Gedanken gemacht darüber, was im Hintergrund wohl alles gelaufen sein muss, bis es zu meiner Verhaftung kam. Solange ich indessen noch keine genauen. Fakten habe, stelle ich keine These auf. Ich mache mir diese These aber privat. Vorderhand lässt sich die ganze Kriminalgroteske mit einem Zitat auf einen Nenner bringen: «Offenbar sind wir in einer Zeit, da Kriminalität zu einem Spielball im politischen Geschäft geworden ist.»

Dieser Text ist ursprünglich in der WOZ Nr. 29 vom 30. Juli 1982 erschienen. Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Wochenzeitung WOZ haben wir unser Archiv nach Perlen durchsucht, die wir erneut veröffentlichen, und das Tag für Tag bis hin zur Jubiläumsausgabe, die am 30. September 2021 erscheint.

Gewerkschafter im Knast

Am 7. Juli, morgens um 6 Uhr, von zwei Beamten der Zürcher Kantonspolizei aus dem Bett geholt, dem Berner Untersuchungsrichter «zugeführt» und daraufhin acht Tage lang in Untersuchungshaft isoliert mit Verteidigerbesuchen hinter Trennscheibe: Die zuständigen Instanzen scheinen nach der Annahme der Strafgesetzrevision vom 6. Juni nun auch eine härtere Gangart gegenüber unbequemen Gewerkschaftern zu proben. Dass Aeberli eine erste Probe aufs Exempel abgab, erstaunt nicht, war es doch gerade die Zürcher Sektion der GDP, die sich stets gegen die Strafrechtsverschärfung ausgesprochen hatte. Aeberli selbst hatte im Vorfeld der Abstimmung an einer nationalen Demonstration in Bern auf die Bedrohung aktiver Gewerkschaftsarbeit durch die StGB-Revision hingewiesen. Sechs Wochen später sass er wenige hundert Meter entfernt vom Ort der damaligen Kundgebung im Berner Amtshaus.

Aeberli wurde nach einem «Schriftgutachten» der Berner Kantonspolizei der aktiven Urheberschaft des Wahlbetruges anlässlich der GDP-Präsidentenwahl vom Sommer 1981 verdächtigt. (Damals wurden in einem Kopf-an-Kopf-Rennen um die GDP-Präsidentschaft in der Urabstimmung 733 Wahlzettel zugunsten von Aeberli gefälscht; so plump im übrigen, dass ein politischer Komplott seiner Gegner naheliegt.) Der Untersuchungsrichter machte Kollusions- und Fluchtgefahr (!) geltend. Der Gewerkschafter will die acht Tage Hafterfahrung zum Anlass nehmen, sich inskünftig vermehrt für Gefangenenrechte einzusetzen. Aeberli orientierte in Zürich detailliert über seine Haftbedingungen; unter dem Titel «Stop der polizeistaatlichen Willkür!» soll kommende Woche auch eine Veranstaltung in Bern stattfinden (3. Aug., 20 Uhr, Casa d’Italia).